"Der Aggressor muss bestraft werden"

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Der Krimtataren-Politiker Ilmi Umerow spricht über Repressionen gegen seine Volksgruppe, die umstrittene Energieblockade vom Winter und den Eurovision Song Contest, bei dem eine Krimtatarin in diesem Jahr erstmals die Ukraine vertritt.

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Der Krimtataren-Politiker Ilmi Umerow spricht über Repressionen gegen seine Volksgruppe, die umstrittene Energieblockade vom Winter und den Eurovision Song Contest, bei dem eine Krimtatarin in diesem Jahr erstmals die Ukraine vertritt.

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Beim Eurovision Song Contest in Stockholm wird die Krimtatarin Susana Dschamaladinowa alias "Jamala" ihre tragische Familiengeschichte darbringen und damit gegen die Besetzung ihrer Heimat durch Russland protestieren. Ilmi Umerow, ein Krimtataren-Politiker, der noch auf der Halbinsel lebt, steht hinter der Sängerin.

DIE FURCHE: Am 12. Mai vertritt die Krimtatarin Jamala die Ukraine beim Eurovision Song Contest. Was bedeutet das für Ihre Volksgruppe?

Ilmi Umerow: Kultur und Politik hängen immer eng zusammen. Dass eine Krimtatarin die Ukraine beim Song Contest vertreten wird, obwohl die Krim ein von Russland besetztes Gebiet ist, hat große Bedeutung. Sie hat das Zeug, den Wettbewerb zu gewinnen.

DIE FURCHE: Wie sehen Sie derzeit die Lage der Krimtataren?

Umerow: Wir sind die einzige politisch organisierte Kraft auf der Krim, die die Annexion durch Russland nicht anerkennt. Die Behörden versuchen, das Volk der Krimtataren in einem Zustand ständiger Angst zu halten. Es gibt Razzien und Strafverfolgungen. Mehr als 20 Krimtataren sind seit der Annexion spurlos verschwunden, zehn wurden ermordet.

DIE FURCHE: Zuletzt haben die russischen Behörden den Medschlis, das Parlament der Krimtataren, in dem Sie auch vertreten sind, als extremistische Organisation verboten. Wie reagieren Sie?

Umerow: Wir haben das leider vorhergesehen und deswegen schon im Februar beschlossen, dem Vorsitz des Medschlis alle Vollmachten zu übertragen. Wenn es für die 33 Mitglieder des Medschlis unmöglich wird, sich zu versammeln, dann wird der Vorsitzende Refat Tschubarow in Kiew die Entscheidungen im Alleingang treffen. Da der Medschlis die Vertretung für alle Krimtataren ist, sind wir nur noch einen Schritt von der Behauptung entfernt, das gesamte krimtatarische Volk sei extremistisch.

DIE FURCHE: Hängt das nicht auch mit der Energie-Blockade zusammen, die die Krimtataren im Winter durchgesetzt haben? Damals haben Aktivisten Strommasten gesprengt und somit die zwei Millionen Krimbewohner von der Stromversorgung abgeschnitten.

Umerow: Ich habe die Blockade vom ersten Tag an unterstützt. Ziel der Aktion war es, den Aggressor, der unser Land besetzt hat, zu bestrafen. Als Resultat hat Kiew den Warenfluss mit dem besetzten Gebiet beendet und liefert seit Januar 2016 auch keinen Strom mehr - das ist die Errungenschaft dieser Aktion. Russland muss jetzt den Strom über Gas-oder Benzingeneratoren gewinnen, was zehn Mal mehr kostet als die Verbraucher zahlen. Auf diese Weise treiben wir den Preis hoch, den Russland für die Krim zahlen muss.

DIE FURCHE: Die Blockade haben die Krimtataren gemeinsam mit dem radikalen "Rechten Sektor" durchgeführt. Das hat auch international Sympathien gekostet.

Umerow: Ich denke nicht, dass wir Sympathien verloren haben. Im Gegenteil. Durch die Blockade ist die Krim wieder in die Schlagzeilen gekommen.

DIE FURCHE: Präsident Poroschenko hat zuletzt einen "Dienst für die De-Okkupation der Krim" geschaffen, der auch eine Strategie für die Rückführung der Krim ausarbeiten soll. Was erhoffen Sie sich davon?

Umerow: Es ist nicht vorrangig, eine Strategie auf dem Papier zu haben, sondern Russland zum Verhandlungstisch zu bringen. Nur harte ökonomische Sanktionen können Moskau dazu zwingen, der Ukraine etwas zurückzugeben. Wenn die Ukraine alleine Russland gegenübersteht, ist sie verloren. Eine kriegerische Rückführung der Krim schließen wir natürlich aus.

DIE FURCHE: Zuletzt wurde in der Ukraine ein krimtatarisches Freiwilligenbataillon gegründet. Es gibt Befürchtungen, dass es zu einer Radikalisierung kommt.

Umerow: Die nationale Bewegung der Krimtataren predigt schon seit Jahrzehnten gewaltlose Mittel. Niemand kann uns vorwerfen, dass wir diese Grenze jemals überschritten hätten. Außerdem muss jede Bewegung auf dem Festland in die Strukturen der ukrainischen Streitkräfte integriert werden.

DIE FURCHE: Sie sind einer der wenigen krimtatarischen Politiker, die öffentlich über den Druck gegen die Krimtataren sprechen und noch auf der Krim leben. Leiden auch Sie persönlich unter Repressionen?

Umerow: Nach der Annexion bin ich von meinem Amt als Leiter der Regionalverwaltung von Bachtschyssaraj zurückgetreten. Meine Frau hat ihr Geschäft verloren, weil sie keine Räumlichkeiten mehr anmieten konnte. Zwei meiner Kinder sind mittlerweile arbeitslos. Auch meinen beiden Brüdern wurde jetzt gedroht, dass sie ihre Unternehmen verlieren werden.

DIE FURCHE: Angesichts der Lage: Haben Sie vor, auszureisen?

Umerow: Nein. Ich bin der Meinung, dass wir ein Volk der Krim sind. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die Krim in den Verbund mit der Ukraine zurückkehrt. Wir werden alles ertragen.

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