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Der Durst treibt Millionen vom Land in die Großstädte

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Der Nahe Osten bietet als trockene Region mit hohen Bevölkerungsdichten und politischen Feindseligkeiten Anlaß für Konflikte um Wasser. Am Jordan etwa weiß man, was es heißt, dem Nachbarn das Wasser abgraben. Seit der Gründung ihres Staates stritten die Israeli immer wieder mit ihren arabischen Nachbarn um die spärlichen Wasservorkommen in der Region/Seit 30 Jahren pumpen die Isralei Wasser aus dem See Genezareth. Die Freunde Israels bewunderten, wie man mit dem nationalen Wasserversörgungsnetz das Land zum Blühen brachte. Die Araber waren davon weniger angetan, sie beschlossen die Quellflüsse des Jordan - er speist den See Genezareth - umzuleiten. Israel wußte dieses Vorhaben durch Bombardierung der Baustellen zu verhindern.

Im Sechstage-Krieg 1967 gewann Israel die Golanhöhen von Syrien und damit die Hoheit über die Jordan-quellen. In darauf folgenden Waffengängen baute Israel seine Stellung als Regionalmacht weiter aus. Damit ' 'relngte es seinen Zugriff auf das W asser der Region.

Heute verbraucht jeder jüdische Siedler durchschnittlich 330 Liter am Tag. Dem im selben Land lebenden Palästinenser verbleibt oft nur ein Zehntel dessen. Auch daran wird nachvollziehbar, wie schwer der Konflikt zwischen Israeli und Palästinenser zu lösen ist.

Noch 1990 drohte der jordanische König Hussein mit einem neuerlichen Krieg wegen des Jordanwassers. Heute leben Israel und Jordanien in Frieden und planen gemeinsame Projekte für eine effiziente Wassernutzung. Insgesamt aber gibt es viel zu wenig Wasser in der Region. Dem Jordan ist schon soviel Wasser entnommen worden, daß der Pegel des Toten Meeres in den letzten dreißig Jahren um 17 Meter gesunken ist. Wie so oft ist allerdings das ökologische Gleichgewicht bei Problemen solcher Dimension das letzte, was berücksichtigt wird.

Mehr als alle anderen Länder ist Ägypten vom guten Willen seines Oberlauf-Nachbarn Sudan abhängig. Der Nil - seit mehr als 5000 Jahren

Garant und Symbol für die Fruchtbarkeit des Landes - entspringt in Zentral- und Ostafrika und fließt einen weiten Weg bis nach Ägypten.

Ägypten und der Sudan führten lange Zeit vor, wie man mit vernünftiger Politik Lösungen finden kann. 1959 schlössen die Nilanrainer einen Vertrag zur Aufteilung des Nilwassers. In den folgenden Jahrzehnten erarbeiteten Ägypten und der Sudan eine Reihe von Projekten zur besseren Nutzung des Wassers. Trotz gelegentlich?! politischer Spannungen* sah es bis vor kurzem so aus, als wäre die Zusammenarbeit bei Wasserfragen endgültig geklärt.

Folgen dem Krieg der Worte schon bald die Taten?

Das änderte sich am 26. Juni 1995, dem Tag des Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak in Äthiopien. Mubarak beschuldigte unmittelbar nach dem Anschlag das islamische Militärregime des Sudan, Drahtzieher des gescheiterten Attentats zu sein. Scheich Hassan al-Tura-bi, islamistischer „Chefideologe" des sudanesischen Regimes machte Ägypten darauf aufmerksam, daß der Nil unter sudanesischer Kontrolle sei. Wenn Ägypten weiter provoziere, könne man alle Verträge jederzeit rückgängig machen. Entzug von Nilwasser wäre ein „cassus belli" für die Ägypter. Amr Moussa, ägyptischer Außenminister, sagte in der Folge: „Sudans Spiel mit dem Wasser des Nils ist ein Spiel mit dem Feuer".

Zur Zeit ist es wieder ruhiger um die Nachbarn, doch hat der Krieg der Worte gezeigt, wie schnell der Entzug von Wasser zur Waffe werden kann.

Schwierigkeiten mit dem Oberlauf-Nachbarn hat auch Bangladesch. 1988 lief ein Vereinbarung über die Wasserteilung mit Indien aus, seither fehlt es Bangladesch an Gangeswasser. Bangladeschs Ministerpräsidentin Begum Khaleda Zia klagte vor der UNO über den Wasserentzug: Die Folge seien Dürren in der Trockenzeit - fruchtbares Ackerland liege brach, und in der Begenzeit komme es durch übermäßiges Ablassen von Wasser zu folgenreichen Überschwemmungen in Bangladesch.

Auf wiederholte Bitten Bangladeschs eine langfristige Lösung für die Aufteilung des Gangeswassers zu finden, stellte Indien für Bangladesch „unfaire" Bedingungen.

Experten warnen, daß Bangladesch aufgrund des Wassermangels vor ei-

ner ökologischen und ökonomischen Katastrophe steht. Felder trocknen aus, Flüsse versiegen, ein Drittel des Landes verwüstet. Durch die Entwicklung könnten 25 Millionen Bangladeschi - ein Viertel der Bevölkerung - ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Viele wären dann gezwungen, die Landflucht anzutreten und in die Stadt zu ziehen.

Die Probleme mit dem Wassermangel kulminieren in den Groß-' Städten. Bauern, die aufgrund ihrer tristen Lagehihren Boden aufgeben" und das Glück in den Großstädten suchen, tragen zur Bevölkerungsexplosion in den Städten bei. Die Stadtverwaltungen sind fast nirgends in der Lage mit den Problemen, die durch den rasanten Anstieg der Bevölkerung entstehen, fertig zu werden. Auch wasserreiche und gut organisierte Städte, wie Wien oder Bern könnte einen Zuzug von 50 000 Menschen im Monat nicht verkraften. Viele der großen Städte der Welt sind überbevölkert. Zu Mängeln bei der Infrastruktur kommt auch der permanente Wassermangel: Mexiko-Stadt, Lima, Kairo, aber auch Peking, Schanghai, Bombay und Istanbul sind nur einige Beispiele.

Die HABITAT II findet also in Istanbul statt. Auch diese Stadt kennt die Probleme, die durch zu schnelles Wachstum entstehen. Offiziell hat Istanbul heute neun Millionen Bewohner, inoffiziell spricht man von zwölf Millionen. Täglich kommen Menschen aus Mittel- und Südosta-natolien in die Metropole. Die Armenviertel am Stadtrand wachsen unaufhaltsam. Dort fehlt oft jegliche Infrastruktur, Abwässer fließen am Straßenrand dahin, der elektrische Strom wird von öffentlichen Leitungen angezapft, die Versorgung mit Nutz- und Trinkwasser funktioniert nur schlecht. In dieser Umgebung gedeihen nicht nur Krankheiten, sondern auch politischer und religiöser Extremismus.

Im eigentlichen Stadtgebiet geht es den Leuten zwar besser, aber auch dort leidet man unter der Entwicklung. Das Jahr 1994 bescherte Istanbul einen Bekordsommer. Die Wasserreserven der Stadt schrumpften wegen des ausbleibenden Begens und der extremen Hitze.

Der Geschäftsmann Mehmet Inan und seine Familie beispielsweisemußten sich auf den nie dagewesenen Wassermangel einstellen. Daß die Versorgung nicht immer reibungslos über die Bühne ging, war den Inans schon bekannt. Diesmal waren aber

nicht die Wasserwerke schuld, sondern die sich anbahnende Dürre. Durch alle Medien gingen dringende Appelle, den Wasserverbrauch drastisch einzuschränken. Beim Duschen sollte gespart werden, ebenso beim Wäschewaschen und Geschirrspülen. Die WC-Spülung sollte nur noch betätigt werden, wenn unbedingt notwendig, das hieß nach mehrmaliger Benützung. „Am schwersten war es "'die neuen'Rggelrden'Klridern beizubringen", sagt Inan, „dafür halten sie sich noch'h,eT!ite,yr'a,i1,,4JJ'in

Ein Wasseranschluß garantiert noch keine regelmäßige Versorgung

Dabei ist die Familie Inan privilegiert. Sie hat einen Wasseranschluß, wenn auch das Wasser nicht schmeckt und die Versorgung unregelmäßig ist. Weltweit müssen Millionen von Familien auf diesen Luxus verzichten. Dort sind es die Frauen, die das Wasser von Wasserstellen kilometerweit nach Hause tragen. Wir Europäer bewundern die Grazie, mit der sie den Krug am Kopf balancieren. Sie aber müssen immer weitere Wege auf sich nehmen, um halbwegs genießbares Wasser zu holen.

Und wir in Österreich? Mancher geht gleich im Wiener Südbahnhof in den Waschraum, um einen Schluck von dem köstlichen Naß zu trinken ...

Die Autoren sind

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