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Der Staat hat hier Schutzfunktion

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Die Sorge, die die Öffentlichkeit wegen der Aktivitäten von Sekten empfindet (FURCHE 41/1994), hat in letzter Zeit zunehmend Politiker aller Parteien auf den Plan gerufen.

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Die Sorge, die die Öffentlichkeit wegen der Aktivitäten von Sekten empfindet (FURCHE 41/1994), hat in letzter Zeit zunehmend Politiker aller Parteien auf den Plan gerufen.

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N’ach einem zu Beginn des Vorjahres im Parlament veranstalteten Experten-Hearing zu diesem Thema wurde noch vor der Sommerpause die Regierung durch eine Entschließung der Abgeordneten zu konkreten Maßnahmen aufgefordert. Diese Resolution hät zwar mit der Auflösung des Nationalrates ihre Wirkung verloren, doch darf man ihre Bedeutung keineswegs unterschätzen. Die Entschließung markiert das, was die Verantwortlichen der Politik in der Sektenfrage für notwendig und machbar halten.

In einem demokratischen Rechtsstaat ist es alles andere als einfach, gegen jene Organisationen vorzugehen, die man heute zutreffender als „destruktive Kulte“ oder „pseudoreligiöse Gruppierungen“ bezeichnet. Ganz grundsätzlich gilt ja die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, sich bestimmten Ideen zu verpflichten und dafür zu werben. Dieses Recht darf in keiner Weise angetastet werden. Auf der anderen Seite wird heute als Folge einer Inanspruchnahme dieser Freiheiten eindeutig schädliches Handeln, werden psychische Abhängigkeit und Ausbeutungsvorgänge sichtbar. Damit wird aber die Schutzfunktion der staatlichen Gemeinschaft angesprochen.

EIN BÜNDEL VON MASSNAHMEN

In der einleitenden Begründung des von Abgeordneten aller Parteien unterstützten Entschließungsantrages wird festgestellt, daß von Sekten und so weiter nicht nur auf die religiösen Vorstellungen ihrer Mitglieder Einfluß genommen wird, sondern daß auch die soziale, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Umwelt erfaßt wird. „Die einzelnen Mitglieder solcher Organisationen sind vielfach psychischem, physischem und wirtschaftlichem Druck ausgesetzt.“

Die Entschließung des Nationalrates legt ein dreifaches Bündel von Maßnahmen fest. Die erste zu erwähnende Stoßrichtung der parlamentarischen Willensbildung zielt auf eine umfassende Aufklärung in Schule, Familie und geförderten Selbsthilfegruppen. Wie wichtig eine solche Stärkung der Abwehrkräfte ist, wird uns klar, wenn wir betrachten, welche oft unbegreifliche Anfälligkeit — vor allem bei jungen Menschen — gegenüber dem Werben einschlägiger Vereinigungen besteht, Diese Neigung wurzelt freilich in der Natur des Menschen. Es gibt eben den Drang, sich Befehlsstrukturen unterzuordnen, die Umlolnlivnn nrArjQnnorpn DlPSP QTAP-

zielle Gehorsamswilligkeit hat mit mangelnder oder vorhandener Intelligenz nichts zu tun. Gerade unsere heutige, weitgehend tolerante, ja permissive Lebensform scheint wieder das Bedürfnis nach rigiden, den einzelnen extrem fordernden Autoritäten zu wecken. Hier kann es immer zur Produktion von Gewalt kommen. Gewalt auch ins Innere dessen, der sich anschließt, und zwar durch die Forderung nach einer oft menschenunwürdigen Selbstdisziplinierung.

Mit der zweiten geforderten Maßnahme, nämlich der Einsetzung einer Arbeitsgruppe der Ministerien und Experten, sprechen die Abgeordneten - bewußt oder unbewußt - eigentlich einen Tadel aus. Es gab nämlich schon einmal eine solche Einrichtung, nur sind ihre Aktivitäten allmählich im Sande verlaufen. Wenn man nun wieder offizielle Stellen aktivieren will, wird damit zum Ausdruck gebracht, daß es auch jetzt Schon rechtliche Handhaben gegen das Treiben pseudoreligiöser Gruppierungen gibt. Man hat sie aber aus falscher Rücksichtnahme oder einfach Bequemlichkeit nicht ausreichend genutzt.

Ein Hauptansatzpunkt für einen solchen gesetzlichen Zugriff auf einschlägige Organisationen ist die geltende strenge rechtliche Unterscheidung von ideellen und gewinnorientierten Vereinigungen. Nur die erste- ren dürfen wirklich frei agieren und genießen den Schutz des Vereinsrechtes. das in oberster Instanz dem Innenminister übertragen ist. Nun gibt es aber bekanntlich unter den angesprochenen Organisationen beispielsweise eine, die sich dreist mit der Bezeichnung „Church“ versieht, in Wahrheit aber ein multinationales Wirtschaftsimperium großen Stils darstellt. Für die angebotenen „Leistungen“ wird, wie Betroffene vielfach berichten, kräftig kassiert. Bis zu höchstgerichtlichen Verfahren sucht man aber zu vermeiden, die Steuerpflicht derartiger Unternehmen auf sich zu nehmen. Geflissentlich übersieht man auch in solchen Fällen, daß man mit dem hochkommerzialisierten Verkauf von allen möglichen Formen der (angeblichen) Lebensberatung dem Gewerberecht und allen seinen ordnenden Regelungen unterliegt. Hier muß also das Wirtschaftsministerium aktiv werden; die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind längst geklärt.

NAIVE BEURTEILUNG

Auch das Gesundheitsministerium ist gefordert und sollte seine bisherige, gar nicht als nobel zu bezeichnende Zurückhaltung aufgeben. Es stellt sich nämlich die Frage, ob pseudoreligiöse Gruppierungen nicht ganz einfach als Pfuscher der Psychotherapie auftreten. Einer Heilmethode, die in ihrer wohlgeordneten Berufsberechtigung erst vor einiger Zeit geregelt wurde. Bisher stellte man sich im zuständigen Ministerium auf den bequemen Standpunkt, daß jenes systematische Einwirken auf die Psyche der Heil- suchenden, das vor allem bei labilen Personen zu seelischer Deformation und schweren Störungen führen kann, vielleicht eine Art von „Gehirnwäsche“, aber eben nicht „Psychotherapie“ sei. Als solche könne nämlich nur ein Behandeln angesehen werden, das in der Absicht erfolge, Kranken eine Therapie anzubieten! Die Frage nach der Naivität solcher Beurteilung sei gestattet. Mit derselben Logik bliebe auch ein Kurpfuscher straffrei, wenn er nur behauptet, seine teuer zu bezahlenden und imtauglichen, ja gefährlichen Heilmethoden dienten eigentlich einem spirituellen Zweck.

Hier schließt der sensibelste Vor- f stoß der Parlamentarier an. Er wird in folgende nüchterne Aufforderungen gekleidet: „Die derzeitigen strafrechtlichen Bestimmungen sind zu überprüfen.“ Damit wartet auf die Legisten des Justizministeriums eine äußerst heikle und schwierige Aufgabe. Die unerläßlichen Freiheiten des Bekenntnisses und der Bildung von Vereinigungen wurden bereits erwähnt. In dieser Hinsicht sind wir auch durch internationale Konventionen vielfach gebunden. Es darf also nicht strafbar sein, von dem Gebrauch zu machen, was allen durch Grundnormen garantiert wird.

WAS IST RELIGION WIRKLICH?

Nur: Jede Freiheit hat bekanntlich dort ihre Grenzen, wo schutzwürdige Rechte der Mitmenschen zu wahren sind. Drohung und Gewaltanwendung physischer Art sind kriminell. Auch die Ausnutzung von Abhängigkeiten steht heute schon unter Strafe. Kann es also gelingen, das bewußte Abhängigmachen durch vorgetäuschte Heilsverheißung, das Ausnützen einer solchen Abhängigkeit in neue Paragraphen zu fassen?

Es scheint, daß man - mag auch der unternommene Schritt sehr wichtig und verdienstvoll sein — doch auch Wesentliches außer acht gelassen hat oder einfach nicht angehen wollte. Der Schlüssel dafür läge bei dem von den Parlamentariern verwendeten Begriff „pseudoreligiöse Gruppierungen“. Wie unterscheidet man eigentlich zwischen „religiös“ und „pseudoreligiös“? Unsere Verfassung schützt die Freiheit der Religionsausübung, ohne zu sagen, was Religion wirklich sei. Das großartige, ein Grundrecht schützende Baugesetz unseres Staates droht nun mißbraucht zu werden. Es verleitet offenbar dazu, die organisierte Schaffung von Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen durch Vorgaben transzendenter Ziele der Hand des Staates zu entziehen.

Es scheint also, daß nicht nur Strafrechtler, sondern auch Verfassungsjuristen aufgerufen sind, sich den Kopf zu zerbrechen. Es wäre immerhin naheliegend, Kriterien für die Anerkennung einer schutzwürdigen Religionsgemeinschaft zu statuieren, die von „pseudoreligiösen Organisationen“ eben nicht erfüllt werden. Ein breiter Konsens der Gutgesinnten sollte jedenfalls erreicht werden.

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