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„Der geliebteste Sohn..

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Wien beherbergt seit Wochenbeginn einen der profiliertesten Staatsmänner und Politiker Südosteuropas: Der 52jährige Nicolae Ceausescu erwidert den vorjährigen Besuch des österreichischen Bundespräsidenten Franz Jonas. Es ist eine Begegnung ohne belastende Probleme, man kann es das Treffen einer problemlosen Freundschaft zwischen der Sozialistischen Republik Rumänien und dem neutralen Österreich nennen. Neben bilateralen Fragen stehen Probleme der europäischen Sicherheitskonferenz, Themen der Ost-West-Entspannung auf der Traktandenliste. Gerade in der heutigen internationalen Situation kann Österreich dem rumänischen Staatschef willkommene Gesprächspartner und Interpreten bieten. Diese Feststellung entspricht nicht etwa purer Selbstgefälligkeit des Ballhausplatzes. Bukarests Außenpolitik hat sehr geschickt viele Phasen gemeistert, kennt viele unerwartete Varianten und folgt einem sehr individuellen Rhythmus von Spannung und Lösung, Annäherung, Kritik, Ausgleich. Seit diesem Sommer ist Rumänien — nicht zuletzt unter dem Eindruck der erschütternden Hochwasserkatastrophe — mit neuen und alten Fragen konfrontiert worden: Währung der Einheit des sozialistischen Lagers, verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den übrigen COMECON-Partnern, ideologische Entscheidungsfragen — nicht zuletzt im Schatten des Verhältnisses Moskau—Peking. Diese Aufzählung gilt für den Osten und bedeutet zugleich intensive Besuche und Gegenbesuche zwischen den Parteiführern, Regierungschefs, Militärs sämtlicher Volksdemokratien und der UdSSR. Man gewinnt gegenwärtig den Eindruck, daß auf eine Zeltspanne blockinterner Kritik, Diskussion und Klärung wieder eine Phase monolithischer Einheit des Sowjetblocks gefolgt ist. Gegenüber dem Westen hat Rumänien vor und nach der Invasion der Tschechoslowakei stets die Politik einer gewissen „Öffnung“ betrieben. Diese Elastizität der externen und Außenhandelspolitik hat manche Beobachter zu voreiligen Schlüssen verleitet: Nicolae Ceausescu und die heutige Führung Rumäniens sind in ihrer Grundhaltung genau so überzeugt kommunistisch, genau so planwirtschaftlich und Ideologisch ausgerichtet wie etwa die Führungen In Bulgarien, Polen oder Ungarn. Der Ankauf westlicher Installationen und des know-how, die zusätzliche Ausbildung rumänischer Fachleute im westlichen Auslande, der Erfahrungsaustausch mit Ost und West berechtigen niemanden zu der Annahme, Bukarest vergesse auch nur einen einzigen Augenblick die ideologischen Grundsätze und die Zusammengehörigkeit aller kommunistischen Regimes. Verblüffung hat stets ausgelöst, daß Rumänien in manchmal spektakulären Einzelfragen sehr bestimmt und sehr souverän auf seinen Willenskundgebungen beharrte als da waren: Die Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Bruderparteien, die legitimen Einzelinteressen jedes sozialistischen Landes innerhalb des kommunistischen Weltlagers, die Kritik an dem Abkommen über Nichtverbreitung der Kernwaffen (Atomsperrvertrag) und auch Sondermeinungen über die Textierung von Freundschaftsverträgen — alle diese grundsätzlichen und aus der jeweiligen Konstellation vollzogenen Entscheidungen erfolgten mit einer oft kurzfristigen Schwerpunktbildung. Es ist eine Rundum-Strategie, die kürzlich ein rumänischer Diplomat in die Worte faßte: „Wir wollen gute Beziehungen zu allen Ländern und Nachbarn — zu allererst natürlich mit jenen Staaten, die uns weltanschaulich am nächsten stehen!“ Die Kunst, „es allen Leuten recht“ z tun, übt Rumänien seit einem volle

Jahrzehnt. Während die Bukarester Außenhandelspolitik gewissermaßen ohne ideologische Differenzierungen expandiert und neue Kontakte sucht, findet Rumänien im Westen noch am ehesten eine gemeinsame außenpolitische Sprache mit Neutralen wie Finnland und Österreich, oder auch mit Frankreich. Schon im Balkan-Donauraum gilt es, mit subtiler unablässiger Beweglichkeit und Gesprächsbereitschaft die gleiche Frequenz herzustellen. Darüber hinaus spielen für Rumänien Ideen der Zusammenarbeit zwischen mittleren und kleinen Staaten in ganz Europa oder die traditionelle Latinität im rumänischen Kulturleben eine Rolle. Staatsbesuche werden langfristig geplant. Staatspräsident Nicolae Zeausescu empfing im Vorjahr Prä-\ident Nixon, besuchte in diesem

Juni Frankreich und die Moskauer Freunde. Wien und Österreich bedeuten nur eine Station für Rumäniens Partei- und Staatschef, den der Sprachgebrauch seit Jahresfrist „cel mai jubii fiu äl poporului“ (,JDer gellebteste Sohn des rumänischen Volkes“) nennt — genau so übrigens wie seinen Vorgänger im Amt, Gheorghe Gheorghlu-Dej, nachdem dieser den .^Alleingang“ begonnen hatte. Der Wahrheitskern dieser Aussage über Nicolae Ceausescu ist insoweit von besonderem Belang, als Handlungsfreiheit, Taktik und Elastizität der rumänischen Führung im Inneren und Äußeren ganz entscheidend davon abhängen, ob und wie das Volk In Rumänien mit seiner Führung mitgeht, die Ceausescu heute repräsentiert.

Auch noch bis 26. September werden den rumänischen Staatsgast jahrhundertealte Erinnerungen und Symbole rumänisch-österreichischer Zusammengehörigkeit begrüßen. So wurde eine sehr entscheidende Epoche der rumänischen Renaissance im vergangenen Jahrhundert wesentlich durch Siebenbürger Rumänen und ihre Studienmöglichkeiten am Theresianum in Wien mitbestimmt. Nach dem Zerfall der Donaumonarchie haben manche wirtschaftliche und sehr viele kulturelle Beziehungen ein halbes Jahrhundert überdauert. Vielleicht kann dieser Besuch des rumänischen Politikers dazu beitragen, daß aus echter gesunder Überlieferung das österreichisch-rumänische Verhältnis erneuert und verstärkt wird.

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