6702410-1963_37_01.jpg
Digital In Arbeit

Der kleine Mann und die Partei

Werbung
Werbung
Werbung

Der Psychologe Peter Hofstätter zeigt in seiner „Gruppendynamik“ sehr überzeugend auf, daß Großgruppen, zu denen auch die Parteien gehören, im wesentlichen durch eine gemeinsame Aufgabe zusammengekittet werden. Dabei muß jedes aktive Mitglied das Gefühl haben können, wenigstens ein Kleines zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe beitragen zu können; es muß Bescheid wissen über die gemeinsamen Ziele, und die Zielsetzungen selbst müssen innerhalb eines gewissen Zeitraumes erfüllbar scheinen, um eine lebendige „Gruppenhoffnung“ datstellen zu können. Der „Erwartungshorizont“, die Zeit, in der solche erhoffte Ziele erreicht werden können, darf den Zeitraum von 15 Jahren nicht wesentlich überschreiten; sonst wird die Gruppenarbeit uninteressant, und die Gruppe beginnt abzubröckeln.

Was hier der Psychologe wissenschaftlich erarbeitet hat, erleben die Parteifunktionäre in den unteren Führungsgremien als Ermüdungserscheinungen und Krisenzeichen im praktischen. Alltag. Am stärksten war zunächst die SPÖ von solchen psychologischen Erscheinungen be troffen. Seit 1945 schwebt vielen ihrer Funktionäre die absolute Machtergreifung als begehrenswertes Ziel vor Augen; durch mehr als fünfzehn Jahre aber werden sie in ihrer Grup- penhoffnung immer wieder enttäuscht und auf eine langsamere und nur anteilige, daher auch unbefriedigende Durchsetzungsmöglichkeit verwiesen. So entbrannte eine Diskussion an der Oberfläche um ein neues Programm, tiefenpsychologisch aber um die Erweiterung des Wählerstockes und da- tnit der Machtbasis. Sie brachte bekanntlich als Ergebnis das neue Programm vom 14. Mai 1958.

In der Österreichischen Volkspartei, belehrt durch die Ereignisse von 1933 bis 1938, war das Bestreben nach einer alleinigen Machtausübung nicht vorhanden. Hier waren es andere starke Gruppenhoffnungen, die zum Teil innerhalb des Zeitraumes von fünfzehn Jahren erfüllt wurden, zum Teil der Abnützung verfielen. So ist etwa der Kampf um die Freiheit und den wirtschaftlichen Aufbau positiv abgeschlossen; noch offene Probleme sind subtil geworden und damit für viele unverständlich; die Hoffnung, eine Gesellschaft nach den Vorstellungen der christlichen Soziallehre aufzubauen, wurde zermürbt und verflacht. Natürlich büßte mit der Erreichung der großen österreichischen Ziele auch der große Schwung, der die Partei im Jahr 1945 und in den folgenden Jahren beseelt hattje, einen Teil seiner Kraft ein; das

Unbehagen darüber führte zum Gerede von den „Reformern“. Im Gegensatz zur SPÖ, die ihrem Unbehagen in breit angelegten Diskussionen tausender Gruppen über einen neuen Programmentwurf Rechnung trug, wich man in der Volkspartei solchen Diskussionen aus.

Schließlich stand man ja immer in der Defensive; so ist nicht einmal der Begriff des „Reformers", mit dem manche Zeitungen großartig jonglieren, im Fußvolk der Partei klar und eindeutig Umrissen. Im Gespräch stellt sich oft heraus, daß Personen, die nach einer Reform rufen, genau dasselbe meinen wie die anderen, die sich gegen eine Reform stemmen. Der Begriff hat nach Ländern, Bünden, ja Bezirken einen anderen Inhalt; die gemeinsame Sprache über diese Dinge fehlt.

Von mancher außerhalb der Partei stehenden Seite wird vielfach die Meinung vertreten, daß die Rufe nach Reform von jenen Gruppen stammen, die sich als „Ehemalige“ in der . ÖVP etabliert haben und aus einem rudimentären Rechtsradikalismus heraus auf eine Sprengung der staatserhaltenden Koalition hinarbeiten. Dem Verfasser dieses Artikels liegt es sehr fern, Neonazismus in seinen offenen oder subtileren Formen zu bagatellisieren; er findet es aber verantwortungslos und unwahr, die Volkspartei mit einem solchen Makel zu versehen. Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß sich innerhalb der ÖVP bereits eine andere Ideologie breitge- mächt habe, die von „Unterwanderern“ in die Partei hineingetragen worden sei.

Nein, die Dinge liegen viel diffiziler; Die heute noch überzeugten Nationalsozialisten suchen sich nicht die ÖVP als Feld ihrer Aktivität aus. Die sogenannten „Ehemaligen", die sich im Zug der innenpolitischen Integration in der ÖVP genauso wie in der SPÖ eingefunden haben, haben sicherlich eine Wandlung ihrer Ansichten durchgemacht. Aber wie erfolgte sie? Die ersten Jahre nach 1945 fürchteten sie wie das gebrannte Kind das politische Feuer und waren auch wirklich von ihrer Ideologie enttäuscht. Sie wandten sich auch keiner neuen zu, sondern hatten genug damit zu tun, die nackte Existenz zu sichern, ihr Leben neu aufzubauen. Gründlich entideologisiert (mit Ausnahme von „Ideenresten“, die sie scheinbar schwer abstreifen können), wirtschaftlich wieder gestärkter, begannen sie geraume Jahre nach „ihrem Zusammenbruch" die Parteien des demokratischen Österreich zu entdecken. Häufig führten rein wirtschaftliche Überlegungen zum Beitritt oder zu Mitarbeit, obwohl hier nicht verallgemeinert werden darf. Aber es war manchmal doch sehr offensichtlich, wenn der Herr XY die Parteiveranstaltungen nur so lange besuchte) bis er seine Subventionen ausbezahlt bekam. Und was dem einen seine Subvention, war dem anderen sein Postchen, seine Karriere. Sicher gab es solche Erscheinungen zu allen Zeiten; sie sind nie ganz zu vermeiden, haben aber leider die Tendenz zu breitge- streuten unangenehmen Mißständen: Die Partei wird immer allgemeiner als bloße Interessenvertretung gesehen, der parteiinterne Dschungelkrieg um Positionen steckt auch ursprüngliche Idealisten an; ein echtes Ringen um i. die Durchsetzung eines Programm-Punktes oder eines Projektes zum Wohl der Gemeinschaft wird seltener.

Auf diese Weise bilden sich dann auch da und dort örtliche Gruppierungen: Auf der einen Seite fühlen sich gewisse Personen als eigentlicher „Parteikern“ mit klaren Vorstellungen über die Aufgaben ihrer Partei, auf der anderen Seite stießen gute Praktiker und Manager ohne eigentliches Mitfühlen um die Parteisache in führende Funktionen vor. Wenn jemand für diese Gruppe ein Wort sucht, das die Abgrenzung zum „Kern“ bezeichnet, so könnte er höchstens von einem „Rand" sprechen oder von bloßen Interessengruppenpolitikern.

Keineswegs ist es so, daß nun die „Reformer“ en bloc im Gegensatz zum „Kern“ stünden. Es gibt in der alten Kerngruppe genügend Stimmen, die nach „Reform“ rufen, und es haben sich anderseits auch Mitarbeiter, die später zur Partei stießen, die Namensbezeichnung „Reformer“ ab und zu gern gefallen lassen. Die Reformwünsche sind dementsprechend auch sehr verschiedenartig.

Es ist daher auch nur zu verständlich, daß sich, abgesehen von lokalen Führungsgruppen, in der großen Masse der unteren Funktionäre keine Fronten zwischen „Reformern" und „Antireformern" gebildet haben. Die Obmänner der einzelnen Ortsgruppen oder Bezirksgruppen, seien es nun solche der Gesamtpartei oder der Bünde, haben, im großen und ganzen dieselben Sorgen und ein einheitliches Bild von den Bedürfnissen, die eine neue Zeit an die Parteiführung herangebracht hat. Eine Reform der Grundstruktur der ÖVP wird allgemein als überflüssig und schädlich angesehen. Die drei Bünde sind eine derartige realpolitische Tatsache, daß sie nicht zu ändern ist; auch ist das Konzept von den drei, die getrennt marschieren und vereint schlagen, nicht nur für 1945 richtig gewesen, sondern hat auch heute noch unleugbare Chancen. Pessimisten fürchten freilich, daß vor zu vielem „Getrenntmarschieren“ die Partei auch einmal getrennt geschlagen werden könnte; und hier gilt es, Sicherungen stärkerer Art einzubauen. In der praktischen Arbeit der Ortsgruppen ist es gewiß auch stark nachteilig, daß die Führung der Gesamtpartei bei örtlich notwendigen Aktionen häufig finanziell behindert ist, weil die Mitgliedsbeiträge ausschließlich bei den Bünden liegen. Parteiaktionen müßten mit demselben Ernst durchgeführt werden wie die Aktionen der einzelnen Bünde. Fehlt es in einer

Ortsgruppe an einem starken Parteiobmann, dann ist dort die Partei kaum mehr am Leben, sondern in Bünde zerfallen. Um dies zu ändern, bedarf es aber keiner großen Reform, es genügten Geschäftsordnungsbeschlüsse.

Auch die Koalition mit der SPÖ, die laut Zeitungsmeldungen von den „Reformern“ so stark negiert werden soll, wird von einer überwiegenden Mehrheit der örtlichen Obmänner nicht angetastet. Es gilt als erwiesen, daß der Weg der Volkspartei seit 1945 richtig war und daß allein dieser Weg nicht nur Österreich konstituiert hat, sondern auch für die Zukunft das Errungene am besten sichert.

So hat sich das meiste, was über den Zwiespalt zwischen Reformern und Reformgegnern geschrieben wurde, als übertrieben erwiesen; die Gesamtpartei blieb davon unberührt; örtliche Gewitter wirkten sich nicht so aus, wie es die Gegner der Volkspartei erhofften.

Was bleibt nun von dem Bundesparteitag in Klagenfurt, der als „Parteitag der Reformer“ ausge- schrien wurde? Es bleibt eine sicher sehr bedeutsame Wahl der obersten Parteispitze und es bleiben verschiedene Wünsche nach einer notwendigen Anpassung an neue Zeitverhältnisse und veränderte Gesellschaftsstrukturen. Žum Unterschied von der SPÖ wird in der ÖVP von einer Reform des Programms am wenigsten gesprochen. Zugegeben: Es liegt wirklich nicht im Wesen des Österreichers, sich an programmatischen Entwürfen zu berauschen; das ist eher eine deutsche Vorliebe. Es wäre aber gut, sich des alten Programms zu besinnen und in der von den . Praktikern entideologisierten' Partei wieder mehr den Gedanken der christlichen Demokratie und der österreichischen Ide-e zum Dominieren zu verhelfen. Das hieße aber, nicht so sehr eine Reform der Institutionen und des Programms anzustreben, als vielmehr eine Reform der Gesinnung ins Werk zu setzen. Eine solche Aufgabe kann aber gar kein Bundesparteitag bewältigen, er kann sie höchstens proklamieren; die Durchführung liegt unten und auf breiter Basis.

Die kleineren Funktionäre wären zufrieden, wenn ihnen der Parteitag folgende „Geschenke“ brächte:

• Maßnahmen zur Stärkung der Ge- samtpartei;

• Streuung der Funktionen;

• gerechtere Verteilungen des Einflusses;

• stärkere Betonung eines gesamtparteilichen sozialpolitischen Konzepts, das auf den Gedanken der christlichen Soziallehre fußt;

• gezieltere Nachwuchsschulungen für untere und mittlere Funktionäre;

• Fortführung der Jugendparlamente unter Herausarbeiten der Grundsatzlinie;

• Förderung größerer Demokratie innerhalb der Partei ohne Verfemung und Diffamierung von Personen, die ein „offenes Wort“ wagen;

• Übergehen von der Defensive zur Offensive, zunächst auf den dringendsten Gebieten (Wohnungsproblem, Familienpolitik, Jugendförderung);

• nicht zuletzt eine stärkere Betonung der Idee Österreich.

Es gibt genug Männer in der Volkspartei, unten wie oben, die den rechten Weg wissen. Es gibt auch genug politische Ziele, für die man die Jugend gewinnen kann. Für sie kann die ÖVP die Partei der großen Hoffnung werden, wenn sie es versteht, aus dem guten alten Geist von 1945 zu neuem Aufbruch in die geänderten Zeitverhältnisse zu schreiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung