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Den Wunsch-Minister an die Spitze!

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Der Verteidigungsminister hat in Österreich eine besondere Stellung: Alle anderen Ressorts werden durch Kammern, Interessenvertretungen und durch die Öffentlichkeit, die von ihrer Tätigkeit ja berührt wird, mehr oder weniger intensiv beobachtet und dadurch kontrolliert. Wer aber kontrolliert zum Beispiel die Entwicklung der Abwehrkraft des Bundesheeres? Im Frieden wird die Öffentlichkeit davon ja nicht betroffen. Volksvertreter, Wehrexperten der Parteien und Wehrjournalisten können von sich aus kaum durch die aus militärischen Feiern, Vorführungen, Manövern und Wehrpropaganda gebildete Oberfläche des Bundesheeres zu seiner eigentlichen Substanz und Problematik Vordringen. Und Hearings, durch die sich wenigstens die Volksvertretung ein unabhängiges Bild machen könnte, gibt es nicht...

Der Verteidigungsminister hat ja

— wie Janus — zwei Gesichter: Eines blickt in die Politik und in die Öffentlichkeit (und ist sachlich mit politisch-strategischer Tätigkeit zu verbinden, zu der auch eine erhebliche Mitwirkung bei der Gestaltung der Umfassenden Landesverteidigung gehört). Das andere Gesicht, das des Trägers der Verfügungs- und Befehlsgewalt, blickt in das Bundesheer, in dem es — und das ist unr gewöhnlich — keine militärische Spitze gibt: Es gibt keinen Offizier, der die militärische Gesamtverant- wortung trägt und daher auch alle fachlichen Entscheidungen treffen oder die fachliche Qualität und Einheitlichkeit des Vorgehens sicherstellen könnte. Dem Minister unterstellt sind — einander gleichgestellt und jeweils für nur ein Teilgebiet verantwortlich — mehrere Generale, ein Jurist, ein Wehrtechniker und ein Intendant. Der Minister ist daher, selbst wenn er noch gar nicht eingearbeitet ist, die einzige Spitze des Heeres, ist allein wirklich koordi- nierungs- und entscheidungsfähig, und deshalb zusätzlich von unten her auch mit vielen, rein fachlichen Details völlig unnötig beansprucht. Kein Generalstabschef, kein Armeekommandant entlastet ihn. Jeder höhere Kommandant hat zwar einen Stabschef als seinen verantwortlichen Berater, als Koordinator des gesamten Stabes und als Exekutor der Entscheidungen des Kommandanten — nur der zivile Minister, der unter anderem auch höchster „Kommandant“ ist, kann scheinbar selbst für die militärischen Belange einen solchen entbehren.

Diese Situation muß auf längere Sicht die menschliche Kapazität des Ministers überfordern, sie muß zu Selbstbeschränkung und Delegierung von Verantwortung oder aber zum Chaos führen! Das Fehlen einer militärischen Spitze verlockt im übrigen einerseits zum Wetteifern um die

Gunst des Ministers und anderseits zur Führung des Ressorts nach der Methode des „Divide et impera!“; beides muß letztlich die soldatische Substanz zersetzen. Es gibt schließlich auch keinen Generalstab als Institution, die in unbeeinflußter Arbeit wenigstens die fachliche Qualität und Kontinuität sicherstellen könnte. Es mag paradox klingen, aber die gesamte Struktur des Ressorts ist nicht darnach zugeschnitten, die militärischen Belange reibungslos und ausreichend zur Geltung zu bringen. Ohne viel Aufsehen in der Öffentlichkeit können daher infolge dieser Gesamtsituation nur schwer wiedergutzumachende Schäden schon binnen kurzer Zeit entstehen. Um so größere Bedeutung kommt also der Person des Verteidigungsministers zu.

Nach unserer Wehrverfassung ist die Bundesregierung die wichtigste Instanz auf der politisch-strategischen Ebene. Praktisch ist ihre Tätigkeit allerdings meist von Impulsen des Verteidigungsministers abhängig. Dieser ist aber hierzulande doch zu sehr Randfigur der Gesamtpolitik, um seinen Impulsen genügend Nachdruck geben zu können. Anders wäre es freilich, wenn der Bundeskanzler selbst zur Betonung dier Politik der bewaffneten Neutralität das Verteidigungsressort übernehmen und ihm zu seiner Unterstützung ein politisch fundierter Staatssekretär beigegeben würde. Diesem würde noch immer ein reiches politisches Arbeitsfeld zufallen. Diese Lösung scheint die Ideallösung

— und in Notzeiten überhaupt unerläßlich — zu sein, solange nicht dem Kanzler durch die Verfassung ausdrücklich übergeordnete Verantwortung gegeben wird, zum Beispiel für die Vorbereitung und Führung der Umfassenden Landesverteidigung (der Zusammenfassung von geistiger, militärischer, ziviler und wirtschaftlicher Landesverteidigung), oder vielleicht besser für die Koordinierung aller strategischen Angelegenheiten.

Welche Lösung man immer wählen mag — zwei Punkte sollten immer bedacht werden:

der Vorrang der politischen Rolle des Verteidigungsministers,

seine Ergänzung durch eine auch der Sicherstellung der fachlichen Qualität und Kontinuität dienende militärische Spitze.

Diese Skizzierung der Umrisse eines Wunsch-Ministers verlangt aber doch weitere spezielle Züge. Allerdings soll hier auf die für jeden Minister, unabhängig vom Ressort, gemeinsamen Züge verzichtet werden, wenn auch mit einer Ausnahme: es soll bekräftigt werden, daß auch für den Verteidigungsminister, wie für jeden anderen Politiker, das Streben mach politischer Macht und ihr Gebrauch legitim und für den Erfolg in der Politik unerläßlich sind. Anders aber, wenn er als höchster Vorgesetzter, der ja alle Macht hat, in das Bundesheer hineinwirkt: hält er sich dann zum Beispiel nicht an die Grundsätze, welche die „Allgemeinen Dienstvorschriften“ für Vorgesetzte auf stellen, kann keine gesunde Armee wachsen. Letztlich kommt es hier nur auf die gerade für den Verteidigungsminister charakteristischen Züge an.

„Der Verteidigungsminister denkt und handelt staatspolitisch.“ Aus dieser fundamentalen Forderung lassen sich viele Einzelzüge ableiten. Als erster etwa, daß er seine in das Bundesheer hineinwirkende Tätigkeit von parteipolitischen Gesichts punkten und von jeder Willkür frei hält, als weiterer, daß er das Funktionieren der Landesverteidigung im Ernstfall und die Schlagkraft des Bundesheeres und dessen Eignung für die ihm von der Politik gestellten Aufgaben zum Ziel seines Handelns macht (womit er auf lange Sicht auch für seine Partei und für sich am meisten herausholit). Der Tageserfolg, die Publicity, sind ihm nur Mittel zu diesem

Ziel, gern in Kauf genommene

Nebenerscheinungen. Die echten Probleme der Landesverteidigung sind sein Hauptanliegen, er macht die politische Öffentlichkeit mit ihnen bekannt, bemüht sich um echte Lösungen. Generalstabsmäßige und wissenschaftliche Arbeitsweisen liefern hierzu gültige Grundlagen. Tabus duldet sein Verantwortungsbewußtsein nicht. Er weiß, daß ernstes Eintreten für unpopuläre Notwendigkeiten letztlich doch als Mut und Offenheit positiv angerechnet werden, Vertrauen erwecken.

Als Realist im Erkennen und Handeln zerstört er Illusionen über den Stand der Landesverteidigung und verhindert den Fau neite.r Potemkin- scher Dörfer.

Es ist ihm selbstverständlich, daß die Armee ein Organismus mit besonderen inneren Gesetzen ist. Die jederzeitige Verwendungsbereitschaft der aktiven Truppen ist staatspolitische Doktrin — sie müssen also in jedem Augenblick fit sein und sofort auf Krieg umschalten können. Er lehnt daher Scheinlösungen ab, auch das Hinausschieben von Lösungen bis zu einer Bedrohung, etwa bei der Bildung des Armeekommandos, der Aushilfe mit „Schubladengesetzen“ oder mit Notverordnungen. Da Berufssoldaten, wenn sie ständig unter dem Damoklesschwert halbęr fragwürdiger Verteidigungsvorbereitungen leben, ihr Vertrauen in die Führung, in ihre Vorgesetzten, auf eine Erfolgschance verlieren müssen und dann weder im Frieden als Erzieher und Ausbilder noch im Einsatz als Führer ihre Aufgaben voll erfüllen können, duldet der Verteidigungsminister keine Unzulänglichkeiten: keine unzureichenden Stärken der Einsatztruppen, keine lük- kenhafte Ausrüstung, keine unzulängliche Ausbildung, keine nicht vordringliche Beschaffung. Er fühlt, daß eine Führung mit Hilfe einer Ministerialbürokratie in Zivil und in Uniform der Truppe kein Vertrauen geben kann, so daß er schon im Frieden eine Armeeführung schafft.

Für das innere Gefüge einer Armee hat er eben Gefühl und Verständnis. Er fühlt auch seine Verantwortung für die Formung des Offizierskorps, das er innerlich stärken oder aber als Korps zerstören kann. Bevorzugt ein Minister Liebediener oder Parteifreunde, sucht er willfährige Handlanger, so wird er sie finden, andere werden gewisse Kompromisse schließen und mitschwimmen, andere werden nicht mitmachen und isoliert werden — das Gefüge des Offizierskorps würde jedenfalls zutiefst erschüttert: die Achtung vor Vorgesetzten und Kameraden, das gegenseitige Vertrauen, die Kameradschaft, aber auch der Leistungswille, die fachliche Qualität. Und zumindest der hohe Offizier würde letztlich oft vor der Gewissensfrage stehen: loyal gegenüber dem Minister oder gegenübe ' der Sache des Bundesheeres? — obwohl doch beide identisch sein müßten. Mag sein, daß ein orga nisch gewachsenes Offizierskorps die Geschlossenheit, den Korpsgeist, die Tradition hätte, um solche Gefährdungen unangetastet zu überstehen. Aber woher sollte, nach dem Auf und Ab der letzten 50 Jahre, dieses Offizierskorps nun schon diese innere Stärke besitzen? Das „Heer im Schatten der Parteien“, das Heer der 1. Republik, kann zwar Lehren bieten, aber wenig Hilfe als Vorbild.

Der Minister stärkt daher das Gefüge und ist auf Qualität bedacht. Er hält die Verantwortlichkeiten seiner Untergebenen strikt ein und ermöglicht ihnen dadurch auch eine rationelle Arbeit. Er bringt ihnen Vertrauen entgegen, spielt sie nie gegeneinander aus, behandelt sie mit Achtung und so, daß sie ihm ihre Achtung zuwenden. Er zieht einerseits starke, infolge von Charakter und Leistung innerlich unabhängige vorbildhafte Personen in seine Nähe, sucht nicht bequeme, sondern fähige Mitarbeiter. Er verlangt andererseits die volle Loyalität aller Untergebenen. Er delegiert soviele fachliche Aufgaben als nur möglich, schirmt die vielen störenden Einflüsse von außen ab und legt das Schwergewicht seiner eigenen Arbeit auf den nur ihm zugänglichen umfangreichen politisch-strategischen Bereich. Untergebenen, welche die militärische Substanz gefährden, zum Beispiel durch Umgehung des vorgeschriebenen Dienstwegs, durch Inanspruchnahme außerdienstlicher Einflüsse für persönliche Ziele im dienstlichen Bereich, weist er klar in ihre Schranken. Er führt die „Politik für alle“ in seinem Bereich voll durch. Mit ausgiebiger offener Information untermauert er seine Wehrpolitik der Sachlichkeit. Jährlich rund 40.000 junge Männer für die Landesverteidigung zu gewinnen, hält er für den größten, im Frieden möglichen Erfolg. Eine sinnvoll ausgefüllte Dienstzeit der Wehrpflich tigen ist daher für ihn das Um und Auf. Er verzichtet deshalb zugunsten einer intensiven leistungsfordernden Ausbildung auf eine Beteiligung von Truppen an Volksfesten, Messen und anderen Veranstaltungen. Den Maßnahmen zur Hebung der Ausbildung gibt er höchste Priorität, angefangen bei der Aufstockung des im Ausbildungsdienst, im Außendienst stehenden Kaderpersonals. Eine weitere Werbewirkung erstrebt er als „Propaganda von oben“, durch eine vermehrte Aktivität des Landesverteidigungsrates der Bundesregierung und der gesetzgebenden Körperschaften in Wehrfragen.

All diese Details und Beispiele dürfen aber, das muß zum Schluß betont werden, die zwei Hauptzüge nicht verschleiern, die in der Sicht des Soldaten für den Verteidigungsminister unerläßlich sind: das staatspolitische Denken und Handeln sowie den feinen Instinkt für das Wesen und Werden, für Struktur und Substanz einer gesunden Armee. Sie erst ermöglichen ihm,

die tragfähigen geistigen und organisatorischen, die legistischen und schließlich wohl auch die materiellen Voraussetzungen für eine schlagkräftige Armee zu schaffen.

Die Prinzipien der Regierung Klaus II erscheinen geradezu als Elemente einer idealen soldatischen, ja generalstabsmäßigen Haltung: die staatspolitische Note, die Politik für alle, der sachliche und betont wissenschaftliche Regierungsstil, der

Mut zur Verantwortung und selbst zu unpopulären Notwendigkeiten, die Zielstrebigkeit und Energie, mit der Versäumnisse aus vergangener Zeit aufgeholt werden sollen. Sie müssen natürlich allgemein das geltende Ministerporträt stark bestimmen. Mehr wünschen sich auch die Soldaten nicht.

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