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Der Subkontinent ruft laut nach starken zivilen Präsidenten

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Eine intensive Verfassungsdebatte zielt in Lateinamerika auf stärkere und zeitlich ausgedehnte Präsidentschaften.

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Eine intensive Verfassungsdebatte zielt in Lateinamerika auf stärkere und zeitlich ausgedehnte Präsidentschaften.

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Die Debatte erneuert die Parteienlandschaft, reduziert den Umfang der Legislative und versucht, die Korruption zu kontrollieren. Verfassungsänderungen, neue Verfassungen und Plebiszite sind die Instrumente.

Im frühen 19. Jahrhundert stellten die jungen lateinamerikanischen Republiken die Weichen für die Übernahme eines Präsidialsystems, wie von den USA gehandhabt. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten versuchte Lateinamerika seine schwierigere Wirklichkeit über eine permanente Verfassungsdiskussion in den Griff zu bekommen.

Die jüngste Verfassungsdebatte begann in den achtziger Jahren, als Lateinamerika aus zwei Jahrzehnten düsterer Militärdiktatur auftauchte, um sofort in die Schuldenfalle zu tappen. Bald zeigte sich, daß die erfreuliche Demokratisierung des Subkontinents mit Wirtschaftskrise, Massenarmut und zersplitterter Politik auf schwachen Füßen stand. Viel davon wollte man über neue Verfassungen reparieren. So ließ zum Beispiel Kolumbien von einer speziell gewählten verfassungsgebenden Versammlung ein Grundgesetz schreiben, wie es schöner, idealistis- her und perfekter nicht sein kann. Nur: Kolumbiens Wirklichkeit, die chaotisch bleibt, wird von der neuen Verfassung kaum berührt.

Anfang der neunziger Jahre stieß diese Debatte an ihre Grenzen - mit schönen Verfassungen alleine ließ sich die Strukturkrise nicht bewältigen. Zudem machte sich im Stimmvolk eine diffuse Sehnsucht nach starken Männern breit, die die Probleme bewältigen sollten. Früher hätten in solcher Stimmung die Offiziere geputscht. Heute darf sich Lateinamerika - unter den scharfen Augen der USA - solche Staatsstreiche nicht mehr leisten.

So konnte das „Fujimori-Syn- drom“ an die Oberfläche dringen: in die politische Arena traten neue Kandidaten jenseits des traditionellen Parteienlagers, oft telegen und Meister der Show, ohne Rücksicht auf die alteingesessenen Aristokraten der politischen Landschaft, die Politik als Glasperlenspiel betrieben hatten; auch waren die Neuen grimmig entschlossen, die Strukturkrise mittels kompromißloser Privatisierungs- politik zu meistern.

Rasch stellte sich jedoch heraus, daß in diesen Fällen einerseits parlamentarische Obstruktion das Reformwerk verhinderte, und andererseits vier Amtsjahre — meist mit dem

Verbot der Wiederwahl - zu kurz waren, um Neuerungen ernsthaft durchzuziehen und auf ihre Tauglichkeit hin zu testen.

In der jetzigen Verfassungsdebatte geht es um die Korrektur solcher Defizite. Gewünscht wird, als lateinamerikanischer Gaullismus, eine starke, auf Wiederwahl eingestellte Präsidentschaft, die auch Gordische Knoten durchschlagen kann.

HISTORISCHE UMARMUNG

Perus Präsident Alberto Fujimori . ging mit der Entlassung seiner Parlamentarier im April 1992 etwas drastisch vor. Doch jetzt liegt in Lima eine neue Verfassung auf (durch eine Volksabstimmung Ende Oktober 1993 approbiert). Das Parlament ist auf eine Kammer reduziert, die Präsidentschaft gestärkt, eine Wiederwahl ist möglich, ja selbst die richterliche Gewalt ist in die präsi- dentiale Macht eingebunden.

In Argentinien, wo die Verhandlungen des peronistischen Präsidenten Carlos Menem mit seinem glücklosen Vorgänger Raul Alfonsin von der stärksten Oppositionspartei so weit gediehen sind, daß von einem „abrazo historico“, einer historischen Umarmung, die Rede ist, gehen die Parteiengespräche in dieselbe Richtung. In Guatemala ficht Staatschef Ramiro de Leon um ähnliche Vollmachten.

Was bei diesen diffusen Vorgängen, bei denen Perus Fujimori das Tempo vorgegeben hat, ins Auge sticht, ist der offene Beifall der unteren Einkommensschichten, denen die klassische Formaldemokratie nichts gebracht hat.

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