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Der Mann nach Lübke

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Erst war es fatal, dann schien es sehr einfach zu sein, und schließlich ist es sehr kompliziert geworden. Das Auftreten von Bundespräsident Heinrich Lübke hatte seinerzeit in der Öffentlichkeit und bei den Politikern mancherlei Kritik hervorgerufen. Ihnen schien, der Präsident besitze nicht genügend Ausstrahlungskraft, ja es gebe mancherlei peinliche Pannen. Deshalb rief man nach dem Rücktritt des Präsidenten. Aber Lübke ist ein gewissenhafter, tiefreligiöser Mann. Er war der Meinung, das Amt, das ihm übertragen worden sei, bis zum letzten ausfüllen zu müssen. Am Ende ließ er sich nicht mehr abringen, als daß er an seinem letzten Geburtstag im Oktober seinen Rücktritt für den 1. Juli 1969 ankündigte, der ohnehin im September desselben Jahres fällig wird. Der Rücktritt soll danach am 10. Jahrestag der Wahl Lübkes erfolgen. Die offizielle Begründung: durch den früheren Wahltermin solle die Wahl des Bundespräsidenten nicht in den Parteienkampf um die Bundestagswahl hineingezogen werden.

Der Kressbronner Kreis

Im Grunde weiß jeder, daß dies nur der von allen Seiten vorgeschobene Grund ist. Tatsächlicher Ausgangspunkt war der Wunsch, Lübke bald abzulösen. Inzwischen ist das Ringen um den neuen Bundespräsidenten genauso zum Streit zwischen den Parteien geworden wie alles andere. Dazu wird in besonderer Weise deutlich, wie weitgehend wichtige politische Entscheidungen in der Bundesrepublik mehr und mehr in kleine, ja kleinste Kreise verlegt werden. So hat sich seit Errichtung der Großen Koalition der Kressbronner Kreis etabliert, dem etwa ein halbes Dutzend Politiker der beiden Koalitionsparteien angehören. Man fragt heute in Bonn weniger danach, was das Kabinett in einer Sache beschlossen hat, als vielmehr danach, was vom Kressbronner Kreis entschieden worden ist. Weiß man das, dann kennt man den Richtpunkt. Allerdings hat auch die Begrenztheit des Kressbronner Kreises der „Bonnschen Krankheit” nicht entgehen können. Spätestens einige Tage nach seinen Beratungen weiß in der Regel ein ansehnlicher Kreis von Nichtteilnehmem, was beraten und beschlossen und wie es beraten und beschlossen worden ist.

Auch die Bundespräsidentenwahl wird von den Parteien in ähnlicher Abgeschlossenheit verhandelt. Nicht natürlich im Kressbronner Kreis. Aber sowohl bei der Union wie bei der SPD sind ganz kleine Gruppen als Königsmacher am Werk. Auch gehen bereits seit längerem zwischen den Parteien Fühlungsnahmen hin und her. Dabei spielt die FDP eine besondere Rolle. Sie fühlt sich mit unverhüllt zur Schau getragener Genugtuung als das Zünglein an der Waage. Denn ohne sie hat weder die Union noch die SPD eine Mehrheit in der Bundesversammlung, die aus dem Bundestag und den Landparlamenten zusammengesetzt ist und den Bundespräsidenten zu wählen hat.

Zu ihrem Unglück bildet die FDP jedoch in den seltensten Fällen eine verläßliche, geschlossene Einheit. Keiner ihrer führenden Männer kann daher mit Sicherheit gewährleisten, daß sämtliche Stimmen dieser Partei für einen bestimmten Kandidaten abgegeben werden. Hinzu kommt, daß in der Bundesversammlung auch noch etwa zwei Dutzend NDP-Vertreter aus den Länderparlamenten sitzen werden. Sie können zwar die Wahl nicht immittelbar beeinflussen. Aber kein Kandidat wird erfreut sein, wenn ihm Stimmen dieser Partei zufließen.

Der erstgenannte Kandidat

Als erste Partei hat die SPD ihren Kandidaten benannt: Bundesjustizminister Dr. Gustav Heinemann. Sein politisches Profil wird erst faßbar, wenn man daran denkt, daß er ein bedeutendes Mitglied in der Spitze der evangelischen Kirche ist. Er kommt, wie seine Frau, von Karl Barth her und ist mit Martin Niemöller verwandt. Von seinem Protestantismus her kommt sein Verhältnis zum Staat. Seine Kritiker finden, praktisch habe Heinemann zum Staat überhaupt kein Verhältnis. Überdies bezeichnen sie ihn als einen Neutralisten. Beides mache ihn, so sagen sie, zum Präsidenten der Bundesrepublik ungeeignet.

Die SPD hat mit der Bekanntgabe ihres Kandidaten schneller gehandelt als die Union. Das liegt an der Methodik, mit der bei ihr Politik betrieben wird. Die Partei denkt lange voraus. Sie ist eine Partei der Planung. Bei der Union gibt es eine derartige disziplinierte Systematik nicht.

Aus drei mach eins, aber …

Bei der Union gab es zunächst drei Kandidaten: Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder und den Präsidenten des Evangelischen Kirchentages, von Weizsäcker. Bei den Überlegungen spielte eine Rolle, daß der Kandidat diesmal wieder ein Protestant sein solle. Die Kandidatur eines Kirchentagspräsidenten ist im übrigen nicht neu. Man hatte schon 1959 erwogen, den damaligen Kirchentagspräsidenten Reinold von Thadden-Trieglaff als Kandidaten der Union zu benennen. Alle drei Kandidaten waren bereit, anzunehmen. Gerstenmaier fiel aber bald aus, als geltend gemacht wurde, er werde keine Stimmen der Freien Demokraten auf sich ziehen. Daraufhin erschien Schröder als der gegebene Kandidat, und ‘ damit schien alles so gut Wte klär zu sein. Abte da wurde die Abneigung sichtbar, die Bundeskanzler Kiesinger seit Jahr und Tag gegen Schröder mit sich herumträgt. Kiesinger kann sich auch wohl einfach nicht in die Lage hineindenken, daß Schröder als Bundespräsident ihn als Bundeskanzler zum Vortrag bestellt. Darüber hinaus geriet Schröder durch die Kandidatur in eine vertrackte Lage. Soll er sich zum Bundespräsidenten vorschlagen lassen, ohne sicher zu sein, daß er gewählt wird? Soll er Bundespräsident werden und darauf verzichten, vielleicht Bundeskanzler zu sein? Soll er also praktisch seine politische Laufbahn beenden?

Die Zeit drängt

Durch die Entwicklung kommt die Union nachgerade in Zeitdruck. Die FDP, aber auch die SPD drängen, den Bundespräsidenten möglichst am Jahresanfang zu wählen. Auch hier wird wieder das Argument angebracht, der Abstand zur Bundestagswahl müsse möglichst groß sein. Aber wer genau hinsieht, der erkennt, daß der Parteienkampf schon in vollem Gange ist und daß Verhandlungen über die Wahl des Bundespräsidenten schon mitten in den Sog der Bundestagswahlen geraten sind? Bin-’ Mann der CDU oder der SPD an der Spitze des Staates würde zwar die Fortsetzung der Großen Koalition nicht stören. Aber die FDP läßt immer deutlicher erkennen, daß sie ihre Stimmen für den Präsidenten in der Bundesversammlung ausgemünzt wissen will, wenn die Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen auf die Tagesordnung kommt. Dafür der Pfeil im Köcher.

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