Der Mullah, der die Welt veränderte

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Der unglaubliche Aufstieg des greisen Ayatollah Ruhollah Mussawi Khomeini vom vergessenen Emigranten zum Angstbild des Westens vor der "islamischen Gefahr".

Am 11. Januar 1979 dreht eine blauweiße Boeing 727 eine letzte Runde über der iranischen Hauptstadt Teheran, ehe sie nach Westen entschwindet. Im Cockpit sitzt der 60-jährige Schah Mohammed Reza Pahlewi - 37 lange Jahre war er Kaiser über das persische Volk. "Ich bin müde und brauche eine Pause", lässt er später ausrichten. Und weiß doch, dass es keine Heimkehr gibt - gehasst von Millionen, die in den Straßen toben. Die Nachricht von seiner Flucht löst eine Orgie der Begeisterung aus. Menschen singen und tanzen - und von den Denkmälern der Monarchie rollen die ersten Schah-Köpfe. Nur Wochen später wird man ihn - rastlos unterwegs zwischen Ägypten, Marokko, den Bahamas, Mexiko, den USA und Panama - zum Tod verurteilen. 18 Monate später stirbt er an Krebs.

20 Tage nach dem Abschied des Kaisers - am 1. Februar 1979 - startet kurz nach Mitternacht ein Jumbo-Jet von Paris zum "Revolutionsflug Nr. 1". Die Bar im 1. Stock ist ausgeräumt. In Decken gehüllt, liegt ein 77-jähriger Mann am Boden und schläft "völlig ruhig und tief", wie die erstaunte Besatzung später erzählt. Zwischen diesen beiden Terminen vollzieht sich - chaotisch, gewaltsam und im Massenfieber - die Wende vom kaiserlichen "Gottesgnadentum" zum islamischen Gottesstaat. Millionen Iraner blicken in den Himmel, als die Maschine über Teheran gesichtet wird - bis Punkt 9.39 Uhr der neue Alleinherrscher den Heimatboden betritt. Ein Volk badet in ekstatischem Fanatismus. "Aga umat", der Meister ist gekommen.

"Der Meister ist gekommen!"

Der "Meister": Ruhollah Mussawi Hindi, genannt Khomeini, schiitischer Theologe und Rechtsgelehrter. (Die im Iran dominierenden Schiiten machen etwa ein Zehntel aller Muslime aus.) Er ist unbeugsamer Gegner des Kaisers auf dem "Pfauenthron" und seit 15 Jahren in der Verbannung; zunächst im türkischen Bursa, dann im irakischen Schiitenheiligtum Nadschaf und zuletzt in einem Vorort von Paris. Ein Mann, der nun Weltgeschichte schreibt - und den doch bis heute ein mystisches Dunkel umgibt, politisch und menschlich. Unverkennbar aber sein Gesicht: schwarzer Turban, tiefliegende, strenge Augen, weißer Bart. Kein Lächeln, keine messianische Ausstrahlung. Eher Müdigkeit und Starre. Und unverkennbar seine Stimme - dunkel und hart. Schon lange vor seiner Heimkehr füllt sie - auf Tonbändern ins Land geschmuggelt - die Moscheen und Herzen.

Khomeinis später Siegeszug beginnt, als der kaiserliche Geheimdienst Anfang 1978 vermeint, den so lange Totgeschwiegenen als kommunistischen Verschwörer schmähen zu müssen. Sympathiekundgebungen für den Angegriffenen enden blutig im Feuer der Armee. Das Uhrwerk der islamischen Revolution beginnt zu ticken. Dass diese Revolution gegen den scheinbar unbezwingbaren Kaiser gelingt, ist nur aus dem politischen Nährboden seines Landes und seiner Zeit erklärbar:

Da ist Khomeinis Gegenspieler, der Schah. Nach außen weltläufig-weise und machtvoll. Der vielgelobte, hochgerüstete "Polizist im Welterdölzentrum". Engster Verbündeter Amerikas und stiller Helfer Israels. Nach innen aber korrupt und menschenverachtend. Für sein Volk ein ungerechter, gottloser Herrscher, der sich selbst zum Kaiser gekrönt, das Land versklavt und das alte Gleichgewicht von Staat und Religion zerstört hat.

Und da ist die Globalisierung und mit ihr - wie ein Pendelschlag - die Rückbesinnung vieler Völker auf die eigenen Wurzeln. Ein Abwehrprozess gegen fremde Vereinnahmung. Und der Iran jener Zeit ist ein Modellfall der Entfremdung: Hunderttausende Bauern finden sich als Proletariat an den Rändern der Städte wieder. Die alten sozialen Netze zerreißen. Jeder zehnte Soldat ist Amerikaner. Der Islam wird politisch und missionarisches Gegenprogramm zur Rettung der Welt "vor dem Unheil des Westens". Er ist antikolonial, sozial engagiert - und im Besitz ewiger Wahrheiten.

Innerhalb weniger Monate gelingt Khomeini die totale Neuordnung: Die Geistlichkeit dirigiert nun Verwaltung und Wirtschaft, Justiz und Erziehung. Khomeini wird Staats- und Regierungschef - und höchster religiöser Führer der Nation. Für viele Beobachter ist es ein Rückfall ins Mittelalter. Mehr noch: "Mullahs mit Koran und Maschinengewehr": das wird - vor allem nach dem Zerfall des Kommunismus - zum zentralen Angstbild des Westens. Doch die Wahrheit ist komplexer: Es war nicht die Sehnsucht nach dem "Gottesstaat", die damals den Zweikampf Krone-Turban entschieden hat. Nein, es war die geballte Wut gegen Brutalität, Hochmut und Sündhaftigkeit des Herrschers auf dem "Pfauenthron".

Es war auch nicht Person und Lehre des Ayatollahs, die das Kaisertum zertrümmerte. Bis in den Endkampf war seine dogmatische Strenge umstritten. Nein, es war seine unbestrittene Integrität und Askese, seine Autorität und seine politische Unbeugsamkeit. Und es war nicht die Frömmigkeit, die das Volk plötzlich in die Moscheen und die Frauen unter den Schleier zog. Nein, es war die Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit und eine der eigenen Kultur angepasste Modernität. Keine iranische Besonderheit übrigens: Überall dort, wo sich Diktaturen als krass antireligiös erweisen, wird die Religion zum Rettungsboot der verwundeten Seelen.

"Die islamische Revolution ist eine mächtige Woge, die den ganzen Mittleren Osten erfassen wird", jubelten Teherans Medien damals prophetisch. Und tatsächlich: Bald schon veränderte sich die Stabilität in vielen islamischen Staaten. Prowestliche Herrscher zitterten vor der vom Iran losgetretenen islamistischen Grundwelle. Und mit der Ermordung des Ägypters Anwar Sadat 1981 war klar, dass jede Nähe zum "Satan Amerika", gar zu Israel, seinen Preis hat. Als hunderttausende Perser im Winter 1978/79 mit Khomeini-Bildern durch die Städte gezogen waren, konnte US-Botschafter Sullivan noch provokant fragen: "Dieser greise Störenfried - wie ist sein Name?" Monate später war klar: Der alte Mann, den alle Diplomaten und Geheimdienste irgendwie übersehen hatten, entzog dem Westen seine hegemoniale Selbstsicherheit. Ohnmächtig verfolgten die USA, was nun geschah.

Globalisierung der Khomeini-Autorität

Der Terror iranischer "Revolutionsgarden" samt Massenhinrichtungen - und die Geiselnahme des US-Botschaftspersonals in Teheran (November 1979 bis Januar 1981).

Der Krieg Irak-Iran ("1. Golfkrieg" 1980-1988) mit über einer Million Toten.

Die "Fatwa" Khomeinis zur Ermordung des Schriftstellers Salman Rushdi (1989); knapp vor seinem Tod der erste Schritt zur "Globalisierung" seiner Autorität.

Der Export radikal-islamischer Ideen und die Unterstützung von Kämpfern und Terroristen, verdichtet im Albtraum des 11. September 2001.

Dazu all die Namen, die der Welt heute als "geistige Erben" Khomeinis am Tropf des Iran erscheinen: Bin Laden und die Al Qaida, die Taliban und der "Islamische Dschihad", die Hisbollah, Hamas usw. Für Millionen Muslime erscheint deren religiös motivierter Machtanspruch (allzu oft auch westlich gefördert, um unliebsame nahöstliche Herrscher zu schwächen) und brutaler Zugriff zur Gewalt zwar als Zerrbild eigener Träume. Doch gelingt es Bin Laden & Co. immer wieder, die Massen durch politische Kürzel in emotionelle Geiselhaft zu nehmen. Das wichtigste: der Palästinakonflikt.

Noch immer tragen Muslime sein Bild durch die Straßen von Gaza, Beirut, Teheran und anderswo - auch wenn die Iraner längst die Bitterkeit der "Islamischen Republik" erfahren haben. Überall dort aber, wo Aufruhr und Verzweiflung herrscht - und wo sich Muslime in freiwilliger oder verordneter Solidarität für Palästina und gegen Israel, die USA und den "Westen" empören - überall dort bleibt Khomeini der unvergessene Rächer für alle Demütigungen des Westens an der Welt der Muslime. Die Antwort auf die Frage, ob und wie weit die Wiederkehr der Religion als Triebkraft der Politik auch jenseits des Islam - unter Christen in den USA, Juden in Israel, Hindus in Indien usw. - letztlich ihren Anstoß durch Khomeini erhalten haben, muss auch 30 Jahre nach der Iran-Revolution offen bleiben.

Der Autor ist FURCHE-Herausgeber und Autor des Bestsellerbuchs "Khomeini - Revolutionär in Allahs Namen" (Herbig 1979)

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