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Der „rote Halbmond“ geht auf

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Während die westliche Öffentlichkeit vom fernöstlichen Vietnamkonflikt und einer anscheinend immer drohender näherrückenden rotchinesisch-amerikanischen Konfrontation in Atem gehalten wird, errangen die nahöstlichen Sowjetstrategen — vor der Haustür Europas — ihren bisher größten Erfolg: Der Irak, seit der Ermordung Kassems ununterbrochen regiert von wechselnden antikommunistischen Koalitionen, schwenkte überraschend ein auf die sowjetischägyptische Linie einer antifeudalistisch-antiwestlichen arabischen Blockbildung zwischen Kairo, Damaskus und Bagdad!

Dem Westen wohlgesinnte arabische Intellektuelle und Politiker sehen darin hauptsächlich eine Folge amerikanischer Untätigkeit im Vorderen Orient. Die USA seien heute vermutlich nirgendwo verhaßter, und ihre Freunde seien nirgendwo enttäuschter über sie als in den Ländern zwischen Atlantik und Persischem Golf. Die arabischen Vorwürfe entsprechen fast alle denen des gaullistischen Frankreich. In den sowjetischem Einfluß noch nicht unterworfenen Hauptstädten beklagt man hauptsächlich, daß die USA Sieg oder Niederlage im Südostasienkrieg unrettbar mit ihrem weltpolitischen Prestige verknüpft hätten. Sei ein Konflikt soweit gediehen wie der um die Vorherrschaft im Gebiet südlich des 17. Breitengrades, sei er in jedem Fall tödlich für die beteiligte Weltmacht. Verlöre sie, gehe sie des Vertrauens der von ihrem Schutz abhängigen Völker verlustig; gewinne sie, wiege die moralische Hypothek der Kriegsgreuel womöglich schwerer als der Macht- und Prestigezuwachs. _ kg.g

Die Araber bezeugen, wie man sieht, eine sehr realistische weltpolitische Einstellung. Dahinter steht die wachsende Sorge, der Vordere Orient werde infolge amerikanischen Desinteresses und westlicher Willens- losigkeit zwangsläufig zum alleinigen sowjetischen Einflußgebiet. Für die Araber ist der Jemenkrieg nicht zu Ende, und sie befürchten sein Wiederaufflammen spätestens für den Augenblick, in dem die Engländer Aden und Südarabien räumen. Dann werde aber der Konflikt unvermeidlich auf die jetzigen Protektorate und auf Saudi-Arabien ausgedehnt, die westlichen Ölinteressen gerieten in Gefahr und die USA in eine dem Südostasienkonflikt vergleichbare Situation. Sie würden zwangsläufig in eine direkte Konfrontation verwickelt mit Ägypten und womöglich der Sowjetunion, die sie kaum noch siegreich bestehen könnten.

Auch der Vietnamkrieg sei nur bis spätestens 1954 zu gewinnen gewesen. Aber damals hätten die Amerikaner niciht eingegriffen. Für den Jemenkonflikt, „den Stellvertreterkrieg um die arabischen Völker“, gelte dasselbe. Die Parallelen sind bestechend: In Südostasien geht es — nach amerikanischer Ansicht — um das Prestige der USA; in Arabien — nach arabischer Ansicht — um die Zukunft Europas.

Der Westen dürfe sich doch nicht einbilden, so argumentieren die Araber, er könne seine Gegner auf ein einziges Schlachtfeld konzentrieren und dort einen „kriegsentscheidenden“ Ausgang erzwingen. Diese Ein- gleisigkeit sei verhängnisvoll. Entscheidungsschlachten tobten an allen weltpolitischen Fronten, und während der Westen in Südostasien — vielleicht — militärisch noch obsiegen könne, sei er darauf und daran, im Nahen Osten in einer gegenwärtig noch vorwiegend mit psychologischen Mitteln bestrittenen Auseinandersetzung zu verlieren.

Die geschilderten Meinungsäußerungen, die übrigens Universitätsprofessoren genauso geläufig sind wie kleinen Basarhändlern, sind nicht zu pessimistisch. Entscheidend für sie sind Ereignisse jüngeren Datums: Nachdem sich in Syrien ein militantes linkssozialistisches Regime etablieren konnte, schwenkte jetzt auch der Irak nach Osten. Ägyptens Rolle ist seit längerer Zeit eindeutig. Damit sind die drei arabischen Schlüsselländer dem Westen schon fast entglitten.

Eine gescheiterte Mission

Diese Entwicklung ist, was den Irak angeht, ziemlich überraschend. Noch kurz vor seiner Moskaureise flog Ministerpräsident Al-Bazzaz der erste Zivilist in einer langen Reihe von Militärs, in die Türkei. Es galt als eines seiner uneingestandenen Ziele, Möglichkeiten einer gleichermaßen antifeudalistischen wie antiägyptischen islamischen Frontbildung zwischen Bagdad,

Ankara und Teheran herauszufinden. Bedauerlicherweise wurde er dabei weder von westlicher noch von türkischer oder iranischer Seite genügend ermuntert. Der Westen ist im Vorderen Orient — aus den erwähnten Gründen — nahezu manövrierunfähig. Das veranlaßt die Regierungen der beiden islamischen Randstaaten offenbar zur Vorsicht. Man vertraut in Ankara und Teheran nicht mehr so bedingungslos auf westliche Hilfe. Folglich versucht man, sich auch mit der Sowjetunion zu arrangieren. Eine Frontbildung mit einem antiägyptisch ausgerichteten arabischen Regime aber widerspräche dieser Absicht.

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