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Der Trick mit der Verfassung

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Stellen Sie sich vor, Sie legen Ihr Vorsorgekapital in Schuldverschreibungen einer Bausparkasse oder Hypo-Bank an, weil diese Papiere durch ein Sondervermögen bestens besichert sind. Durch windige Geschäfte gehen die Bausparkassen und Hypo-Ban-ken aber pleite. Der Staat greift ein und kassiert dabei auch jenes Sondervermögen, das zur Besicherung Ihrer Wertpapiere gedient hat.

Von so einem Fall waren in den letzten Jahren etliche Österreicher betroffen. Sie hatten ihr Geld am Euro-Markt in die mit der höchsten Bonitätsbewertung bewerteten Schuldverschreibungen amerikanischer Bausparkassen und Hy-po-Banken aufgrund von Batschlägen ihrer österreichischen Banken veranlagt.

Haben diese Sparer ihr Geld je wieder gesehen?

Ja. Denn sie kamen in den Genuß der amerikanischen Verfassung, genauer gesagt des letzten Satzes im fünften Amendment des US-Grundgesetzes. Dieser Zusatzartikel aus dem Jahr 1791 gewährt zwar dem Staat das Becht, in private Verträge einzugreifen, den privaten Besitz für öffentliche Zwecke einzukassieren, aber er sagt ganz klar: „nor shall private property be taken for public use, without just compen-sation".

Das Desaster der maroden US-Bauspar- und Hypo-Ban-ken kostete den Staat rund 500 Milliarden US-Dollar, umgerechnet unvorstellbare über 5.000 Milliarden Schilling, weit mehr als das Dreifache des gesamten österreichischen Sparbuchkapitals.

Für den Staat war ein riesiger Schaden entstanden. Trotzdem wurde die Verfassung nicht dahingehend abgeändert, daß man das Sondervermögen der Banken - das als Besicherung für die Wertpapiere diente - entschädigungslos einkassieren konnte.

Solch eine Verfassungsänderung ist in den USA nahezu unmöglich. Die Verfassungsväter haben in Artikel 5 der US-Constitution so unüberwindlich hohe Hürden für Verfassungszusätze eingebaut, daß seit 1787 nur 26 Amendments zustandekamen. Selbst zur Abwehr dieses 500-Milliar-den-Dollar-Schadens ist in den USA politisch kein Verfassungszusatzartikel durchsetzbar.

Wie würde man ein solches Desaster in Österreich lösen? Wenn SPÖ und ÖVP sich im Kabinettskammerl einigen, löst man Probleme, wo einem die Verfassung unbequem ist, durch eine entsprechende Verfassungsbestimmung. Für jeden Bürger beängstigend sollte sein, für welche aus Budgetsicht doch relativ geringen Beträge unsere Politiker bereit sind, unser Grundgesetz zu „verkaufen".

Bei aller Einsicht in die Sparnotwendigkeiten sollten die Bürger ihre Politiker an deren Prinzipientreue messen. Und die Verfassung ist eben ein Grundprinzipienkatalog eines Bechtsstaates, der in den USA fast schon „heilig", zumindest aber politisch fast unantastbar ist. Die Stellung des Supreme Courts und der dortigen Hohen Richter ist eine mit österreichischen Verhältnissen unvergleichlich hohe, fast schon mystisch überhöhte.

Zurück in die Niederungen des österreichischen Verfassungsrechtes, das Kenner der Materie als Torso, andere als unüberblickbares Flickwerk bezeichnen. Irgendwo sind in verschiedensten Gesetzen Verfassungsbestimmungen eingebaut. Einer der berühmtesten Sündenfälle war jene Verfassungsbestimmung, mit der man einst einmal die Taxler vor unliebsamer Konkurrenz schützte, durch die sie nach einem Verfassungsgerichtshofurteil bedroht waren.

Ein ganz wesentlicher Sündenfall war im Steuerrecht das Endbesteuerungsgesetz samt Amnestie für Sparzinsensünder. Nach dem Motto: Ist der Ruf als Verfassungsrechtsstaat erst einmal ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert, handelt man jetzt beim Strukturanpassungsgesetz 1996 mit zuerst 31 und jezt „nur" noch zwölf Verfassungsbestimmungen.

Insgesamt bringt das Sparpaket an Aufkommenswirkungen dem Staat 27 Milliarden Schilling im Jahr 1996 und 47 Milliarden im Jahr 1997 und als Dauereffekt. Wieviel Milliarden allenfalls dem Staat durch Verfassungsgerichtshofbeschwerden entgehen, wenn er unsere Grundrechtsordnung nicht noch weiter durchlöchert' und den Verfassungsgerichtshof dadurch ausschaltet, wird nicht extra ausgewiesen.

In Verfassungsrang erhoben werden insbesondere die steuerliche Nichtberücksichtigung von Unterhaltsleistungen an Studenten über 26 Jahre (§ 34 Abs. 7 Z 5 EStG) sowie die teilweise rückwirkenden Inkrafttretensbestimmungen betreffend Bausparen, Sonderausgaben, Einschränkung von Verlustmodellen, Veräußerungsgewinne, Reservenübertragung, Kfz-Abschreibung, Teilwertabschreibung von Beteiligungen, Arbeitszimmer, Familienheimfahrten, Kapitalrückzahlungen, Privatstiftungen. Auch die Beschränkung der endbesteuerungsfähigen Forderungswertpapiere auf solche mit öffentlichen Anbot sind unseren Politikern die weitere Durchlöcherung unserer Verfassung wert. Alles in allem sind es, wie die obige Auflistung verdeutlicht, nicht gerade staatsgefährdende oder einen staatlichen Notstand heraufbeschwörende Umstände, die unser Parlament im Mai zum Beschluß von Verfassungsbestimmungen drängen.

Steuervorteile kappen und Leistungen aussetzen ließe sich in dieser Republik sicher auch ohne Verfassungsdurchlöcherung. Es ist halt „einfacher so", lautet sicher das Argument und wer regt sich dagegen schon auf? Ein paar Rechtstheoretiker im universitären Elfenbeinturm. Kommt es den Menschen doch nur darauf an, was ihnen unter dem Strich übrigbleibt? Ist es das, was zählt, und nicht irgendwelche hohen Ideale vom Grundgesetz oder Vielleicht sind aber einige wenige dennoch besorgt, wie locker leicht unser Gesetzgeber mit dem Grundgesetz umgeht und wie völlig apathisch unsere Mitbürger und die Medien darauf reagieren. Denn es muß einem doch als Bürger, Sparer, Steuerpflichtiger für die Zukunft angst und bang werden, was da an Verfassungsbestimmungen noch alles im Zuge der Staatssanierung auf uns zukommt, wenn es um größere Beträge geht, als um 27 oder 47 Milliarden Schilling pro Jahr.

Ein Hoffnungsstrahl ist da nur noch die Aussicht, daß nach der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion als nächster Schritt eine EU-Steuerunion kommt. Da EU-Recht nicht von heimischen Politikern nach Steuereintreibungslaune verändert werden kann, ergäbe sich dadurch mehr längerfristige Rechtssicherheit, die hierzulande abhandengekommen ist.

Der Autor ist

Finanz- und Wirtschafispubli-zist sowie Lehrbeauftragter am Institutfür Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik an der Wirtschaftsuniversität in Wien.

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