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Der Traum von „Kroatien“

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In unserer Zeit, da nationale und politische Ideologien aufeinanderprallen und Emigrationen in aller Welt Höchstziffern erreichen, stellt auch die kroatische Emigration ein brennendes Problem dar. Auf der ganzen Welt verstreut und organisiert, bereitet sie der kommunistischen Belgrader Regierung wohl einiges Kopfzerbrechen. Sie entstand schon vor dem zweiten Weltkrieg, besonders aber nach dem zweiten Weltkrieg durch die Kapitulation der bestehenden Parteien und durch die Machtübernahme der Kommunisten. Der große Exodus der Kroaten am Ende des Weltkrieges, der mehrere Hunderttausende zählte, wird noch lange Zeit eine Wunde im Organismus des Volkes bleiben. Das Land haben keineswegs nur Ustašas verlassen, wie so oft behauptet wird, sondern auch ein großer Teil der schöpferischen Intelligenz, der die diktatorischen Methoden der Ustašas von Anfang an verurteilt hat und heute in der Emigration die größte Rolle spielt. Weiterhin hat ein Großteil der Führungsschicht der Kroatischen Bauernpartei mit ihrem alten Führer Dr. Vlatko M a č e k an der Spitze das Land verlassen. Und sie alle, Ustašas und Nicht-Ustašas, bilden ohne Zweifel heute die stärkste, aktivste und problemreichste südslawische politische Nachkriegsemigration.

Die geistige und politische Aktivität dieser Emigration manifestiert sich schon durch die große Anzahl von Zeitschriften und Zeitungen. Dem Verfasser dieses Artikels sind nicht weniger als 22 nach ihrem Niveau verschiedenartige Zeitungen und Zeitschriften bekannt, die in verschiedenen Ländern der Welt wöchentlich, monatlich oder periodisch erscheinen. Das geistige Potential dieser Emigration kommt aber am deutlichsten zum Ausdruck in der von dem Dichter Vinko Nikolid redigierten Zeitschrift „Hrvatska revija“ („Kroatische Revue“), die schon 13 Jahre lang in Buenos Aires erscheint. Der prominenteste Mitarbeiter dieser Zeitschrift war der verstorbene Bildhauer Ivan Meätrovid, dessen köstliche, eruptive, klare und anschauliche Betrachtungen über Kunst, Politik und Religion nicht weniger anziehend als seine Schöpfungen aus Stein, Holz und Bronze waren. Zu den Mitarbeitern der „Kroatischen Revue“ zählt auch Meštrovičs Freund, der in Rom lebende Maler Jozo Kl j a k o v i, sonst als großer Kenner der religiösen Kunst bekannt und der beste kroatische Maler der Komposition, dessen Fresken verschiedene Kirchen in Dalmatien und in Zagreb schmücken. Seine schriftstellerische Tätigkeit ist vielseitig. Beide großen Künstler, Meštro- vič und Kljakovič, waren während des Krieges von der Ustaša-Regierung verfolgt und einige Zeit sogar eingekerkert. Diese Tatsache allein widerlegt die Behauptung der gegenwärtigen Belgrader Regierung, daß die gesamte kroatische Emigration faschistisch und jeder Kroate, der mit der heutigen jugoslawischen Politik nicht ganz einverstanden ist, als Ustaša (also „Faschist“) anzusehen sei.

Schach dem heutigen Staat

Der bekannte serbische Literaturkritiker Jovan Skerlid bezeichnete schon am Anfang unseres Jahrhunderts das serbo-kroatische Problem als „größtes historisches Paradoxon, das überhaupt existierte“. Dieses Paradoxon kann heute auch Tito nicht lösen. Die wirtschaftliche, besonders aber die kulturelle und nationale Integration Jugoslawiens, hat sehr schwache Erfolge gezeigt. Nur wenige Kroaten in Jugoslawien und in der.

Emigration sehen den heutigen jugoslawischen Staat als definitiv an. Die Kroaten sind nicht ein Heiduckenvolk und denken nicht daran, wie die neuerliche Entwicklung in Jugoslawien deutlich genug zeigt, in den im Westen so oft geprägten sogenannten „Slawenmassen" unterzugehen. Und von ihnen hängt letzten Endes das zukünftige Schicksal Jugoslawiens wesentlich ab. Selbst die Filiale der KPJ, die Kommunistische Partei Kroatiens, trägt heute, allerdings im geheimen, Züge, die dem demokratischen Flügel der kroatischen Emigration ähneln. Zur letzteren gehört die Kroatische Bauernpartei (HSS) und die sogenannte „mittlere Linie“, eine Synthese von Ustaüa-Bewegung, Kroatischer Bauernpartei und Kommunisten, geführt von dem in Rom lebenden Dr. Ante C i - liga, dem ehemaligen Sekretär der Kommunistischen Partei Kroatiens, der fünf Jahre vor dem zweiten Weltkrieg als Stalin-Gefangener in Sibirien verbrachte, und jungen Leuten — Studenten und jungen Intellektuellen —, die zwischen 1950—1958 nach dem Westen kamen und in London die beste kroatische Emigrantenzeitung „Nova Hrvatska“ („Neues Kroatien“) herausgeben. Geheime Kontakte zwischen den Vertretern der KPK und obigen Kräften sind da; es wäre aber falsch, sie zu überschätzen.

Die kompromittierte Ustaša

Die kroatische politische Emigration ist also durch die Bauernpartei (HSS), die Kroatische Befreiungsbewegung (HOP, bekannt unter dem Namen Ustaša), die „mittlere Linie" und eine Anzahl von Komitees, Widerstandsgruppen und „unabhängigen“ Vereinen und Zeitungen vertreten. Die Ustaša-Variante, eine kroatische Art des Faschismus, und die Kroatische Bauernpartei-Variante leben in der Emigration von ihrer Vergangenheit. Die HSS, deren Führer Dr. Vlatko M a č e k in Washington und deren aktiver Generalsekretär Dr. Juraj K r n j e v i č in London leben, kann sich wohl ihrer ruhmreichen, demokratischen und gewaltlosen Tradition rühmen, während die Ustasa-Bewegung mit ihrer undemokratischen und „Führer“-Tradition nicht viel anfangen und der Belgrader Regierüng keine ernsthafte Alternative stellen känn.

Die Ustašas sind offensichlich weltanschaulich und ihrer diktatorischen Methoden wegen in den Augen der eigenen Bevölkerung und in den Augen der Welt kompromittiert und werden daher in Zukunft kaum etwas für die gerechte kroatische Sache erreichen können. Nach dem Tode ihres Führers Dr. Ante P a v e 1 i č und nach der Ernennung Dr. Stjepan H e f e r s zum Obmann ist die Bewegung zwar einer gewissen Demokratisierung unterworfen worden, die jungen Flüchtlinge aber verlangen nach wie vor, wie das untaugliche Attentat auf die jugoslawische Handelsmission in Bad Godesberg im November vergangenen Jahres eindeutig zeigt, Rache, Bomben und Terroraktionen.

Die „Stimme Kroatiens"

Ganz anders liegen die Dinge bei der Bauernpartei. Die Tätigkeit dieser Partei lehnt sich an die große unblutige Revolution Anfang des Jahrhunderts in Kroatien an. Die Partei ist von den Brüdern Stjepan und Ante R a d i č um die Jahrhundertwende gegründet worden und nach dem ersten Weltkrieg die stärkste und einflußreichste „jugoslawische“ Partei geworden.

Wegen der prinzipiellen Forderung der kroatischen Eigenstaatlichkeit, die vom größten Teil des Bauernvolkes und von den Arbeitern gebilligt wurde, ist der große südosteuropäische Bauernführer Stjepan Radič im Jahre 1928 im Belgrader Parlament von einem serbischen Fanatiker ermordet worden. Seit diesen Tagen begann der bewaffnete und revolutionäre Kampf gegen die großserbische Unterdrückung, der als verzweifelte Reaktion von der im Jahre 1929 gegründeten Ustaša-Bewegung mit ihrem Anführer, dem jungen Abgeordneten Dr. Ante Pavelič, geführt wurde und' mit der Proklamierung des kroatischen Staates am 10. April 1941 und der schamhaften Kapitulation dieses „Staates" im Jahre 1945 vorläufig sein Ende gefunden hat.

Die Bauernpartei hat sich aber mit ihrer alten Zickzacktaktik, das heißt, „nicht gegen und nicht für Jugoslawien“, stets von der Ustasa-Bewegung distanziert. Die neuesten Versuche der Ustaša-Fūhrsr, sich mit der Bauernpartei wenigstens in dem Punkte zu einigen, daß in Zukunft nicht mehr in der Presse gegeneinander polemisiert wird, sind gescheitert, da die Bauernpartei ihrer Tradition treu bleiben will und die revolutionäre Taktik des Kampfes nach wie vor ablehnt. Die Partei selbst verfügt aber über einige profilierte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Dr. B. Peše1 j, Ilija Jukič, Bogdan Radicau. a. Diese Garde strebt ein demokratisches, föderalistisches Jugoslawien an. Das Sprachrohr der Partei ist die in Kanada erscheinende Monatszeitung „Hrvatski Glas“ („Kroatische Stimme“).

Dieser Partei sehr verwandt ist die Gruppe, die sich um Roko K a 1 e b und sdine in München erscheinende Zeitung „Hrvatska Zora" („Kroatische Morgenröte") sammelt. Roko Kaleb, Angehöriger der jüngeren Generation, hat zusammen mit seinen serbischen, slowenischen und mazedonischen Freunden ein Programm für ein künftiges föderalistisches demokratisches Jugoslawien aufgestellt. Seine kulturpolitischen Analysen sind realistisch und intelligent.

Die „mittlere Linie"

Die bemerkenswerteste Erscheinung dieser Emigration ist aber die sogenannte „mittlere Linie", die keine Partei bildet, sondern in ungebundener Haltung die politische Vereinigung aller Kroaten, ohne Unterschied ihrer religiösen oder politischen Bekenntnisse — einschließlich der Kommunisten —, fordert. Diese Gruppe besteht aus ehemaligen Leninisten (z. B. dem Linkskatholiken Dr. Ante Ciliga und Branko Or1ovič ), Ustaša-Abtrūn- nigen (z. B. Prof. Krunoslav Dragano vič ) und Angehörigen der jüngsten Generation (Jakša Kušan), den ersten Nachkriegsmaturanten, die nach 1950 in den Westen kamen. Die geistigen Vorbilder dieser parteilosen, unbequemen und wortreichen Haltung sind keineswegs „Poglavnik“ Dr. Ante Pavelic oder die Gandhi-Haltung der Bauernpartei, sondern Männer wie V o k ič und Lorkovič, die als Minister der Ustaša-Regierung im Jahre 1943 ein Komplott gegen die Pavelič-Regierung planten, um dann mit der kroatischen Heimwehr die deutschen Truppen auf kroatischem Gebiet zu schlagen und den neugeschaffenen Staat in das Lager der Alliierten zu führen, also den Staat zu retten, dadurch die begonnene kroatische Revolution zu Ende zu führen, den historischen Wunsch des leidgeprüften kroatischen Bauernvolkes zu realisieren und den ganzen Ustaša- Kampf nicht als bloße faschistische Bewegung auf kroatischem Gebiet zu belassen. Die weitsichtige Vokič-Lor- kovic-Initiative wurde aber aufgedeckt, und beide wurden liquidiert. Wäre dieser Widerstandsplan, in der westlichen Öffentlichkeit überhaupt noch nicht bekannt, geglückt, so wäre heute Kroatien wahrscheinlich in derselben glücklichen Lage wie Österreich. Diese Gruppe verlangt eine Umbildung im heutigen Jugoslawien zum Mehrparteisystem.

Von den Komitees, Widerstandsausschüssen und „unabhängigen“ Vereinen ist zuvorderst „Hrvatski narodni odbor“ („Kroatisches Nationalkomitee“) zu nennen. Sein Führer ist der Mitbegründer der Ustaia-Bewegung Dr. Branko J e 1 i č, der die Kriegszeit in einem englischen Gefängnis verbrachte. Nach dem Kriege wollte Dr. Jelid mit seinem einstigen Freund Pavelic nichts mehr zu tun haben.

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