7099791-1995_07_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Weg zu „People's Power”

19451960198020002020

Die großen Religionen haben durchwegs Ansätze zur Gewaltlosigkeit. Aber vor allem Bewegungen der letzten 100 Jahre vertreten konsequent dieses Ideal.

19451960198020002020

Die großen Religionen haben durchwegs Ansätze zur Gewaltlosigkeit. Aber vor allem Bewegungen der letzten 100 Jahre vertreten konsequent dieses Ideal.

Werbung
Werbung
Werbung

Wohl zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte hat es neben gewaltsamen auch gewaltlose Versuche gegeben, Konflikte zu lösen, politische Veränderungen zu erreichen und für Gerechtigkeit einzustehen. Alle großen religiösen Strömungen zeigen diese Ambivalenz, oft bis in ihr Gottesbild hinein - der Gott des Krieges gegen den Gott der Liebe. Die andauernde Wirksamkeit der gewaltfreien Stränge wird in den Geschichtsbüchern oft vergessen - erinnert sei hier aus dem christlichen Bereich nur an das Beispiel der Ur-kirche bis ins dritte Jahrhundert, an die franziskanische Bewegung oder die „historischen Friedenskirchen” (Mennoniten, Quäker, Brethren).

Von Bewegungen, die aktive Gewaltfreiheit als Grundhaltung und Methodik bewußt und konsequent in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einbrachten, kann man erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sprechen. Zwei unterschiedliche Ansätze stehen am Anfang und werfen ein Licht auf die jeweiligen Schwerpunkte: ein vorwiegend „christlichbürgerlich-liberal” inspirierter Pazifismus mit Betonung der Ablehnung des Krieges, vertreten etwa durch Bertha von Suttner, und ein eher „sozialistisch-anarchistisch” motivierter Kampf um mehr Gerechtigkeit für die unterdrückten Klassen.

Die Verbindung dieser beiden Triebfedern, etwa in den Schriften von H. D. Thoreau und L. Tolstoj, besonders aber im Leben und Wirken von Mahatma Gandhi -zunächst in Südafrika, dann in Indien - stellt den Beginn und auch schon den ersten Höhepunkt der Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit dar. Kein anderer hat wohl in so umfassender Weise die beiden Aspekte von „ahimsa” als Zurückweisung jeglicher Gewalt und „sa-tyagraha” als positive Kraft der Wahrheit in die Auseinandersetzungen seiner Zeit eingebracht wie Gandhi. Der Erfolg seiner Kampagnen für die Unabhängigkeit Indiens hat auch das gewaltfreie Denken und Handeln im Europa der Zwischenkriegszeit stark beeinflußt.

Vor und während des Ersten Weltkriegs standen Bemühungen um die Verständigung zwischen verfeindeten Völkern auf der Tagesordnung der damals entstehenden christlich-ökumenischen Bewegung, andererseits spielte im angelsächsischen Raum die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen erstmals eine bedeutende Rolle.

Die beiden ältesten gewaltfreien Bewegungen, der Internationale Versöhnungsbund und die War Re-sisters' International, haben hier ihre

Ursprünge. Aber auch die ersten Erfolge spontanen gewaltlosen Widerstands gegen Putschversuche (Kapp in Deutschland) und fremde Besatzung (Ruhrkampf) fallen in die Zwischenkriegszeit, ebenso der Entwurf eines gewaltfreien „ Zivil verteidi-gungskonzepts” gegen einen Einmarsch der Nazis in den Niederlanden. Dennoch konnten die Friedensbewegungen die Ausbreitung faschistischer Ideen nicht aufhalten, auch-wenn es in Dänemark und Norwegen durchaus erfolgreichen gewaltfreien Widerstand gegen nationalsozialistische Gleichschaltung gab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben sich neue Herausforderungen, in Europa vor allem aus dem Kalten Krieg mit der Gefahr einer globalen Vernichtung durch Atomwaffen, später auch im Einsatz gegen verschiedene Formen von Gewalt, zum Reispiel gegen Atomkraftwerke, Umweltzerstörung oder weltweite Verletzungen von Menschenrechten. Am erfolgreichsten wurden gewaltfreie Methoden im Zuge der Entkolonialisierung und im Kampf um die Rechte ganzer Völker beziehungsweise von Minderheiten gegen ungerechte Gesetze oder Diktaturen eingesetzt.

Die Bürgerrechtsbewegung unter M. L. King und der Kampf der „Hispanics” in den USA, aber auch der Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika sind Beispiele dafür. Im letzten Jahrzehnt kann man geradezu von gewaltfreien Massenbewegungen gegen Diktatoren zur Erlangung von mehr Demokratie sprechen. „People's Power ” wurde zum Begriff beim Sturz von Fernando Marcos auf den Philippinen, aber auch in Lateinamerika (Chile, Haiti), Osteuropa (Polen, DDR, CSSR, Baltikum ...) und Afrika (Elfenbeinküste, Madagaskar ...) wurden autoritäre Regime mit gewaltfreien Methoden abgelöst.

Zwei Defizite gewaltfreier Bewegungen gilt es zu überwinden: oft ist es nicht gelungen, nach dem Erfolg der ersten Phase eine dauerhafte, gerechtere Gesellschaftsordnung aufzubauen, sodaß stets Rückfälle in altes Unrecht drohen; und in Hinblick auf zwischenstaatliche sowie nationale/ethische Konflikte gibt es bisher nur ansatzweise Erfahrungen mit wirksamen gewaltfreien Maßnahmen („Soziale Verteidigung”) beziehungsweise Interventionen.

Die zerstörerischen Auswirkungen jedes modernen (Bürger-)Krieges liegen heute klar zutage. Eine erfolgversprechende gewaltfreie Alternative müßte bei einer tiefgreifenden „Alphabetisierung” in gewaltfreier Konfliktlösung für breite Bevölkerungsschichten und bei einer möglichst frühzeitigen, präventiven Deeskalation von Konflikten ansetzen. Verschiedene Konzepte eines Zivilen Friedensdienstes, auch in Osterreich, und kleine Gruppen wie Peace Brigades International oder das Balkan Peace Team zeigen exemplarisch in einigen Konfliktzonen (Guatemala, Kolumbien, Sri Lanka; Kroatien, Kosovo), wohin der Weg gehen könnte.

Mitarbeiter im Österreichischen Versöhnungsbund und bei den Österreichischen Friedensdiensten (ÖFU).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung