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Der Rückzug der Kirche aus der Politik ...

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Ich zitiere dazu einige Ansichten und Stimmen:

• Das II. Vatikanische Konzil drängt die Christen dazu, auf die' Probleme der Zeit christliche Prinzipien anzuwenden. Die Christen sollen diese Probleme studieren und ihre Vorschläge zur Beseitigung von Ubelständen vorbringen. Diese Vorschläge wollen aber viele Christen in Hinkunft nur noch so handhaben, daß „konkrete“ Vorhaben um so „unverbindlicher“ sein sollen. Man stoppt sozusagen die Aktion, sowie sie in die Nähe der Zonen demokratischer Entscheidungen gerät.

• Weiters heißt es: Die Kirche soll nichts mehr „erobern“, nichts im Bereich der Kultur, nichts unter den Massenmedien Hörfunk, Fernsehen, Film, nichts in den Fabriken, und nichts in den „Ständen und Klassen“.

• Vor allem aber wird die „acies ordinata“ als „faschistisch“ in Acht und Bann getan. Es genügt eine dynamische und evolutionäre Aktion, die sich den „Situationen und Bedürfnissen“ anzupassen hat.

Nun, man wird hinlänglich Gelegenheiten zur Anpassung an das finden, was anderen passend erscheint. Überall dort, wo also die Kirche nicht „erobern“ möchte, werden die anderen um so lieber erobern. Die „anderen“ sind die verschiedenen politischen Parteien auf der Rechten und Linken; die zahlreichen Interessenverbände, die ungezählten und größtenteils unsichtbaren pressure-groups; und alle „gesellschaftlichen Gebilde“, die die Kirche bestenfalls als ihresgleichen und als Verband unter den anderen vom Staat lizenzierten Verbänden anerkennen. Wo die Kirche stehen bleibt oder zurückgeht, werden Leerräume entstehen, in denen sich die anderen ansiedeln werden, ohne sich weiters um die Kirche zu kümmern. Leerräume werden nicht nur dort entstehen, von wo aus die Kirche neuerdings den geordneten Rückzug in die Sakristei antritt, sondern vor allem in jenen Bereichen, in denen die jungen Frischzellen einer neuen Gesellschaftsordnung wachsen; Zellen, in denen das Leben nicht erst entkirchlicht werden muß, sondern vorweg säkular und laizistisch ist.

Das „politisch' Lied“ (frei nach Goethe ohnedies ein garstig' Lied) wird man fürderhin con sordino spielen. Dabei wird es immer schwieriger werden, Menschen mit einem ernsten religiösen und sittlichen Verantwortungsbewußtsein dazu zu bringen, das schmutzige Geschäft des Politikers anzufassen. Um so mehr wird man das angenehmste Privilegium des Gebildeten ausüben können: die Kritik aus der Distanz zur Tat. Wenn schon nicht die „richtigen Menschen“ am „richtigen Platz“ stehen, dann hat dies wenigstens den Vorteil, daß man für das Wirken dieser Menschen in der Öffentlichkeit auch keine Verantwortung zu tragen hat.

Eine Zeitlang wird alles formal in Ordnung gehen. Dafür sorgen schon die Demarkationslinien, die zwischen Religion und Politik, Staat und Kirche sowie Partei und kirchlicher Bewegung abgesteckt sind. Niemandem wird es gestattet sein, bei der Besorgung öffentlicher Funktionen Referenzen in Anspruch zu nehmen, die nicht vordem von der Kirche ausgestellt worden sind. Die meisten Politiker, auch jene, die in den politischen Parteien stehen, vor deren Namen ehedem das ominöse K (= katholisch) oder C (== christlich) gestanden hat, werden sich um solche Referenzen ohnedies nicht mehr bemühen, weil der wahlwerbende Charakter dieser Referenzen neuerdings fragwürdig geworden ist.

• Die Demokratie ist zwar nicht sehr lebendig, aber sie funktioniert unter der Aufsicht politischer und richterlicher Kontrollen. Das Bekenntnis zum Rechtsstaat, das Erbe der Ideologen des Rechtspositivismus, wirkt ungemein beruhigend; ein Pfui auf eine wertorientierte Politik.

• Das Recht des Staates geht vom Volk aus. Einen anderen Zufluß kennt die geschriebene Verfassung nicht, denn das Volk ist so absolut und souverän wie der Souverän, dem man vor 200 Jahren die absolute Gewalt weggenommen hat. Das Naturrecht ist, soweit es noch jemand ernst nähme, sorgfältig unter Verschluß.

• Natürlich bleibt die Kirche präsent: in der Schule gemäß dem Zielparagraphen des Schulgesetzes; in der Erwachsenenbildung; in Schulungsveranstaltungen aller Art; in gesellschaftlichen Begegnungen. Auch hat man vertragliche Abmachungen mit dem Staat.

• Außerdem gibt es in allen politischen Parteien Funktionäre, die sich etwas darauf zugute halten, unter Umständen der Kirche dienlich zu sein. Denn es ist unfein geworden, über die Kirche, über die Geistlichen und über die Kulthandlungen in grober Manier zu sprechen.

• Man entzieht der Kirche auch nicht das Wort, und die Wahrheit wird nicht unterdrückt; aber in der Öffentlichkeit verlautet man die Wahrheit lieber ä la Nestroy: man sagt die Wahrheit, aber leise; manchmal fast unhörbar, und jedenfalls nicht lauter, als daß nicht noch eine Stimme darüber wäre.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat diesem christlichen Abendland nach 1945 den Spiegel vorgehalten. Er spricht von der „sakrosankten Entzweiung“, die zwischen der Religion und der Politik besteht. Die Politik ist mächtig, aber sie geht den inneren Menschen fast überhaupt nicht mehr an; die Religion ist Gegenstand „abgestufter Weihegefühle“, aber sie ist eher unverbindlich.

Vorläufig ist das nur ein Urteil und keine endgültige Verurteilung. Noch ist Zeit für anderslautende Entscheidungen. Die Menschen, die sich für sich anders entschieden haben und anders denken, dürfen nicht schweigen, und sie müssen vor allem handeln.

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