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Digital In Arbeit

Der pausenlose Kampf um Wähler

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Die „Amerikanisierung“ der Wahlkampagnen hat Österreich früher erreicht, als erwartet - wenn sie auch nicht ganz so beabsichtigt war.

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Die „Amerikanisierung“ der Wahlkampagnen hat Österreich früher erreicht, als erwartet - wenn sie auch nicht ganz so beabsichtigt war.

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Eigentlich ist die bisher größte Innovation des gegenwärtigen Wahlkampfes ganz einfach passiert: die „Runden Tische“ des ORF als Live-Duelle zwischen jeweils zwei Spitzenkandidaten. Ursprünglich weder vom ORF geplant noch von den Parteien tatsächlich gewollt, sondern letztlich aufgrund der Entscheidungsschwäche der Verantwortlichen des Monopol-Fernsehens zustandegekommen, haben die spätabendlichen Diskussionsrunden zu jener Dramatisierung geführt, die dem Wahlkampf bisher gefehlt hat. Das Fernsehen erreicht zwischen 350.000 und 600.000 „opinion-lea- ders“, entscheidend ist freilich nicht die tatsächliche Diskussion im Fernsehstudio, sondern die in den nächsten Tagen folgende „Diskussion über die Diskussion“ - in den Massenmedien, in der Familie, am Arbeitsplatz, am Stammtisch. Bestes Beispiel dafür ist die von Jörg Haider im TV-Duell mit Franz Vranitzky losgetretene - und nunmehr bereits mehr als eine Woche dahinkochende — Debatte über die Arbeiterkammer.

Zweites innovatives Element des aktuellen Wahlkampfes ist die neue Rolle der Belangsendungen als „infomercials“ - also der Verbindung von Information, Unterhaltung und Werbung. Am besten ist diese Entwicklung an den SPÖ-Belangsendun- gen mit dem populären Schauspieler Frank Hofmann in der Moderaten- Rolle zu beobachten.

Vergleicht man die unterschiedlichen Kampagnen der Parteien, so fällt zunächst der „Frühstart“ der SPÖ mit einer Plakatkampagne Anfang Juli auf. Kurz danach folgte die FPÖ, erst im September ÖVP, Grüne und Liberale. Tatsächlich begann für alle Parteien die Kampagnenplanung bereits wesentlich früher: genauer gesagt, am Tag nach der Wahl von Bundespräsident Thomas Klestil im Mai 1992, wie SPÖ-Wahlkampfleiter Heinz Lederer einräumte. Auch die ÖVP sicherte sich sofort die Dienste von Klestils Werbeexperten der Agentur „Young & Rubicam“.

Von vielen - vermeintlichen - Experten bereits totgesagt, ist auch eine Renaissance der Plakatwerbung zu beobachten: entscheidend ist, wie bei den TV-Duellen, nicht das Plakat, sondern die Diskussion über das Pla kat - und diese Diskussion ist seit Beginn des Wahlkampfes nicht abgerissen: zunächst die Debatte über die „Solo “-Plakatkampagne der SPÖ, danach über das „Schwechater- Recht-hat-er“-Plakat mit einem Meuchelfoto Erhard Buseks (das nur deswegen so auffiel, weil eben zu diesem Zeitpunkt noch keine „echten“ ÖVP-Plakate affichiert waren), zuletzt die in den TV-Duellen immer wieder thematisierten Plakat-Slogans der Liberalen („Gegen Bevormundung“, „Gegen Intoleranz“) und der FPÖ („Einfach ehrlich“).

KRAFT DER MITTE OHNE KRAFT

Demgegenüber fällt der ÖVP-Slogan „Kraft der Mitte“ eindeutig ab - ihm wird zwar ein hoher Wiederkennungswert zugesprochen, eine inhaltlich Zielrichtung ist damit freilich nicht verbunden. Auffallend bei der Volkspartei ist auch der Verzicht auf der ÖVP auf „mailings“ und „response“-Aktivitäten - also direkte Aufforderungen an die Wähler (in Inseraten oder Postwurfsendungen) in direkten Kontakt mit dem oder den Kandidaten zu treten. Eine Werbestrategie, die etwa im Klestil- Wahlkampf durchaus eine Rolle spielte und im Nationalratswahlkampf etwa von der SPÖ gezielt eingesetzt wird.

Im Vergleich zu früheren Wahl kämpfen von hoher Professionalität geprägt ist die Kampagne der Grünen: erstmals eine bundesweit einheitliche „corporate identity“, Plakate mit einer attraktiven Spitzenkandidatin, zielgruppenspezifische Schaltungen in „opinion-leader“-Medien.

Was sind nun die Lehren für die Zukunft? Zunächst müssen die männlichen Spitzenkandidaten lernen, in TV-Duellen mit gebildeten, kultivierten, attraktiven Frauen zu bestehen. Seine TV-Lektion gelernt hat jedenfalls Jörg Haider — nach dem Vorbild des US-Präsident- schaftskandidaten Ross Perot verschaffte er sich mit Schautafeln und perfekt vorbereiteten Unterlagen eine „Themenführerschaft“ gegenüber seinen Konkurrenten. Und schließlich müssen die Parteien lernen, daß sie nicht erst zwei Monate vor der Wahl die Stimmbürger mit einer Informationsflut überschwemmen sollten, sondern daß politische Kommunikation ein ständiger Prozeß in beide Richtungen sein muß: eine Interaktion zwischen Wählern und Politikern.

So gesehen beginnt der Wahlkampf für die Nationalratswahl 1998 bereits am Abend des 9. Oktobers 1994 - wenn sich nämlich Sieger und Verlierer der Wahl der TV-Konfrontation stellen und am Tag danach die Diskussion über deren Auftritte einsetzt.

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