Die Süddeutsche über das Schicksal der traditionsreichen deutschen FDP, die verzweifelt versucht, sich vor dem Untergang zu retten.
Die Lebenserfahrung lehrt, dass in der Politik immer wieder gerade solche Dinge eintreten, die vorher besonders scharf dementiert werden. Guido Westerwelle zum Beispiel hat immer wieder betont, er werde den Parteivorsitz nicht aufgeben. Im Augenblick behaupten Westerwelle und andere FDP-Leute noch, er werde Außenminister bleiben.
Angela Merkels Sprecher teilt mit, dass die Kanzlerin keinen Anlass zu einer Kabinettsumbildung sehe. Nun scheint der Zustand der FDP-Spitze schon Anlass genug zu bieten, um mindestens das Kabinett umzubilden. In weniger als zwei Jahren Regierungsbeteiligung haben es die Liberalen geschafft, ihre Partei an den Rand der Existenz zu bringen. Im Bund würde die FDP gegenwärtig wohl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, so wie ihr das jüngst in Sachsen-Anhalt und Rheinland Pfalz, fast sogar in Baden-Württemberg geschah. In der FDP selbst gelten mittlerweile der Parteivorsitzende, die Fraktionschefin, der Wirtschaftsminister sowie etliche Mitglieder der Parteispitze als Fehlbesetzungen, ja als Ursachen der Misere. Außerhalb der FDP glauben viele, dass die gesamte FDP 2009 als Regierungspartei eine Fehlbesetzung war.
Der Retter der Partei
Nun soll also, so wie es aussieht, der talentierte Herr Rösler die Partei retten. Er ist ein freundlicher Mann, im Gegensatz zu Westerwelle sehr unverkniffen, nur mäßig rechthaberisch, leistungsbereit, ohne sehr kompetitiv oder gar aggressiv zu sein. So einen hat man gern im Elternbeirat oder in der "Projektgruppe digitaler Workflow“. Dieser Philipp Rösler und der noch jüngere, etwas weniger verbindliche Christian Lindner sollen in Zukunft die Fackelträger einer Partei sein, deren Ursprünge auf das Paulskirchen-Parlament zurückreichen, die Ralf Dahrendorf, Rudolf Augstein und Hans-Dietrich Genscher zu den Ihren zählte und die einst etwas bewegte in der Republik.Vielleicht ist dies eine zu nostalgische, gar verklärende Sicht auf eine FDP, die es heute nicht mehr gibt. Möglicherweise sind gerade jetzt, da es ums Überleben der heute eigentlich postliberalen FDP geht, verbindliche Pragmatiker ohne zu viel kontroverse Parteivergangenheit gerade richtig.
Die hyperaktiven Dauer-Jungliberalen
In den vergangenen zehn Jahren nämlich bestimmten das Bild der Partei entweder die hyperaktiven Dauer-Jungliberalen vom Schlage Westerwelles, die in ihrer vor sich hergetragenen Ideologiefreiheit schon wieder hoch ideologisch waren. Ihnen standen die gremienerprobten Parteionkel vom Stamme Rainer Brüderles gegenüber, die stets zu einem Scherz über ihren Dolch im Gewande bereit waren.
Die Krise der FDP hat ein derartiges Ausmaß, dass halbherzige Personalveränderungen nicht ausreichen werden. Ein neuer Parteichef allein wird es nicht richten - nicht in den Augen der aufrührerischen Regionalgliederungen und schon gar nicht in den Augen der Wähler. Mit Westerwelle sollte die überforderte Fraktionschefin ebenso ins Glied zurücktreten wie der BDI-Freund Brüderle.
Allerdings kommt es nicht auf zeremonielle Titel wie den des Vizekanzlers an.
Der Vizekanzler darf zweimal im Jahr, wenn die Chefin nicht da ist, die Kabinettssitzung leiten. Ob der neue Vizekanzler Rösler heißen wird oder nicht, ist ziemlich egal - zumal für die FDP auch Jürgen Möllemann schon mal Vizekanzler war. Sollte wider Erwarten jemand ohne Kabinettsrang FDP-Chef werden, dann könnte die Partei den Vizekanzler-Titel ausnahmsweise mal nach Kompetenz, an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, vergeben.
* Aus Süddeutsche Zeitung, 5. April 2011
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