7137467-1998_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Den Hund zum Jagen tragen?

19451960198020002020

Die politischen Parteien scheinen vergessen zu haben, wozu sie da sind. Dieser Eindruck entsteht nicht nur in Osterreich.

19451960198020002020

Die politischen Parteien scheinen vergessen zu haben, wozu sie da sind. Dieser Eindruck entsteht nicht nur in Osterreich.

Werbung
Werbung
Werbung

Frage an Radio Erewan: Wie wird das Jahr 1998? Antwort: Ein durchschnittliches Jahr. Schlechter als 1997, aber besser als 1999.

Mit dem Kommunismus gingen auch die Radio-Ere-wan-Witze dahin. Doch manche könnten wiederkehren. Etwa der oben zitierte. Aber befinden wir uns denn wirklich in einer Abwärtsbewegung?

Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist 1998 weder in Österreich noch in Europa zu erwarten. Die neuen Produkte, die die Konjunktur beleben sollen, bleiben aus. Innovationen gibt es in großer Zahl, aber sie dienen der Rationalisierung der Fertigungsabläufe und Dienstleistungen, also der weiteren Einsparung von Arbeit. Das bedeutet nachlassende Kaufkraft. Am flauen Weihnachtsgeschäft war es abzulesen.

Wir dürfen bestenfalls auf Atempausen hoffen. Daher ist auch die Hoffnung auf Stabilisierung der Sozialausgaben weder in Osterreich noch in Europa realistisch. Steigt die Arbeitslosigkeit, steigen auch die Staatsausgaben, während die Staatseinnahmen sinken. Dem letzten Sparpaket folgte die Verteuerung der staatli chen Dienstleistungen, vom Reisepaß bis zur Autozulas-sung, auf dem Fuße. Unter den gegebenen Umständen ist das nächste Sparpaket unvermeidlich. Oder die nächste Maßnahme, die euphemistisch anders heißt, aber dasselbe ist.

An den gegebenen Umständen kann die Politik eigener Bekundung zufolge leider nichts ändern. Die sind halt eine Folge der modernen Transport- und Kommunikationsmittel. Und des rasanten Fortschritts der Produktivität. Und der globalen Konkurrenz.

Burger & Soros

In dieser angeblichen Ohnmacht angesichts übermächtiger ökonomischer Vorgänge wurzelt die Gemeinsamkeits-Rhetorik, die der Philosophieprofessor Rudolf Burger am Heiligen Abend im „Kurier" erfrischend böse kritisierte. Es fördere die Delegitimierung der Politik, wenn sich der Kanzler zum Kumpel mache, meinte er. Auch die Abgabe wichtiger Kompetenzen an übernationale Organisationen bringe den Nationalstaat in Bedrängnis. Am selben Heiligen Abend las man im „Standard" Teil Eins der Thesen zur „offenen Gesellschaft" vom Weltmeister der Devisenspekulation George Soros. Von ihm erfahren wir, daß die globale Wirtschaft die Bedürfnisse und Hoffnungen aller Beteiligten erfüllen müsse, wenn sie überleben will (waren nicht einst

auch die No-na-Witze in aller Munde?), und daß uns nur die globale offene Gesellschaft, die ständig bereit ist, ihre Fehler zu korrigieren, retten könne.

Macher ohne Biß

Viel ist es nicht, was wir über die aktuellen Probleme der Staaten vom österreichischen Philosophen und vom internationalen Megaspekulanten erfahren, doch mehr und gescheiter als das, was die ohnmächtigen Macher ohne Biß von sich geben, ist's allemal. Das Bild, das die politischen Parteien derzeit bieten, gleicht verdächtig dem von Heinrich Heine aus gegebenem Anlaß zitierten Hund, der sich zum Jagen tragen läßt.

Jede Gesellschaft muß Fehler korrigieren, aber welche, und mit welchen Mitteln, jetzt und hier in Europa? Gewiß bringt die Abgabe wichtiger Kompetenzen an übernationale Organisationen den Parteien Profilierungsprobleme, aber wichtiger dürfte doch sein, ob die übernationalen Organisationen diese Kompetenzen so wahrneftmen, daß es den Bedürfnissen und Hoffnungen aller Beteiligten entspricht. Die politischen Macher vermitteln nicht den Eindruck, sich darum besonders viel zu kümmern.

Sie fuhren zum Beispiel nach Amsterdam, um über Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit zu reden. Sie fuhren hin wie Leute, die neugierig sind, was wohl die anderen so an Ideen einbringen werden. Eigene Konzepte hatten

sie nicht mit, und den Willen, konkrete Vorstellungen durchzusetzen, schon gar nicht. Sie hatten völlig vergessen, daß bei keiner Konferenz etwas herauskommt, was nicht zumindest ein Teilnehmer im Ansatz hineingebracht hat. Arbeitslosigkeit war kein vorrangiges Problem - bis der Hut brannte.

Man kann aber die von Rudolf Burger geforderte „programmatische Definition über einen Gegner" nicht künstlich herstellen, wenn man selbst niemandes Gegner mehr ist, weil man sich zum Befehlsempfänger internationaler Instanzen gemacht hat, die ihrerseits nicht mehr hinterfragten Trends nachlaufen. Europas Regierungsparteien meinen offenbar mit wenigen Einschränkungen, die freilich nicht von Österreich kommen, es sei richtig, die Unternehmen über das gesamte wirtschaftliche Geschehen allein bestimmen zu lassen. Alle Regeln, an die sie sich da und dort noch halten müssen, sind als altmodische Handelshemmnisse so schnell wie möglich abzubauen.

Als einziges Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit ist die Ge-winnmaximierung zugelassen. Die Staaten haben sich aller steuernden Eingriffe zu enthalten. Es ist ihre Pflicht, diesen Prozeß möglichst zu beschleunigen. Da wir eines Tages von Luft und Sonnenenergie leben werden, dürfen wir die vorhandenen Energieressourcen so schnell wie möglich verschleudern und immer

mehr Arbeit durcli" Energieverbrauch ersetzen. Wer etwas dagegen sagt, hat keine Ahnung vom Wesen des Fortschritts. Da Integration grundsätzlich etwas Gutes ist, sind Pausen, um bereits vollzogene Integrationsschritte zu verdauen, verboten. Ganz besonders aber ist das Hinterfragen dieses Weges verboten.

Hat man sich erst einmal in diesem Sinne festgelegt, und das haben unsere Macher getan, werden Parteien zu reinen Wahlvereinen. Dann kann es nur noch Gemeinsamkeits-Rhetorik geben. Die aber ist im Grund eine Rhetorik der selbstgewählten, sehr bequemen Ohnmacht.

Falsche Prämissen

Wenn die Parteien den Gestaltungswillen verlieren, verlieren sie die Existenzberechtigung. Politischer Gestaltungswille war aber immer auf die Gestaltung der ökonomischen Verhältnisse gerichtet. An dem Weg, auf den sich auch Österreich vor allem in den Gatt-Verhandlungen festlegen ließ, muß etwas nicht stimmen, sonst hätte die Welt nicht die Probleme, die sie hat. Wenn die Parteien über die falschen Prämissen, die den internationalen Abmachungen möglicherweise zugrundeliegen, nicht reden, miteinander, mit uns und in den übernationalen Organisationen, gleichen sie dem Hund, der sich verkriecht, wenn man ihn zum Jagen tragen will, weil es ihm hinter dem Ofen besser gefällt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung