Uiguren und EU-Parlament  - © Foto: Wolfgang Machreich

Der Mann aus Xinjiang

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Die Tochter des uigurischen Sacharow-Preisträgers Ilham Tohti erklärt im FURCHE-Interview, warum ihr Vater kein politischer Aktivist ist und trotzdem zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

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Die Tochter des uigurischen Sacharow-Preisträgers Ilham Tohti erklärt im FURCHE-Interview, warum ihr Vater kein politischer Aktivist ist und trotzdem zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

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Die Tochter glaubt nicht, dass ihr Vater weiß, dass ihn das Europäische Parlament mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit ausgezeichnet hat, dass sie am Mittwoch dieser Woche den Preis in Empfang genommen hat, dass er damit in einer Reihe von Preisträgern wie Nelson Mandela steht. Die Tochter hat seit mehr als zwei Jahren nichts mehr von ihm gehört: „Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt!“ Schweigen. Pause. Stille.

Die FURCHE hat 15 Minuten Interviewzeit mit Jewher Ilham, der Tochter von Ilham Tohti, dem eingesperrten uigurischen Gelehrten, dem „verurteilten Kriminellen“, wie das Pekinger Außenamt schimpft, dem würdigen Sacharow-Preisträger 2019, wie das Europäische Parlament lobt, zugeteilt bekommen. Die Journalistin von RAI (Radiotelevisione Italiana) wartet schon, schaut streng, dass sie nur ja keine Minute später als vereinbart ihren Interview-Slot im Straßburger EU-Parlament übernehmen kann.

Die Redezeit ist knapp bemessen. Dennoch. Wenn eine Tochter sagt, dass sie nicht weiß, ob ihr Vater, der Preisträger, der Wissenschaftler, der Menschenrechtler überhaupt noch lebt, dann stellt das eine Stopptafel auf. Dann ist der Moment erreicht, von dem Jewher Ilham am Ende des Interviews sagen wird: „Bei meinem Vater geht es nicht um Politik. Bei meinem Vater geht es um Menschlichkeit.“

Bei der Verleihung des Sacharow-Preises geht es um beides, mit der Wahl Ilham Tohtis, der Würdigung seiner Arbeit und der Forderung nach seiner sofortigen Freilassung sendet das Europäische Parlament ein starkes politisches Signal an die politische Führung in Peking. Das von dieser auch so verstanden und strikt zurückgewiesen wurde. „Was für ein Preis ist das?“, versuchte die Sprecherin des Außenamtes in Peking den wichtigsten EU-Menschenrechtspreis klein zu reden. Gleichzeitig betonte sie, dass China hoffe, die Europäische Union respektiere die inneren Angelegenheiten und die rechtliche Souveränität Chinas und unterstütze keine Terroristen.

Ihr Vater ein Terrorist? Für Jewher Ilham ist diese Zuschreibung absurd: „Mein Vater versuchte, eine friedliche Brücke zwischen Han-Chinesen und Uiguren zu bauen. Er hat sich nie für Unabhängigkeit eingesetzt, nie für Gewalt.“ Warum wurde ihr Vater dann vor fünf Jahren nach einem zweitägigen Schauprozess wegen Separatismus zu lebenslanger Haft verurteilt? „Anklage und Verurteilung waren absolut falsch, wir haben dagegen berufen“, antwortet sie. Ihrer Meinung nach wurde Ilham Tohti eingesperrt, „weil mein Vater einer der wenigen bekannten uigurischen Gelehrten ist, der in Peking lebte, der fließend Chinesisch, Uigurisch, Englisch spricht, und seine wissenschaftlichen Arbeiten geschätzt und gehört wurden.“

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