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Der Bock als Gärtner?

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Perfekte Demokratie? Wo gibt es die? Sie ist überall so unvollkommen wie die Menschen, die sie repräsentieren. Das gilt uneingeschränkt auch für unsere repräsentative Demokratie an sich.

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Perfekte Demokratie? Wo gibt es die? Sie ist überall so unvollkommen wie die Menschen, die sie repräsentieren. Das gilt uneingeschränkt auch für unsere repräsentative Demokratie an sich.

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Gestern noch hätte Jörg Haider das, was er jetzt auf seine Fahnen geheftet hat, „linken Chaoten“ Linksalternativen zumal - zugeschrieben: die Todeserklärung der repräsentativen parlamentarischen Demokratie.

Sie war linken wie rechten Populisten immer so etwas wie ein Dorn im Auge. Den einen immer zu wenig, anderen immer viel zu viel egalitär. Und wieder anderen zu wenig effizient, so nachzulesen ebenso beim Club of Rome wie schon bei Jean-Marie Guehenno. Demokratiekritik hat es immer gegeben und wird es immer geben.

Jörg Haider geht aber einen Schritt weiter: „Die Entzauberung der ehrenwerten Gesellschaft und ihrer bloß formaldemokratischen Maskerade eines Parlamentarismus steht an.“ Und er empfiehlt eine Radikalkur. „Wir werden den Weg zum Bürgerrechtsstaat nicht schaffen, wenn wir den Parteienstaat nicht überwinden. Die repräsentative Demokratie ist überholt. Es soll in Zukunft weder eine SPÖ noch eine ÖVP noch eine FPÖ geben, sondern Bürgerrechtsbewegungen, weniger repräsentative Demokratie. Im Zeitalter der Telekommunikation braucht doch wirklich der Bürger nicht mehr den Politiker, der ihm übersetzt, was er angeblich an Informationsvorteilen hat

Also mehr plebiszitäre Demokratie, der Hinweis auf die Schweiz darf da selbstverständlich nicht fehlen, Direktwahl von Repräsentanten auf allen Ebenen. Her mit der Telekra- tie, der Herrschaft durch Televoten, „Duell“-Show statt Parlament.

Durchdacht? Irgendwie erinnert Jörg Haider da eher ein bisserl an einen Feuerwehrmann, der erst einen Brand legt, um sich dann bei der Brandbekämpfung besonders her vorzutun. Hat er diese „Entzauberung“ gemeint?

Beginnen wir gleich bei der Direktwahl. Der ursprüngliche Plan einer Wahlrechtsreform hat Direktwahlkreise vorgesehen. Wer hatte etwas gegen direktgewählte Volksvertreter? Richtig, Jörg Haider. Und er intervenierte heftig (FURCHE 22/1990), von dieser Wahlrechtsänderung Abstand zu nehmen.

Wer hat denn in Kärnten zuletzt die repräsentative Demokratie durch Obstruktion und Boykott sabotiert? Wer hat dazu eine Volkserhebung gegen die gewählte Kärntner Volksvertretung zu inszenieren versucht? Haider hat das System nicht wie jetzt mit Worten, sondern in der Tat in Frage gestellt.

Formaldemokratische Maskerade: Er wurde als Repräsentant in den Kärntner Landtag gewählt. Mitsamt seinem zweiten Spitzenkandidaten Robert Rogner hat er sich aus dem Staub gemacht.

Formaldemokratische Maskerade: Damit Haider im März 1992 sein Sessel-Wechsel-Spiel vollführen und in den Nationalrat einziehen konnte, hatten 26 vor ihm gereihte Kandidaten eine Verzichtserklärung abgeben müssen.

Die Grundidee des freien Mandats, das der repräsentativen Demokratie zugrunde liegt, führt tatsächlich ein Kümmerdasein. Aber wer hat seiner Fraktion bei der EU-Ab- stimmung im Parlament das Abstimmungsverhalten diktiert? Wer hat den Skandal zu verantworten, daß bei der Wahl des Rechnungshofpräsidenten im Juni 1992 genau 32 Stimmzettel mit „F“ markiert werden mußten? Da will sich doch glatt ein Bock zum Gärtner machen.

Wobei sicherlich über die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems, über das Gleichgewicht von Strukturen und Funktionen, über die Balance von mittelbarer und unmittelbarer Demokratie nachgedacht werden soll und kann.

Wer für ein Mehr an plebiszitärer Demokratie die Schweiz als Beispiel heranzieht, sollte auch von den heftigen Diskussionen berichten, die dort gerade jetzt über dieses politische System geführt werden; sollte - bei aller Wertschätzung für die Eidgenossenschaft — hinzufügen, daß es auch nicht nur für politische Spitzenleistungen gut ist; und sollte gleichzeitig so ehrlich sein, auch hinzuzufügen, daß der Wähler bei unserem Nachbarn auf das am wenigsten direkten Einfluß hat, worauf es Jörg Haider hierzulande so sehr ankommt: auf die Bildung und Zusammensetzung der Bundesregierung. Cäsaristischem Ansinnen haben die Eidgenossen sogar ganz bewußt Schranken gesetzt.

Man soll Haiders Absage an die repräsentative Demokratie in Wort und Tat durchaus ernst nehmen. Dahinter steckt System. Er baut damit für die Zeit nach den Nationalratswahlen vom 9. Oktober vor: um den Repräsentationsorganen weiter das Wasser abzugraben. Gleichzeitig als parlamentarische wie durch außerparlamentarische Opposition.

Deshalb ist das System überholt? Guehenno dazu: „Die Größe der Demokratie liegt in der Tatsache, daß sie sich nie erfüllt. In dieser Hinsicht gleicht sie dem Menschen. Ein Mensch kann immer ein besserer Mensch werden ...“.

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