6614561-1955_23_06.jpg
Digital In Arbeit

Der Sieg der Konservativen

Werbung
Werbung
Werbung

Seit fast hundert Jahren war es in England keiner an der Macht befindlichen Partei gelungen, die Zahl ihrer parlamentarischen Mandate in einem neuen allgemeinen Wahlgang zu vermehren: ein schwerer Rückschlag war die Regel, von der nur einmal, in der Aera Asquith, eine im Endeffekt übrigens bedeutungslose Ausnahme verzeichnet werden konnte. So schmolz auch die absolute Mehrheit von 186, die der Regierung Attlee im Parlament des Jahres 1945 zu Gebote stand, durch den Wahlausgang von 1950 auf sechs Köpfe zusammen. Angesichts dieser Erfahrung mochte die sozialistische Opposition wohl hoffen, daß auch diesmal das Pendel der öffentlichen Meinung umschlagen und die bisherige Mehrheitspartei auf die Bänke der Minderheit verweisen würde. Das Gegenteil dessen ist eingetreten; den Konservativen gelang es, ihre Position nicht nur ungeschmälert zu behaupten, sondern in einem solchen Maße zu verbessern, daß die Gefahr einer unvermuteten Abstimmungsniederlage, mit der sie in der abgelaufenen Legislaturperiode stets rechnen mußten, nunmehr so gut wie ausgeschlossen ist. Dieser Erfolg, die Verstärkung ihrer absoluten Mehrheit, die von 27 auf 60 Mandate angewachsen ist, darf um so höher gewertet werden, als die Wahlkampagne hüben wie drüben mit ungewöhnlicher Zurückhaltung, man könnte fast sagen phlegmatisch, geführt wurde und die Wählerschaft damit die Möglichkeit hatte, ihre Entscheidung in aller Ruhe zu überlegen.

Man kann nicht behaupten, daß das konservative Wahlmanifest besonders geeignet war, einer solchen Ueberlegung als Grundlage zu dienen. Abgesehen von seinem Umfang, der viele davon abgehalten haben mag, es auch nur zu lesen, war es in den meisten Punkten zu vorsichtig oder auch zu unklar abgefaßt, um ein deutliches Bild des Kurses zu vermitteln, den die Regierung im Fall ihres Sieges zu verfolgen gedachte. Freili:h war auch aus dem Manifest der Sozialisten nicht viel mehr zu entnehmen, als die Absicht, nach einer neuerlichen „Machtübernahme“ ihrerseits an der Verwirklichung des Programms weiterzuarbeiten, welches vor zehn Jahren den Umschwung zu ihren Gunsten herbeigeführt hatte. Dem traditionsgemäß parteigebundenen Wähler konnten die offenbaren Mängel dieser Wahlaufrufe wenig ausmachen. Für das sogenannt fluktuierende Element aber, das heißt für den oft und auch jetzt wieder ausschlaggebenden Teil der Wählerschaft, cer aus eigenem zu einer Entscheidung über :;eine Stimmabgabe gelangen will, ergab sich mehr denn je die Notwendigkeit, die bisherigen Leistungen der beiden großen Parteien in der Füirung des Staates zu überprüfen und miteinander zu vergleichen.

Als erstes mußte dabei die verzweifelte Lage in Erinnerung kommen, in der sich- die Wirtschaft des Lances vor vier Jahren, im Augenblick des Rückiritts der Regierung Attlee, befand. Verbürokratisierung aller Zweige des wirtschaftlichen Lebens, Zentralisierung, Nationalisierung, Rat:onierung, Reglementierung, hatten die Produktivität herabgesetzt und die Privatinitiative :ast zum Erliegen gebracht, ohne dabei, wie es der Labour-Doktrin entsprochen hätte, den Arbeitsfrieden zu fördern; die finanziellen Kosten, die der überstürzte Aufbau eines Wohlfahrtsstaates sozialistischer Prägung dem Lande auferlegte, hatten ein unerträgliches Ausmaß erreicht; d;r nationale Goldschatz war der Erschöpfung nahe und die Zahlungsbilanz in einem Zustand, der die Gefahr eines völligen Zusammenbruch; der Währung als unabwendbar erscheinen ließ. So war das wirtschaftliche Erbe beschaffen, das die Regierung Churchill 1951 zu übernehmen hatte. Freilich konnte eJ ihr nicht gelingen, in vier Jahren alle Schäden gutzumachen, die der britischen Volkswirtschaft in den sechs Jahren des Labour-Regimes zugefügt worden waren; aber wieviel sie erreicht hat mit ihrem Bemühen, die Wirtschaft von den ihr auferlegten Fesseln zu befreien und die stärkste Quelle des nationalen Wohlstands, persönlichen Unternehmungsgeist, Selbstverantwortung und Schaffensfreude, neu zu erschließen, geht allein schon und am offensichtlichsten daraus hervor, daß der Schatzkanzler dem Finanzgesetz für dai kommende Jahr Bestimmungen einfügen konnte, denen zufolge nicht weniger als siebzehn Millionen Steuerzahler der unteren Einkommensklassen eine fühlbare Herabsetzung ihrer Vorschreibungen und weitere zweieinhalb Millionen sogar ihre gänzliche Streichung aus der Liste der Steuerpflichtigen erfahren werden.

Auf den britischen Inseln weht heute ein anderer Wind als vor zehn Jahren, da die Erinnerung an die tiefgreifende Depression der Vorkriegszeit noch so lebendig war, daß sozialistische Planung und sozialistische Nivellierung geeignet scheinen konnte, einer Wiederkehr des damaligen Elends vorzubeugen. Heute erblickt die Mehrheit des Volkes, das haben diese Wahlen wieder erwiesen, den besten Schutz ihrer wirtschaftlichen Existenz und die sicherste Gewähr für ihren wirtschaftlichen Aufstieg in der Zusammenarbeit aller wirtschaftlich wirksamen Kräfte. Sie will diese Zusammenarbeit in Freiheit; wohl vom Staate gestützt und gefördert, nicht aber behindert und erdrückt durch Ueber-besteuerung und eine Hypertrophie staatlicher Eingriffe, wie sie die marxistische Doktrin im Namen organisierter Gleichheit verlangt. Das ist die Direktive, die der konservativen Regierung Großbritanniens durch das Votum des Volkes erteilt worden ist: ein Vertrauensvotum, welches die bewährten Männer, die an der Spitze dieser Regierung stehen, zu rechtfertigen wissen werden. —ch—

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung