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Wer den Regierungssitz der "Volksrepublik Donezk" betreten will, sollte eine Flasche Wodka mitbringen. "Dann beißen wir auch nicht", sagt Pawel, der vor dem Sowjetbau am Schewtschenko-Boulevard in Donezk Wache schiebt. Früher saß in dem Haus die Gebietsverwaltung der Region. Jetzt dient das Gebäude den pro-russischen Rebellen als Hauptquartier.

Donezk gilt als Hochburg der pro-russischen Separatisten. Die Industriestadt ist neben Luhansk die am meisten umkämpfte Stadt in der Ostukraine. Erst am Wochenende startete die ukrainische Armee eine Großoffensive auf die Region, bei der mehrere Menschen starben.

In der marmorgetäfelten Eingangshalle hängt ein Foto von der abgeschossenen Boeing-777 der Malaysian Airlines, die vor zwei Wochen in der Region Donezk abgeschossen wurde. Trauerflor hängt über dem Bild, darunter stehen Blumen und Kerzen. "Wir haben das Flugzeug nicht abgeschossen", beteuert Pawel. Der vermummte Separatist glaubt, die ukrainische Luftwaffe habe auf das Passagierflugzeug geschossen. "Das war doch ein Komplott der CIA, um uns als Terroristen zu brandmarken", sagt der 36-Jährige. "Auch wir trauern um die Opfer", fügt er hinzu.

Starke russische Verbindungen

"Ich glaube nicht, dass die Rebellen das Flugzeug absichtlich abgeschossen haben", sagt auch Enrike Menendez. Der 30-jährige Aktivist aus Donezk hat spanische Wurzeln und ist ein bekanntes Gesicht in der Millionenstadt. Sein Großvater kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner, lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost-Berlin und ging später in die Sowjetunion. Dort heiratete er eine Russin von der Krim. Über die Familiengeschichte wurde in Donezk sogar ein Dokumentarfilm gedreht.

Menendez selbst steht auf der Seite der Regierung in Kiew -und ist damit in Donezk in der Minderheit. Rund 70 Prozent der Donezker unterstützen die Separatisten. "Donezk ist sehr stark mit Russland verbunden, viele haben Verwandte jenseits der Grenze", erklärt Menendez. Bei einer Volkszählung 2001 bezeichnete sich jeder zweite Donezker als "Russe".

Im März organisierte Menendez Demonstrationen, um die Kiewer Maidan-Regierung zu unterstützen. Später, nachdem die Separatisten die Macht in Donezk übernommen hatten, setzte er sich für die Befreiung von Zivilisten ein, die von den Rebellen gefangen gehalten wurden. Eigentlich, sagt der Mann mit dem blauen T-Shirt, habe er sich aus der Politik raushalten wollen. Menendez besitzt in Donezk eine Werbeagentur und kümmerte sich bis vor Kurzem hauptsächlich um das Geschäft. "Doch als ich im Frühling russische Flaggen auf dem Leninplatz sah, war das für mich sehr schmerzlich."

Menendez widerspricht der offiziellen Sprachregelung Kiews, wonach das Militär in der Ostukraine eine "Anti-Terror-Operation" führe. "Das ist ein Bürgerkrieg, weil die meisten Aufständischen aus der Region kommen", sagt er. Das Wostok-Bataillon, das von dem Ukrainer Alexander Chodakowski kommandiert wird, setzt sich beispielsweise hauptsächlich aus ehemaligen Polizisten der Spezialeinheiten Berkut und Alfa zusammen. Diese Einheiten waren auf dem Maidan für die vielen Todesopfer unter den Demonstranten verantwortlich. Auch in der von Wadim Kertsch geführten Russisch-Orthodoxen-A rm e e und in der Truppe Oplot kämpfen mehrheitlich Ukrainer aus dem Donbass.

Angesichts der bedrohlichen Lage ist es in Donezk tagsüber erstaunlich ruhig. Auf den ersten Blick erinnert hier nichts an Krieg, die Stimmung scheint eher wie an einem Sonntag, wenn wenig los ist in der Stadt. Trolleybusse fahren den Schewtschenko-Boulevard entlang, wenige Fußgänger und Autos sind auf den Straßen der Millionenstadt zu sehen. Die meisten Cafés im Stadtzentrum haben geschlossen. Die McDonald's-Filialen, in den Augen der Separatisten ein Symbol des Westens, machten schon vor Wochen dicht.

Jede Nacht Kriegslärm und Angst

Am Leninplatz sitzt Boris Oleynik im Golden Lion, einem irischen Pub. Fast jede Nacht hört er aus seiner Wohnung Maschinengewehrsalven, die Einschläge der Artillerie und das Pfeifen der Raketen. Wer die Geschosse abfeuert, Rebellen oder Armee, weiß der 26-jährige Musiklehrer nicht. Oleynik hat für die Separatisten nichts übrig. "Ich unterstütze niemanden, der Waffen in die Hand nimmt", sagt der Musiklehrer. Aber auch die Maidan-Revolution sieht er skeptisch. "Die USA und Europa haben den Regierungswechsel finanziert", fügt er hinzu. Mit Präsident Petro Poroschenko sei er dennoch zufrieden. "Ich hoffe, dass er das Land nach Europa führt."

Nur Studenten und eine schmale Mittelklasse würden in seiner Heimatstadt eine EU-Integration unterstützen, sagt er. Dass sich die Krise in der Ukraine zu einem bewaffneten Konflikt entwickelt, hätte Oleynik niemals geglaubt. "Du wachst auf und plötzlich bist du im Krieg."

Der Krieg kommt immer näher. Die Armee steht im Norden, Westen und Süden vor den Plattenbauvororten. Auch am Hauptbahnhof und am Flughafen wird gekämpft. Häufig setzen Armee und Rebellen BM-21-Mehrfachraketenwerfer ein, eine Weiterentwicklung der "Katjuscha" aus dem Zweiten Weltkrieg. Die auf Lastern montierten Raketen können nicht auf ein konkretes Ziel gelenkt werden, sondern schlagen nur in einem bestimmten Umkreis ein.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert die Regierung in Kiew für den Einsatz der Raketen. Denn immer wieder zerstören die Geschosse Wohnhäuser. Am 12. Juli detonierten im Petrowskij-Bezirk in einem Umkreis von 600 Metern 19 "Katjuschas". Bei dem Angriff starb eine Familie mit zwei Kindern. Für die zivilen Opfer seien die Rebellen mitverantwortlich, sagt Human Rights Watch. Die Aufständischen wiederum postierten Panzer und Artillerie in Wohngebieten und machten Zivilisten zur Zielscheibe des Militärs. Über 1.200 Zivilisten starben seit Beginn des Krieges in der Ostukraine.

Derzeit setzt die Kiewer Armee ihre Angriffe auf Gorlowka nördlich von Donezk fort. Wenn der Ort eingenommen worden ist, sagt Armeesprecher Wladislaw Selesnow, wolle das Militär eine Großoffensive auf Donezk starten. Man wolle die Stadt nicht bombardieren, sondern mit Infanterie von Bezirk zu Bezirk vorrücken. Dann aber könnte es zu wochenlangen Straßenkämpfen kommen. Der Stadt stünde ein ähnliches Schicksal bevor wie Slowjansk, das zwei Monate lang ohne Wasser und Strom eingekesselt war. "Daran will ich gar nicht denken", sagt Lehrer Boris Oleynik.

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