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Der Irrtum der Computer

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Kurz vor dem ersten Wahlgang brachte die Pariser Wochenzeitung „Minute“ eine erbauliche Sience-fiction-Story. De Gaulle wurde demnach in den Parlamentswahlen entscheidend geschlagen und denkt an einen Staatsstreich. Aber schließlich zieht sich der General grollend in die Einsamkeit seines lothringischen Landsitzies zurück.

Diese Zukunftsvision hat sich allerdings nicht erfüllt, aber die politischen Beobachter und die nach dem ersten Wahlgang stolz geschwellten Meinungsforscher gestehen, daß die Stichwahl vom 12. März mit einem dramatischen Kopf-anKopf-Rennen zwischen Regierung und Opposition keineswegs den fundierten Voraussagen der ausgezeichneten Elektronengehirne entsprach. Die Regierungsparteien mußten gewisse Einbußen hinnehmen. So prominente Mitglieder wie der subtile Außenminister Couve de Murville oder der Schöpfer der französischen Atomstreitmacht, der Armeeminister Messmer, wurden geschlagen. Die Regierungspartei UNR vermochte die Einrichtungen der Fünften Republik nicht endgültig zu zementieren.

Die Unterschiede zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang erscheinen beachtlich. Am 5. März triumphierte die Fünflte Republik und eine massive absolute Mehrheit wurde auch von den Gegnern als Tatsache hingenommen. Das demokratische Zentrum wurde als vernichtet betrachtet, vollkommen unfähig, an der Bildung der neuen Machtverhältnisse mitzuwirken. Das Ziel de Gaulles schien erreicht. Eine geschlossene Mehrheitspartei steht einer schwächeren Opposition gegenüber, die durch Spaltungen und ideologische Spannungen nicht in der Lage wäre, eine konstruktive Gegnerschaft zum Regime zu betreiben.

Der zweite Wahltag hat diese klugen Dosierungen in Frage gestellt. Die UNR und ihre Hilfstruppen gehen immerhin geschwächt aus dem Kampf hervor und besitzen kaum mehr das absolute moralische Recht, die gesamte Nation zu vertreten. Die UNR kann erhebliche Aufbauerfolge vorzeigen, hat jedoch die soziale Komponente vernachlässigt, sie stieß jene Gruppen der Arbeiterschaft wieder ab, die in früheren Wahlgängen, von der KP abweichend, die Gaullisten wählten. Der Gaullismus war sich dieser Tatsache irgendwie bewußt, der Kulturminister Malraux sprach von einem New-Deal nach dem Vorbild Roosevelts und stellte sogar die vollständige Reform des Kapitalismus in Aussicht. Der Gesetzesvorschlag betreffend die Teilnahme der Arbeiter an den Gewinnen der Betriebe wurde eifrig diskutiert; de Gaulle selbst akzentuierte solche Tendenzen, aber die Integrierung der Arbeiterschaft in die gaullistische Gesellschaftsordnung kann als nicht vollendet betrachtet werden.

Die Kommunisten mit ihrem geschulten Kader und den zahlreichen Gemeindeverwaltungen vermochten der Arbeiterklasse vorzuspielen, daß sie allein in der Lage wären, die Interessen der Klasse entscheidend gegen den Monopolkapitalismus der Fünften Republik zu vertreten. Die extreme Rechte, die Anhänger eines halben Faschismus, wurden vernichtend geschlagen.

Überraschend konnte das demokratische Zentrum im zweiten Wahlgang die Positionen ausbauen. Es wurde, dem Wunsche des Gründers entsprechend, trotz der relativen Kleinheit ein Zünglein an der Waage. Die Wähler Lecanuets haben am 12. März, soweit sie nicht bei ihrer eigenen Partei verharrten, die linke Föderation gewählt und keineswegs, wie ursprünglich angenommen wurde, die UNR.

Die Opposition, in erster Linie die linke Föderation, hat in großer Geschlossenheit den Wahlkampf durchstanden. Der Einfluß der Kommunisten in dieser Ehe ist selbstverständlich entsprechend gestiegen. Ohne Zweifel beobachten wir die Geburt einer zentralistischen Linkspartei, die mit bedeutenderer Energie auftritt, als dies bisher in Frankreich der Fall war. In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob diese Partei ein eigenes Leben führen wird oder in den Sog der kommunistischen Partei gerät. Die Kommunisten stehen ebenfalls vor strukturellen Veränderungen, und eine nationale französische kommunistische Partei ist im Werden. Wieweit können totalitäre Ansprüche der Kommunisten im Rahmen der linken Föderation abgefangen werden, und in welchem Ausmaß sind die Kommunisten selbst bereit, ihrem Partner Gleichberechtigung anzubieten? Von der Beantwortung dieser Frage hängt das Schicksal der linken Föderation ab. Mitterand hat, vollständig auf sich gestellt, in den Präsidentenwahlen die Abneigung weiter französischer Wählermassen gegenüber dem Regime aufgefangen und kristallisiert. Es gelang ihm, die heterogenen Kräfte aus Sozialisten und Radikalen sowie die Klubs zusammenzufassen. Der demokratische Sozialismus, der in erster Linie die linke Föderation bestimmt, sollte genügend Kräfte besitzen, um die Geschenke der kommunistischen Danaer mit äußerster Vorsicht zu empfangen.

Schließlich sei vermerkt, daß eine der brillantesten politischen Persönlichkeiten des Landes, der frühere Ministerpräsident Mendes-France, in die Kammer zurückkehrt. Der Mendesismus wurde in den vergangenen Wochen wieder sehr aktuell und könnte ebenfalls der linken Föderation neue geistige Impulse bieten. In Mendes-France besitzt die Linke eine genügend attraktive Persönlichkeit, die als Kandidat für den Posten eines Staatschefs aufgebaut werden könnte.

Der Gaullismus hat nun bedeutende Anstrengungen zu unternehmen, um die echten sozialen Probleme der französischen Industriegesellschaft zu lösen. Erst nach dem Gelingen dieser Aufgabe könnte der Gaullismus die endgültige Bestätigung als eine politische Kraft besitzen, die der Wahlgang vom 12. März teilweise in Frage stellte.

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