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Das Regime des libyschen Diktators ist so gut wie gestürzt, die Aufständischen geben den Gaddafi-Anhängern noch bis Samstag Zeit sich zu ergeben. Die FURCHE begleitete die Rebellen durch ihren Revolutionsalltag.

Libyen steht vor einem Neuanfang. Die Hauptstadt Tripolis haben die Rebellen komplett erobert, ein Teil des Gaddafi-Clans hat sich nach Algerien durchgeschlagen - doch wo sich Muammar al-Gaddafi versteckt hält, ist noch immer unbekannt. Der Übergangsrat versucht die Schlinge enger zu ziehen und stellte den Truppen des Ex-Machthabers ein Ultimatum: Bis Samstag sollen sie die letzten von Gaddafi-Getreuen kontrollierten Städte übergeben. Ansonsten würden die Rebellen die Städte angreifen... Die Nato beschießt unterdessen mit Kampfflugzeugen zahlreiche Militäreinrichtungen in Sirte und in der Bani Walid. Anfang August, eine Woche vor dem Kampf um Tripolis, war FURCHE-Fotojournalist Stanislav Jenis in Libyen und zog mit den Rebellen in die Schlacht um die Stadt Bir Al Ghanam. in Auszügen berichtet er von seinen Erlebnissen mit den Rebellen.

Von Tunesien nach Libyen

Nach einer achtstündigen energieraubenden Busfahrt komme ich am dritten August um sieben Uhr morgens in Dehiba an, einem kleinen tunesischen Dorf an der Grenze zu Libyen am Fuße des westlichen Nafusa Gebirges. Im April schlugen hier Gaddafi-Raketen ein, da seine Truppen die Rebellen über die libysche Grenze hinaus verfolgten. Die libyschen Freiheitskämpfer brachten das Nafusa-Territorium jedoch weitgehend unter ihre Kontrolle. Ich stehe allein auf der Ausfahrsstraße zu Libyen. Per Autostop fahre ich nach Nalut, wo ich zu dieser Zeit der einzige westliche Journalist in der Stadt bin.

Am improvisierten Checkpoint auf einer Kreuzung zwischen Nalut und Tiji lerne ich Ibrahim kennen. Der 27-Jährige studierte vor der Revolution Medizin. Als ich ihn fragte, wie viele Menschen er schon erschossen hat, antwortete er: fünf.

Mit ihm fahre ich zu einem Bauernhof, der bis vor zwei Wochen von der Gaddafi-Armee belagert wurde. Als sie sich zurückziehen mussten, haben sie alle Tiere getötet, und den Bauernhof angezündet. Schon von der Ferne steigt einem der süßliche Geruch vonVerwesung in die Nase. Der Hof ist voll von Tierkadavern. Die Präzision der Verwüstung ist erstaunlich. Die Wüste selbst ist voll von Unrat, Müll so weit das Auge reicht. Ich frage mich, wie viel Arbeit vor den Libyern liegt, ihr Land wieder aufzubauen und zu säubern.

Vom Zivilisten zum Rebellen

Die Rebellen sind keine ausgebildeten Soldaten. Es sind Zivilisten, die ein drei- bis sechs-wöchiges Ausbildungsprogramm absolvierten. Unter ihnen sind viele Jugendliche und Minderjährige. Viele von ihnen sind unbewaffnet und hoffen bei einer Schlacht die Waffen der Gegner zu erbeuten.

Sie besitzen keine Uniformen, einige tragen deutsche oder holländische Militär-Uniformen.

Die Nacht vor der Schlacht um Bir Al Ghanam, am 6. April 2011, bleibt für mich unvergesslich. Bis drei Uhr früh amüsieren wir uns und spielen Karten. Nach einer Stunde Schlaf fahren wir an die Front. Zum ersten Mal seitdem ich in Afrika angekommen bin, ist mir kalt in der Nacht.

Vorbereitungen in Kerzenschein

Wir fahren in dieser Nacht von Az Zintan in die "Turkish Company“, einem Gelände wo ehemals eine türkische Baufirma beheimatet war. Da wie des Öfteren die Stromgeneratoren ausfallen, müssen sich die Rebellen im Kerzenschein auf den Kampf vorbereiten. Sie pflegen und kontrollieren ihre Waffen, füllen ihre Magazine mit Patronen. Ein Rebell sagt zu mir festentschlossen: "Wir wollen das Bild Libyens in der Welt verändern. Gaddafi hat Libyen wie sein persönliches Eigentum behandelt und wir waren seine Sklaven.“

Der Aufbruch nach Bir Al Ghanam

Um halb Fünf bricht unsere Gruppe auf, um in der Gegend noch ein paar Kämpfer aufzusammeln.

Ich sehe in den Himmel und denke mir, dass in diesem Moment, meine Freunde in Österreich, Tschechien und England sicher in ihren Betten schlafen und dass wir alle den gleichen Himmel über den Köpfen haben.

Bevor ich nach Afrika gekommen bin, habe ich noch nie jemanden eine Waffe abfeuern sehen. Und jetzt bin ich in der "Höhle des Löwen“.

Die Rebellen grüßen sich gegenseitig auf der Fahrt zur Front mit Lichthupe, Hupen und rufen: "Allahu Akbar!“ - "Gott ist groß!“ Nach einer eineinhalb stündigen Fahrt kommen wir an dem Ort an, von hier aus geht es weiter zu Fuß zur Front.

Jugendliche mit unterschiedlichsten Fußball-Trikots europäischer Spitzenclubs spazieren unbewaffnet an mir vorbei.

Jeder Schritt bringt sie näher an eine Situation, in der sie getötet oder verstümmelt werden könnten. Doch sie lachen und rufen den Namen Allahs. Bei dem Revolutionskampf haben mittlerweile über 20.000 Menschen den Tod gefunden.

Ich habe ein paar Rebellen gefragt, ob sie wirklich glauben, dass durch ihren Einsatz ein demokratisches Libyen entstehen könnte. Sie glauben alle daran; sie wollen in einem freien, prosperierenden und demokratischen Libyen leben, in dem jeder eine Chance auf ein gutes Leben bekommt. Dafür sind sie bereit zu sterben.

Die ersten Rebellen kommen auf die Spitze des Hügels an, von wo aus sie später die Stadt Bir Al Ghanam mit Raketen- und großkalibrigen Maschinengewehr-Feuer eindecken. Über unseren Köpfen fliegen die NATO Kampfjets und bombardieren Ziele in der Stadt. Rauch steigt auf und bei jeder Explosion brechen die Rebellen in Jubel aus. "Allahu Akbar!“ wird zu einem Dauerecho. Doch als plötzlich eine Gaddafi-Rakete unweit unserer Position einschlägt, verstummen die Jubelschreie. Die Rebellen verstecken sich hinter ihren Fahrzeugen, gehen zu Boden und entfernen sich von der Hügelkante. Über unseren Köpfen zischen großkalibrige Maschinengewehr-Salven. Danach bringen die Rebellen ihre Fahrzeuge - auf denen Raketenabschussrampen montiert sind - in Stellung und beginnen selbst auf die Gaddafi-Truppen zu feuern.

Das Blut rinnt in Strömen

Der Beschuss ist sehr laut. Die Hügel lassen die Geräusche widerhallen. Ich sehe einen Rebellenschützen auf der Laderfläche eines Pick-ups; seine Salven auf die Stadt abfeuern. Plötzlich sackt der Mann zusammen. Der Pick-up bewegt sich die Hügelkante hinunter. Freunde eilen dem getroffenen Soldaten zu Hilfe. Sie holen ihn vom Pick-up. Das Blut rinnt in Strömen an seinen Beinen herab. Er ist bewusstlos. Seine Freunde schleppen ihn weg, um die Kampfmoral nicht zu gefährden, wie sie sagen.Den Mann habe ich nach dem Vorfall nicht wieder gesehen.

Sieg über die Gaddafi-Kämpfer

Nach drei Stunden Beschuss von den Hügeln, flüchten die Gaddafi-Truppen aus der Stadt. Mit Lastwagen fliehen sie in Richtung Norden. Die Aufständischen sammeln sich, um in die Stadt hinunter zu fahren.

Furchtlos stürzen sie sich in die Straßen, wo sie noch von einzelnen Gaddafi-Kämpfern unter Beschuss genommen werden. Die Rebellen nehmen einige von ihnen fest. Am Ende heißt es, dass bei den Rebellen drei Kämpfer getötet wurden, bei den Gaddafi-Truppen zählt man 37 Tote.

Als ich die Rebellen auf einer Streife begleite, schlagen plötzlich Raketen in unserer Nähe ein. Wir hören nur ihr Pfeifen, wie sie durch die Luft fliegen. In einer solchen Situation hilft es nichts, ein paar Meter nach links oder rechts zu laufen, um Schutz zu suchen. Man sieht die Rakete nicht kommen - erst wenn sie einschlägt.

Für Ehre und Unsterblichkeit

Als der Kampf vorbei ist, drängen die glücklichen Sieger vor meine Kamera um mit dem "Victory-Zeichen“ - das Friedensymbol - zu posieren. Sie wollen auf einem Foto festgehalten werden, um ein Teil der Revolution und somit ein Teil der greifbaren Geschichte zu werden. Ein medial reproduziertes Bild, dass ihnen Ehre und Unsterblichkeit verleihen soll.

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