"Der Markt ist staatlich Manipuliert"

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"Auf die Frage an Journalisten, ob sie Informationen unterdrücken, um Sanktionen zu vermeiden, antworteten 40 Prozent mit 'Ja'.

Es gibt Tageszeitungen wie Magyar Idök oder Wochenzeitungen wie Figyelö, die fast zu 100 Prozent über staatliche Werbung finanziert sind, und die auf dem Markt nicht überleben könnten."

Mit einer medialen Übermacht im Rücken hat Viktor Orbán den ungarischen Wahlkampf für sich entschieden. Im Interview erklärt der Medienwissenschaftler Gábor Polyák, wie es der Regierungspartei Fidesz gelang, mitten in der Europäischen Union einen staatlichen Propaganda-Apparat aufzubauen.

FURCHE: Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen rutschte Ungarn seit 2010 von Platz 23 auf Platz 71 ab. Wie kann man sich diesen Abbau der Pressefreiheit mitten in der EU vorstellen?

Gábor Polyák: Es gab sehr wenig effektive Verteidigung von Seiten der EU in Bezug auf die ungarischen Medienmärkte. Zwar gab es einige Meilensteine, bei denen auch die Aufmerksamkeit Europas auf Ungarn gerichtet war, wie zum Beispiel 2010/2011 mit dem neuen Mediengesetz. Diese Gesetze enthielten so viele Einschränkungen in Bezug auf die Medien-und Pressefreiheit, dass schon nach diesem ersten Schritt klar war, dass diese Regierung eine ganz eigenartige Vorstellung über die Funktion der Medien hat. Als Reaktion auf die Kritik aus der EU gab es dann einige ganz kleine Nachbesserungen, die aber nichts an dem grundsätzlichen Wesen der Gesetze änderten. Das war auch ein europäischer Misserfolg.

FURCHE: Welchen Effekt üben die Gesetze auf die innere Zensur von Journalisten in Ungarn aus?

Polyák: Die Frage nach der inneren Zensur ist eine komplizierte Frage. Wir haben fünf Jahre lang Umfragen gemacht und Journalisten gefragt, ob sie irgendwelche Informationen oder Standpunkte verschweigen, um mögliche Sanktionen zu vermeiden. Bis zu 40 Prozent der Journalisten haben mit "Ja" geantwortet. Mittlerweile lohnt es sich aber nicht mehr, diese Frage zu stellen.

FURCHE: Können unabhängige Medien in Ungarn denn überhaupt noch eine relevante Öffentlichkeit erreichen?

Polyák: Natürlich haben wir sehr gute Journalisten, die Kritik üben und die guten Investigativjournalismus leisten. Aber diese Medien erreichen einerseits viel weniger Leute, als z. B. die regionalen Tageszeitungen oder TV2. Andererseits haben sie tägliche Probleme bei der Finanzierung, weil der ganze Werbemarkt durch die staatlichen Werbungen manipuliert ist.

FURCHE: Wie funktioniert das genau?

Polyák: Wir haben Statistiken darüber: Es gibt Tageszeitungen wie z. B. Magyar Idök oder Wochenzeitungen wie Figyelö, die fast zu 100 Prozent über staatliche Werbung finanziert sind, und die auf dem Markt nicht überleben könnten. Auch im Fall von Fernsehsendern kann man die Manipulation schön sehen: Während der regierungsnahe Privatsender TV2, der von Andy Vajna, einem regierungsnahen Oligarchen gekauft wurde, bis zu 30 Prozent seiner Einnahmen vom Staat erhält, bekommt RTL Klub, der Sender mit den größten Einschaltquoten, gar nichts.

FURCHE: Westeuropäische und gerade auch deutsche Medienhäuser und Verlage, unter ihnen Springer, Ringier, Burda und Passauer Neue Presse, haben in den 90ern und 2000ern sehr stark in die osteuropäischen Medienmärkte investiert. In den letzten Jahren ziehen sie sich jedoch immer mehr zurück. Welche Rolle spielten sie in diesem Prozess der schwindenden Pressefreiheit? Polyák: Keine positive. Außer RTL. FURCHE: Wie das?

Polyák: RTL bekam 2014/2015 eine Sondersteuer von der Regierung aufgedrückt. Das bedeutete, dass es 40 Prozent seiner Werbeeinnahmen als Steuern zu zahlen hatte. Zur selben Zeit wurde der landesweite Privatsender TV2 von Andy Vajna, einem regierungsnahen Oligarchen gekauft -und musste diese Steuer nicht zahlen. Das war also ganz eindeutig eine sehr diskriminierende Steuer und RTL hat das verstanden. Die Botschaft war: Es wäre besser, wenn ihr den Markt verlässt.

FURCHE: Warum haben sie dem keine Folge geleistet?

Polyák: Es ging nicht nur um die ungarischen Interessen von RTL, sondern z.B. auch um ihren Sender in Kroatien. Wenn die Politik in Kroatien sieht, dass es so einfach ist, RTL aus Ungarn zu verdrängen, dann könnten sie plötzlich auch anfangen, mit Sondersteuern zu operieren. Für RTL war es sehr wichtig, das zu verhindern. Deshalb hat RTL 2014/2015 entschieden, dass sie in ihrem Hauptnachrichtenprogramm regierungskritisch werden.

FURCHE: Woran lässt sich das erkennen?

Polyák: Wir haben nachgemessen: Im Wahljahr 2014 gab es im Nachrichtenprogramm von RTL weniger politische Nachrichten als im Jahr 2008, welches kein Wahljahr war. 2014 hat sich RTL also noch ganz bewusst aus der Politik rausgehalten und sich nicht in den Wahlkampf eingemischt, weil das als sichererer empfunden wurde. Doch als die Sondersteuer kam, haben sie sofort verstanden, dass sie diesen Weg nicht mehr gehen können und andere Lösungen finden müssen. Seitdem ist das RTL-Nachrichtenprogramm unglaublich wichtig geworden.

FURCHE: Einen weiteren Schlag gegen die Pressefreiheit sahen Beobachter in dem Verkauf des größten ungarischen Nachrichtenportals orgio.hu durch die Magyar Telekom, einer Tochter der Deutschen Telekom, im Jahr 2014. Worum ging es da eigentlich?

Polyák: Die Telekom hat zwischen 2010 und 2014 am eigenem Leib erfahren, wie groß der Spielraum von Fidesz ist. Plötzlich war sie mit einer Sondersteuer für Telekommunikationsfirmen und Schwierigkeiten bei der Erlangung neuer Mobilfunkfrequenzen konfrontiert. Damit wurde es der Telekom von Fidesz unheimlich erschwert, weiterhin ein normales Geschäft auf dem ungarischen Markt auszuüben.

FURCHE: Wie hat die Telekom darauf reagiert?

Polyák: Sie hat origo.hu verkauft.

FURCHE: Warum?

Polyák: Zwar hat origo.hu schon immer Verluste innerhalb der Telekom gemacht, aber es war immer noch das größte Nachrichtenportal in Ungarn mit dem größten Publikum. Aber okay: wirtschaftlich gesehen brauchte die Telekom origo.hu nicht mehr und es war durchaus logisch, das Portal zu verkaufen. Doch was geschah nach dem Verkauf? Die Telekom bekam die ersehnten neuen Mobilfunkfrequenzen und einen milliardenschweren staatlichen Auftrag für den Breitbandausbau. Sehr viel Geld. Und obwohl mehrere potentielle Käufer Interesse zeigten, gewann am Ende wieder ein Unternehmen, das ganz eindeutig Fidesz nahe stand: New Wave Media. Die Firma stand in enger Beziehung zu György Matolcsy, dem Präsidenten der ungarischen Nationalbank. Ein Jahr später ging die Firma dann auf seinen Sohn Adam Matolcsy über. Er ist ein junger Mann, viel jünger als ich, 26 Jahre alt. Origo.hu gehört jetzt ihm.

FURCHE: Mehr oder weniger zeitgleich zum Verkauf liefen in der origo.hu-Redaktion gerade investigativjournalistische Ermittlungen im unmittelbaren Umfeld von Orbán.

Polyák: Das war wahrscheinlich der Punkt, an dem die Telekom entschieden hat, dass sie origo.hu nicht mehr braucht. Damals war das Portal nämlich noch ein sehr gutes Investigativmedium und ein orgio.hu-Journalist war gerade einer interessanten Geschichte auf der Spur. Orbáns Kanzleramtschef Janos Lázár hatte Hotelrechnungen aus der Schweiz erhalten, die jedoch keinem seiner amtlichen Termine zuzuordnen waren. Der Journalist wollte wissen, welche offiziellen Tätigkeiten hinter diesen Rechnungen standen -die noch dazu nicht nur für eine Person, sondern für zwei Personen ausgestellt waren. Das war eine sehr heikle Sache für Lázár. Dann wurde plötzlich der Chefredakteur von origo.hu inmitten dieses Prozesses entlassen. Der Besitzer von origo.hu entschied, dass er diesen Kampf nicht mehr weiterführt. Nach der Entlassung des Chefredakteurs trat dann fast die ganze politische Redaktion von origo.hu zurück.

FURCHE: Hat sich die Telekom damit zum Handlanger Orbáns beim Abbau der Pressefreiheit in Ungarn gemacht?

Polyák: Beweisbar ist, dass New Wave Media nicht der einzige potentielle Käufer war. Man weiß, dass die Milliardenverträge zur Breitbandentwicklung und die Vergabe der Mobilfunkfrequenzen zum Zeitpunkt des Verkaufs von origo.hu stattfanden. Man weiß, dass New Wave Media heute dem Sohn des Nationalbankchefs gehört. Aus diesen Fakten sollte man einen Schluss ziehen.

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