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Der Schlüssel liegt bei Wolfgang Schüssel

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Eine Analyse des Ergebnisses der Nationalratswahl ist wesentlich einfacher als die Beantwortung der Frage, wie es jetzt weitergehen wird.

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Eine Analyse des Ergebnisses der Nationalratswahl ist wesentlich einfacher als die Beantwortung der Frage, wie es jetzt weitergehen wird.

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Was das Ausmaß des SPÖ-Sieges betrifft, ist das Wahlergebnis überraschend, in der Tendenz nicht. Im Zweifelsfalle stimmen die Österreicher immer gegen drohende extreme Veränderungen (das war 1966 die „Volksfront" aus Sozialisten und Kommunisten, das war jetzt der mögliche „Bürgerblock" aus ÖVP und Freiheitlichen). Und außerdem ist es offensichtlich schon jetzt (und aus demographischen Gründen in Zukunft wahrscheinlich noch mehr) gefährlich für eine Partei, Beformen im Pensionssystem zu fordern.

Es ist offensichtlich, daß die Menschen, die Steirer, aber zum Beispiel auch die unlängst wählenden Beamten, zwischen den einzelnen Wahlgängen sehr genau unterscheiden und je nach Interessenlage einmal zur ÖVP (wenn es um die Gewerkschaft geht) und dann wieder zur SPÖ (wenn es um den Staat geht) tendieren.

Man wählt heute eben den, von dem man sich im jeweiligen Bereich den meisten Einsatz für das eigene Wohlergehen erwartet - eine menschlich verständliche, aber hinsichtlich des Gemeinwohls (aber wer hat das wirklich noch im Auge?) oder einer Ideologie (aber wer glaubt noch an Ideologien?) eine inkonsequente Einstellung.

Das Wahlergebnis ließe den - verhängnisvollen - Schluß zu, daß die Bürger mit den Begierungsparteien hochzufrieden sind, beide haben zugelegt (die SPÖ natürlich deutlich mehr), alle Oppositionsparteien fielen zurück. Liberale und vor allem Grüne waren aber wirklich nicht gut beraten, das „schwarzblaue Gespenst" zu einem Hauptthema ihrer Wahlkampfführung zu machen, da ihnen hätte klar sein müssen, daß damit in erster Linie der SPÖ geholfen würde.

Tatsächlich war es eine Bichtungswahl um die Kanzlerschaft, die sonst sicher den anderen Parteien zuneigende Wähler für SPÖ und ÖVP mobilisierte, und der Sieger dieser Richtungswahl heißt eindeutig Franz Vranitzky.

Der Verlierer, Wolfgang Schüssel, hat zwar - gemessen an der Lage bei seinem Start als OVP-Obmann - ein gerade noch akzeptables Resultat erreicht, aber seine Chancen offensichtlich weit überschätzt. Zu einer aussichtsreichen Wahlbewegung gehören nicht nur ein gutes Programm und kompetente Leute, vor allem gehört dazu Überzeugungskraft.

Will die ÖVP wieder Wahlen gewinnen, muß sie glaubwürdiger zeigen, daß sie nicht nur gut wirtschaftlich rechnen kann (Journalistenkollegen waren nachträglich beeindruckt, wie nahe OVP-interne Hochrechnungen zu Mittag des Wahltages bereits dem Endergebnis kamen). Sie müßte auch in Wort und Tat beweisen, daß sie, wie es einer „christdemokratischen" Partei ansteht, die Nöte der einfachen Menschen kennt und für diese Menschen da ist.

Wolfgang Schüssel konnte offenbar zu wenige davon überzeugen, daß die Neuwahl wirklich nötig war. Er rechnete wahrscheinlich auch nicht damit, daß einfache Menschen, wenn ein Mann der Wirtschaft vom „intelligenten Sparen" spricht, automatisch „Sozialabbau" verstehen. Und das Offenhalten einer ÖVP-FPÖ-Koalition hat der ÖVP letztlich sicher mehr geschadet als genutzt.

Letzteres hat der Meinungsforscher Peter Ulram aber bereits im März (Furche 13/95) vorhergesagt, allerdings unter der Voraussetzung, daß sich eine schwarz-blaue Koalition vor einer Wahl bereits deutlich abzeichne: In diesem Fall, so Ulram damals, würden die ÖVP ein Fünftel und die FPÖ ein Zehntel ihrer potentiellen Wähler verlieren und deutlich unter der absoluten Mehrheit bleiben. Das ist in gemilderter Form nun eingetreten - die Schwächung Haiders ist sicher Schüssel zu verdanken (was die Wut des FPÖ-Sprechers Gernot Bumpold über den „kleinen Napoleon" erklärt), der dadurch aber seine eigenen Chancen verminderte.

Die noch vorhandene theoretische Möglichkeit einer ÖVP-FPÖ-Koalition sollte (al-lerspätestens nach dem Bekanntwerden von Jörg Haiders schockierender Bede vor alten SS-Leuten) kein Thema mehr sein, nicht einmal - auch wenn es sich anbietet - als Druckmittel der ÖVP für die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ. Es würde Schüssel Ehre machen, wenn er klarstellte, daß die ÖVP die Oppositionsrolle jeglichem Bündnis mit Haider vorzöge.

Aber man kann von der ÖVP nicht verlangen oder erwarten, daß sie nach den Wahlen ihren Spitzenkandidaten oder ihr Programm über Bord wirft. Die Frage ist, ob Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel weiter miteinander können, ob Sturheit dominiert oder ob die Bichtungsunterschiede überbrückbar sind.

Die Begierungsbildung wird jedenfalls, was vorauszusehen war, spannender als die Wahlen. Geht man davon aus, daß die FPÖ als Partner ausscheidet, kommen nur eine SPÖ-ÖVP-Koalition oder eine SPÖ-Minderheitsregierung in Frage. Ist die SPÖ bei den Verhandlungen nicht großzügig, könnte sie ohne Begierungspartner bleiben - keine guten Aussichten für ein von einer Budgetkrise betroffenes Land.

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