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Der Faktor Mensch in der Natur

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Für die Humanbiologie ist die Frage der Landschaftsgestaltung schon lange vor der EU-Debatte um die Bauern zentraler Forschungsgegenstand.

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Für die Humanbiologie ist die Frage der Landschaftsgestaltung schon lange vor der EU-Debatte um die Bauern zentraler Forschungsgegenstand.

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In den Fachgebieten der Biowissenschaften kristallisiert sich seit einiger Zeit ein neuer anwendungsorientierter Forschungsschwerpunkt heraus: die Kulturlandschaftsforschung. Gerade in einer Zeit, da angesichts unfmanzierbar werdender agrarischer Überproduktion intensiv über Flächenstillegungen und anschließende Kulturlandschaftsgestaltung nachgedacht wird, erscheint es angebracht, ein wenig über die Begriffe Naturlandschaft und Kulturlandschaft nachzudenken. Die hier vorgestellten Thesen stellen den Versuch dar, dieses Begriffspaar aus der Sicht eines Fachgebietes darzustellen, dessen zentraler Erkenntnisgegenstand der Homo sapiens ist.

Im Jahre 1976 veröffentlichte der Club of Rome unter dem Titel „The Limits of Growth" ein erstes ernüchterndes Resümee menschlicher Aktivitäten in der Biosphäre. Die Szenarien der Grenzen des Wachstums wurden zunächst jedoch nur zögernd zur Kenntnis genommen. Angesichts der prosperierenden Wirtschaft wurde negierenden Gegenstimmen zunächst mehr Gewicht verliehen. Ein Signal zu vermehrtem Umdenken wurde 1979 durch die „Erdölkrise" gesetzt: Das gesamte Weltwirtschaftssystem geriet augenscheinlich aus den Fugen. Die nachfolgende Phase wirtschaftlicher Rezession führte zu einer beträchtlichen Steigerung der Wertschätzung von Untersuchungen über „natürliche Grenzen". Die Frage „wieviel Mensch verträgt die Biosphäre" war gleichsam über Nacht zum wissenschaftlichen Paradigma erhöben worden.

Nun, die Resultate solcher Bestandsaufnahmen ernüchtern bekanntlich: Kaum ein Fleckchen Erde auf dem der Mensch nicht deutliche Spuren offensichtlicher Sorglosigkeit im Umgang mit den eigenen Lebensgrundlagen hinterlassen hätte und noch ständig hinterläßt. Angesichts dieser Tatsachen kann es daher nicht verwundern, daß das, was als „Natur" bezeichnet werden kann, ständig an Wert und Bedeutung gewinnt. Eine auf solche Weise mitunter zum abstrakt-diffusen Schutzobjekt mutierte „Natur" muß selbstverständlich vor schädigendem Einfluß durch den Menschen beschützt werden. Schutzgebiete und Nationalparks können also auch dadurch legitimiert werden, daß sie als Refugien einer vom Menschen unbeeinflußten Natur bezeichnet werden.

Vereinfacht kann dieser Zugang mit den Worten: „Je weniger Mensch, desto mehr Natur" umschrieben werden. Abgesehen davon, daß eine solche Definition gerne die Tatsache außer acht läßt, daß es gerade solche „Reservate" sind, die sich hervorragend für die Errichtung touristischer Infrastruktur eignen - frei nach dem Motto: „Jedem Nationalpark seinen eigenen Autobahnzubringer mit angeschlossenem Großparkplatz" - gilt es hier, abseits von jeglicher Polemik, einen interessanten Gesichtspunkt zu beleuchten: Trotz der allgemein akzeptierten Tatsache der (schädigenden) menschlichen Omnipräsenz besteht eine Kernstrategie des Naturschutzes noch immer in der Tatsache eine mehr oder minder restriktive Ausgrenzung dieser „Verursacher-Spezies" zu betreiben. Ist gemäß dieser Definition ein Schutz durch die Natur schützende Menschen nicht eigentlich schon ein Widerspruch? Nun, diese Frage wirft sogleich eine weitere auf: Für wen schützen wir Natur, wenn nicht für uns selbst - ist Naturschutz nicht eigentlich Menschenschutz? Maskiert sich das „an-thropische Prinzip" hier nicht einfach durch eine idealisierende Naturbetrachtung?

Schon alleine die Erwähnung des Begriffes Kulturlandschaft läßt in letzter Zeit die Augen manch eines „traditionellen" Naturschützers aufleuchten: Der neue euphorische Leitsatz, könnte, etwas überspitzt, wie folgt lauten: „Naturschutz für die Kulturlandschaft" Nachhaltige Entwicklung von Kulturlandschaft ohne den Menschen also? Oder doch zumindest ein Verharren in einer durch Idyll und Unverstand gekennzeichneten „Museumslandschaft" mit bäuerlichen Konservatorien oder konservierenden, nicht produzierenden Bauern gleichsam als deren Museumswärter? Ist Kulturlandschaft also ein statisches, konservatives Phänomen, das sich uns nur durch eine reflexive Betrachtung und Interpretation historischer „Ideallandschaften" in seiner erstrebenswerten Form erschließt? Oder bieten gerade Konzepte für nachhaltige Entwicklungen von Kulturlandschaften die ungeahnte Chance, endlich die ohnehin nur virtuell vorhandenen Dichotomisierung von Naturlandschaft und Kulturlandschaft über Bord zu werfen, um sich dann auf das wirklich wesentliche konzentrieren zu können? Die a priori inhaltslose Dualität Naturlandschaft versus Kulturlandschaft kann anhand der nachfolgenden Abbildung illustriert werden:

Bei dem unteren Bild erschließt sich djem Auge des Betrachters auf den ersten Blick eine karge und öde Wüstenlandschaft. Kein Mensch, so mag man denken, will sich in dieser feindlichen Umgebung niederlassen. Dennoch, das, was wir hier sehen, ist nicht Naturlandschaft, sondern per definitionem Kulturlandschaft! Handelt es sich bei der vermeintlichen Sanddüne doch um die Überreste eines Sakralbaues nahe des heutigen mittelägyptischen Ortes Beni Suef. Zur Zeit des sogenannten Mittleren Reiches (zirka 2052 - 1178 vor Christus) wurden hier Pharaonen-Pyramiden nicht mehr als massive Steinbauten errichtet, sondern ein steinernes „Achsenskelett" wurde mit Schutt und Sand verfüllt und anschließend mit Steinplatten verkleidet. Von außen war diese „Pyramide" nicht von jenen Pyramiden zu unterscheiden, wie sie noch heute in Gizeh als architektonische Großtat antiker Hochkulturen bewundert werden können. Freilich wurden die äußeren Verkleidungsplatten vermutlich schon bald nach der Bestattung des Pharao wieder entfernt, um als Baumaterial wieder Verwendung zu finden. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß dieser Ort ohne menschliche (Bau)-Tätigkeit auch nach rund 4.000 Jahren nicht „natürlich" ist, sondern ein Resultat (kultischer) Tätigkeit des Menschen.

Für die Erstellung einer in diesem Falle zutreffenden Diagnose ist die

Kenntnis des hierfür spezifischen historischen Kontextes also absolut erforderlich. Ohne dieses Wissen würde die Gefahr einer Fehldiagnose entsprechend hoch sein. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Ist es angesichts solcher Beispiele, die in beliebiger Zahl für nahezu alle Regionen dieser Erde aufgezählt werden könnten, nicht unerheblich, ob hier Natur-oder Kulturlandschaft betrachtet wird? Worin unterscheidet sich die (an sich interessante) Diagnose, wenn ihr noch ein wertbestimmender Landschaftsbegriff (und dieser unter Umständen falsch) zugeordnet wird. Wodurch gewinnt also Landschaft an Wert: mehr „Natur" oder mehr „Kultur"?

Angesichts dieser immer größer werdenden Fülle von Fragen erscheint es angebracht innezuhalten und zusammenzufassen: Gleich welcher „Denkschule" man sich selbst zurechnen mag, immer ist das Wahrnehmen einer Landschaft zunächst ein subjektives Kognitionsphänomen. Die neuronale Verarbeitung der Information sowie deren Interpretation im Sinne eines Speicherns und Abrufen von Bewußtseinsinhalten erfolgt unter dem Einfluß der jeweiligen Ideologien oder gar Dogmen einer solchen Denkschule (Stichwort: kollektives Bewußtsein). Aus dieser Interpretation schließlich werden Strategien für zum Beispiel nachhaltige Entwicklung einer Landschaft beziehungsweise deren rücksichtslose Ausbeutung und Zerstörung erarbeitet.

Erkennt und akzeptiert man diese Rolle des Menschen, so wird offensichtlich, daß der Disput um Begrifflichkeiten eigentlich nur durch ein grundsätzliches Überdenken des methodischen Zuganges zu modellhaften Entwicklungsszenarien entschieden werden kann: Je mehr Fachdisziplinen sich an einer interdisziplinären Annäherung aktiv beteiligen und ihre jeweiligen Zugänge einbringen, desto reicher wird die Informationsfülle, mit der dann jene Szenarien entwickelt werden können, die uns einem „sustainable De-velopement" ein Stück näher bringen. Ob diese Szenarien einer nachhaltigen Entwicklung ihre Gültigkeit in der Natur- oder Kulturlandschaft unter Beweis zu stellen haben, erscheint aus diesem Blickwinkel vorderhand einmal unerheblich zu sein.

Univ Ass. Dr. Harald Willing ist Lehrbeauftragter für Humanökologie am Institut für Humanbiologie der Universität Wien

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