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Der junge Staat...

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Die drei nordafrikanischen Staaten Algerien, Marokko und Tuniiis waren unter verschiedensten historischen und politischen Vorzeichen mit Frankreich verbunden. Frankreich sah durch ein Jahrhundert seine natürliche Fortsetzung am anderen Ufer des Mittelmeers. Robert Schuman erklärte ausdrücklich, daß der nach ihm benannte Plan auch eine wirtschaftliche Integrierung Nordafrikas in Europa vorsähe. In einem sehr grausamen Krieg erwarb Algerien die Souveränität, und wir erinnern uns, daß die IV. Republik über der algerischen Tragödie am 13. Mai 1958 zugrunde gegangen ist. Marokko und Tunis verwandelten bereits vorher ihr Statut als Protektorat oder Regentschaft in das eines unabhängigen Staates.

Die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien sind auch heute noch zwiespältig. Der junge Staat Algerien vertrieb sofort die seit drei Generationen ansässigen weißen Siedler, und mehr als eine Million Franzosen strömten in das Mutterland zurück. Die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, die Art der Austreibung beschweren die Gespräche mit Algerien. Dazu kommt das eigenartige Regime, das Algerien wählte. Ben Bella wurde einer der Propheten der dritten Welt, der mit Nkrumah und Sukarno die schillernde Mystik einer Gemeinschaft von Staaten pflegte, die besondere Vorrechte vom Westen wie vom Osten verlangte. Er wurde durch Oberst Boumedienne gestürzt, der sich zuerst nach dem Westen orientierte. In seiner Intran-Sigenz gegenüber Israel ist er jedoch „nasserischer“ als Nasser selbst.

... und sein Chef

Boumedienne ist überzeugt, daß er das Erbe Nassers antreten kann. Er torpediert jede Verhandlung mit Israel und predigt den Heiligen Krieg in der Form des Terrors, wie es eben die Algerier gegenüber Frankreich gewöhnt waren.

Der algerische Staatschef vertritt die strengste Form des arabischen Sozialismus. Die Religion nimmt allerdings einen bedeutenden Platz ein. Es liegt etwas Fanatisches in

diesem knochigen Gesicht. Er ist ein Mann, der sein Privatleben vollständig verbirgt und nur einer Leidenschaft fähig ist, die Revolution in den arabischen Staaten voranzutreiben. Da jedoch die Nachbarländer Tunis und Marokko die algerischen Aspirationen entschieden ablehnen, verstärken sich die Gegen-

sätze in diesem Raum. Aber auch in Algerien selbst tauchen Bedenken gegen diese Politik auf. Verschiedenste Widerstandsbewegungen gegen Boumedienne entstanden, wie die „Sozialistische Front“, „Die Bewegung des Volkswiderstandes“ und „Die Organisation der Algerischen Revolution“.

Der Nachbar Hassan

Auch die Nachbarn Algeriens betrachten mit gemischten Gefühlen den revolutionären Eifer ihres Bruders. Die Grenzkonflikte mit Marokko sind in frischer Erinnerung. Da Algerien mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist es nicht ausgeschlossen, daß der Kampf mit Marokko aktualisiert wird. Die Algerier sind fest überzeugt, und Oberst Boumedienne hat es mehrfach betont, daß sie als das nächste Opfer der „imperialistischen Aggression“ ausersehen seien. Sie nehmen an, daß die USA versuchen werden, die letzte und reinste Festung des arabischen revolutionären Geistes zu stürzen. Und was Israel gegenüber Ägypten darstellt, bedeutet Rabat für Algier. Denn Marokko ist der Hauptstützpunkt der USA in Afrika, und König Hassan II. gilt als ein politisches Liebkind des Weißen Hauses in Washington. Die marokkanische Wirtschaft und Armee ist teilweise von den USA finanziert und ausgerüstet.

Der „dritte Mann“

Es ist daher selbstverständlich, daß Boumedienne nach Moskau blickt und bereitwillig von der Sowjetunion modernste Waffen annimmt.

Die Gefahr eines Krieges in Nordafrika wird von Paris registriert und mit Unruhe betrachtet. Aber das gaullistische Regime bekundet der-

zeit größeres Verständnis für Algerien als für Marokko und Tunis. General de Gaulle setzt auf die revolutionären arabischen Staaten zuungunsten der Konservativen. Die Verurteilung Israels von französischer Seite hat sich fast noch verstärkt. Bourguiba und Hassan II. sind nach dem Geschmack des Elysee-Palastes zu sehr an die USA-Interessen gebunden...

Ja, auch Bourguiba, der Staatschef von Tunis, ist bei den Herren der V. Republik nicht gut Freund. Tunis hat nämlich den französischen Grundbesitz 1964 enteignet. Allerdings wurde der „Oberste Kämpfer“ in den vergangenen Wochen in Paris mehr gehört, als es seit den Zusammenstößen in Bizerta der Fall war.

Der tunesische Staatspräsident ist weder ein konservativer König noch ein Militär, sondern wünscht als Volkstribun bezeichnet zu werden. Er spielt am ehesten die französische und europäische Karte aus. Bourguiba ist ein Realist, der die verderbliche demagogische Politik zahlreicher arabischer Führer stets abgelehnt hat.

1965 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen Kairo und Tunis suspendiert und 1966 vollkommen abgebrochen. Nach dem 5-Tage-Krieg entsandte Bourguiba den Präsidenten des tunesischen Parlamentes nach Kairo. Dieser Sondergesandte erläuterte Nasser

ebenso die Politik Bourguibas, wie er sie im Oktober akzentuierte.

Die Legalität der UNO-Beschlüsse von 1947 bezüglich der Grenzen Israels steht außer Frage. Bourguiba betont: „Wir hätten die Karte des Friedens und der Zusammenarbeit ausspielen sollen“, und damit kommt der tunesische Staatsmann zu der Rolle führender Persönlichkeiten in geschichtlichen Krisen: „Es wäre heute besser für Nasser und für Ägypten, wenn dieser seinen Platz räumte, um eine Lösung zu erleichtern. Dies wäre ein Opfer für die arabische Sache. Es ist immer schwierig für jene, die Kriege geführt haben, Frieden zu schließen. Die Zeit der Leidenschaft ist vorbei. Schließlich sind die Juden Menschen wie wir alle anderen auch.“

Wird er in Kairo und Damaskus gehört werden?

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