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Der strenge Herr Papa

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Der Parteitag hat Adenauer zu- gejubelt, als er sein Nein aussprach. In den Versammlungen soll er bei der Wiederholung der Ansage besonders starken Beifall haben. Das alles beweist nur, daß der alte Zauberer noch immer jenen Tonfall zwischen väterlicher Ermahnung und striktem Befehl hat, der seinem gewaltlosen Regime oft eine stärkere Autorität gibt, als sie mancher gewalttätige Diktator besitzt. Es beweist nicht nur, daß Parteitagsdelegierte notorisch feige, sondern auch, daß Versammlungsbesucher unkritisch und leicht lenkbar sind. Unter vier oder sechs Augen sprechen die Abgeordneten der CDU anders. Nur zwei Diskussionsredner ließen auf dem Parteitag selbst etwas von den Zweifeln erkennen, die sich den Denkenden aufdrängen. Sie warnten davor, sich mit Haut und Haar der FDP auszuliefern, die durch Adenauers untaktisches Vorgehen in eine Schlüsselstellung gelangt ist, die sie kräftig auszubauen versucht. Das ist die eine Sorge jener Gefolgsleute des Kanzlers, die mit dem Nein nicht einverstanden sind. Die Offiziösen erwidern, diese Sorge sei grundlos. Die CDU CSU sei so stark, daß sie um Sieg und nicht um Platz kämpfen könne. Sie werde wieder die absolute Mehrheit erringen. Wenn dann die FDP in die Regierung wolle, müsse sie die Bedingungen der Union anerkennen. Wenn Ist es so sicher, daß die Union die Mehrheit erlangt? Nein. Es ist durchaus möglich, aber sicher ist es nicht. Ihre Mehrheit im Jahre 1957 war knapp. Es hängt von

mancherlei Zufällen ab, ob sie wieder an die 51 Prozent herankommt. Die Wahlsiege der CDU setzen eine ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung voraus, wie sie bisher nur bei Bundestagswahlen, niemals bei Landtags- und Gemeindewahlen erzielt wurde. Ist die Wahlbeteiligung um zwei bis drei Prozent niedriger als 1957, dann ist die Mehrheit bereits gefährdet. Die Wahlbeteiligung wiederum hängt zum Teil vom Wetter ab. Es darf weder strahlend schön und zu Badeausflügen verlockend noch darf es allzu schlecht sein. Wie werden die Jungwähler stimmen? Lassen sie sich durch Brandts etwas theatralisch betonte, naßforsche Jugendlichkeit betören? Werden sie durch die 86 Jahre Adenauers abgeschreckt? Der „Kronprinz“, den er sich, noch immer widerstrebend, aufdrängen ließ, Professor Ludwig Erhard, wirkt älter als der „Alte“. Steht der demoskopisch er- rechnete CDU-Sieg wirklich schon fest? Von den vorläufig Unentschiedenen können noch immer so viele Wähler zur SPD übergehert, daß die CDU die Mehrheit verliert.

Dann müßte sie — soll es Adenauer nachgehen — eine Koalition mit der FDP schließen, also mit jener zwischen HJ-Tradition und Loge balancierenden nationalliberalen Partei, die, zum. Unterschied von der SPD, nicht einmal behauptet, sie habe sich von der kleindeutsch- bzw. „gesamtdeutsch“- preußischen zu einer europäischen, von der neutralistischen zu einer prowestlichen Politik bekehrt. Es ist eines der Momente, die Adenauers Nein

einen geradezu grotesken Beigeschmack verleihen, daß er die Koalition mit der reuigen und bekehrten Partei ablehnt, zur Zusammenarbeit mit der nicht bekehrten Opposition jedoch bereit ist. Die Verbindung mit der FDP würde die CDU hindern, eine großzügige und fortschrittliche Sozialpolitik zu treiben. Außenpolitisch sähe sich die Bundesregierung dauernd desavouiert von einer Koalitionspartei, die lieber auf die europäische Integration als auf den Rang Berlins alä „Reichshauptstadt“ verzichten würde. Gewiß hat die CDU CSU viele Gründe, eine Koalition mit der SPD zu fürchten. Nicht der letzte unter ihnen ist das Beispiel Österreichs: Baue man erst den Staat auf dem Proporz auf, dann gebe es keine Bewegungsfreiheit mehr, dann trage man zwar allein die Verantwortung für alle unangenehmen und unpopulären Maßnahmen, müsse aber jedes Quentchen Macht mit dem Partner teilen und stehe im Wahlkampf doch einer Partei gegenüber, die sich die Vorteile der oppositionellen Position zu sichern weiß. Dazu kommt in der Bundesrepublik die Anomalie, daß die Opposition heute schon, dank ihrem Bündnis mit den großen Monopolen — der Gewerkschaft, dem Presse- und Rundfunkmonopol — und dank ihrer zementierten Stellung in einigen „roten Ländern“, so stark ist, daß die Regierungspartei sich nur solange behaupten zu können meint, als sie wenigstens den staatlichen Apparat im Bunde allein in der Hand hat.

Die verpaßte Chance

Anderseits aber wird das höchst unvollkommene und seinerzeit bewußt auf Machtlosigkeit zugeschnittene, nach Winfried Martinis These unter dem Glassturz des Besatzungsrechtes als bloße „Spielverfassung“ konstruierte Bonner Grundgesetz niemals

revidiert werden können, wenn die Union sich nicht mit der SPD koaliert. Die Bundesrepublik hat keinerlei Notstandsrecht. Das kann ihr im Falle eines Konflikts, wie ihn Belgien zu Jahresbeginn erlebte oder wie er nach koreanischem und laotischem Muster eintreten könnte, wenn Pankow Partisanen einsetzt, das Genick brechen. Man fragt sich, warum der Kanzler nicht die Lage ausgenützt und der SPD Bedingungen gestellt hat, die sie gar nicht ablehnen könnte und die ihr die Hände bänden im Wahlkampf und im neuen Bundestag. Dabei hätte er sich noch immer alle Türen offenhalten können. Er hätte sagen können, daß es zu früh sei, über Koalitionsfragen zu sprechen, daß man nach der Wahl seine Entscheidung treffen werde, daß man aber von der SPD erwarten dürfe, sie werde sich im Wahlkampf bereits wie eine künftig an der Verantwortung teilnehmende Partei be nehmen. Damit hätte er der SPD eine Waffe aus der Hand geschlagen. Sie könnte dann nicht, wie sie es jetzt tun will, die einen mit grundsätzlicher Bejahung von Staat und Staatsverteidigung, die ändern mit unterschwelliger Hetze gegen Strauß und den „Militarismus“ ködern.

Adenauer hat sich mit seinem Nein freiwillig und ohne Grund vieler Chancen begeben. Die Aussichten der SPD sind trotzdem vorläufig schlecht. Ihr „Regierungsprogramm“, für eine sozialistische Partei eine opportunistische Schande, für eine verbürgerlichte, in die Mitregierung strebende Partei wiederum von einer frivolen Antiseriosität, hat kaum irgendwo Beifall gefunden, weithin aber Gelächter ausgelöst. Man hat es sogar mit Goebbelssehen Versprechungen verglichen und an den makabren Witz von 1944 erinnert, die NSDAP werde die Schwangerschaft der deutschen Mütter auf drei Monate verkürzen. Aber mindestens ein wirksames Argument hat der Kanzler der SPD zugespielt: solange er am Ruder sei, gebe es keine nationale Einigkeit, und diese Einigkeit sei unerläßlich.

Damit hat sie leider recht, wie sich vielleicht sehr bald nach der Wiener Gipfelkonferenz erweisen wird.

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