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Der Zerfall der FDP

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Die FDP in der deutschen Dundesrepublik ist einer Zerreißprobe ausgesetzt wie noch nie seit ihrem Bestehen. Die Hoffnung ihres Parteiführers Walter Scheel, daß eine Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten der FDP eine eigenständigere Politik und damit auch eine anziehendere Profilierung für den Wähler verschaffen werde, hat sich nicht erfüllt Das Gegenteil ist eingetreten. Die Partei zerfiel alsbald in zwei Teile, was bedeutet, daß sich jeder Teil der jeweiligen ihr nahestehenden Großpartei noch mehr als früher anpassen muß.

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Die FDP in der deutschen Dundesrepublik ist einer Zerreißprobe ausgesetzt wie noch nie seit ihrem Bestehen. Die Hoffnung ihres Parteiführers Walter Scheel, daß eine Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten der FDP eine eigenständigere Politik und damit auch eine anziehendere Profilierung für den Wähler verschaffen werde, hat sich nicht erfüllt Das Gegenteil ist eingetreten. Die Partei zerfiel alsbald in zwei Teile, was bedeutet, daß sich jeder Teil der jeweiligen ihr nahestehenden Großpartei noch mehr als früher anpassen muß.

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Diese Entwicklung hat mehrere Gründe, doch scheint mir der Hauptgrund zu sein, daß sich eine durch die letzten Bundestagswahlen nahezu halbierte FDP bereitfand, mit der parlamentarisch schwächeren Partei ein Regierungsbündnis einzugehen. Die SPD, die zum erstenmal seit Gründung der Bundesrepublik den Kanzler und die erste Regierungspartei stellte, war vom Ehrgeiz geradezu zerfressen, es gleich im ersten Ansturm besser als die CDUCSU zu machen, und sah in ihrem Reformeifer nicht, daß sie damit die Basis selbst ins Wanken brachte. Sie riß auch die FDP in den Strudel mit, was zur Folge hatte, daß die liberale ebenso wie die nationalkonservative Gruppe der Partei nicht mehr mitkam. Die FDP als der eigentliche Verlierer der letzten Bundestagswahlen erlag einfach der Versuchung Brandts, und muß dieses Erliegen nun teuer bezahlen. Eine kleine Partei, die 40 Prozent ihrer Mandate verliert, darf nicht eine Regierungsverantwortung übernehmen, sondern muß sich zuerst reformieren und innerlich festigen, vor allem eine geistige Basis finden, um standfest zu werden.

Es war vorauszusehen, daß die CDUCSU als noch immer stärkste Partei im Bundestag der von Anfang an auf schwachen Beinen stehenden Regierungskoalition den schärfsten Kampf ansagen wird, um so mehr, als sie wußte, daß die FDP nicht ohne Sub-stanzverlust die Zerreißprobe überstehen kann, in die sie durch die sozialdemokratische Regierungspolitik gebracht wurde. Statt mit Energie, aber auch mit Ruhe an die Probleme heranzugehen, entwickelte die Regierung Brandt eine geradezu journalistische Hektik, die eine innen- und außenpolitische Nervosität erzeugte und ein innenpolitisches Klima schuf, das mit dem in der Weimarer Republik verglichen wird. Dazu kommt, daß der Regierungschef Willy Brandt und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herbert Wehner, einfach den Regierungsstil noch nicht gefunden haben und deshalb Ausdrücke verwenden, die man bestenfalls der Opposition, aber nicht der Regierung zubilligt. Ja, Herbert Wehner entwickelte eine Kampfesart, die fatal an Chruschtschows Entgleisungen in der UNO erinnert, so daß sich der sozialdemokratische Führungspolitiker selbst zuzuschreiben hat, wenn man ihm einen Rückfall in seine kommunistische Vergangenheit vorwarft. Die Gegner als „Betrüger“ und „Verbrecher“ zu bezeichnen, ist unter demokratischen Parteien nicht üblich. Das sind Ausdrücke, mit denen Kommunisten oder Nationalsozialisten ihre Widersacher diffamieren.

Ein derartiger Kampfstil mußte gerade die liberalen Elemente in der FDP abstoßen. Noch mehr aber irritierte die Ostpolitik der Regierung Brandt die national-konservativen Kreise der FDP. Sie wurde zwar publizistisch in Tönen gepriesen, als begänne ein neues Zeitalter der deutschen Außenpolitik und als kehrte die Bundesrepublik wieder in den Kreis der Großmächte zurück, doch anerkannte sie faktisch nur den von vielen Deutschen, aber auch von anderen Völkern als Unrecht angesehenen Status quo. Bisher scheint einzig die deutsche Wirtschaft davon zu profitieren, aber auch hier muß das Ergebnis erst abgewartet werden. Es kann leicht sein, daß die Deutschen im Westen an Absatzgebiet verlieren, was sie im Osten gewinnen, nur mit dem Unterschied, daß sie im Osten das geringere Geschäft machen, ganz abgesehen davon, daß sie den Russen die Sorge um den Aufbau ihrer Konsumgüterindustrie erleichtern, so daß die Sowjets in ihrer Rüstungsindustrie um so weniger gehlindert sind.

Während aber die Regierung Brandt-Scheel in der Ostpolitik ähnlich wie der österreichische Herrscher Josef II. vor lauter Eifer den zweiten Schritt vor den ersten zu setzen versuchte, blieb sie in der Wdrtschaifits-poliitik zunächst überhaupt unitätig und nahm dann mit ihrer Budgetpola-tik eine Umstrukturierung vor, die zuwenig die augenblickliche wirtschaftliche Lage berücksichtigt. Die Folge ist eine Verunsicherung auch in der Wirtschaftspolitik. So haben eine umstrittene Außenpolitik, eine umstrittene Wirtschaftspolitik und eine innenpolitische Auseinandersetzung, die in gegenseitige Beschuldigungen und Beleidigungen gipfelt, den bisher so sicheren Pfeiler der westlichen Politik ins Schwanken gebracht. Die Bundesrepublik ist nun gleichfalls zu einem Kranken im westlichen Bündnis geworden. Es ist deshalb keineswegs so, daß die FDP allein die Schuld an der deutschen Krise hat. Vielmehr ist sie ein Opfer der Illusionspolitik, die an den Realitäten vorbeisieht. Zwar wird die deutsche Ostpolitik geradezu als Musterbeispiel einer realistischen Politik hingestellt, doch dahinter verbergen sich so viele Illusionen, die alle in nichts zerrinnen können. Ebenso ist es eine Illusion, zu glauben, daß eine Regierung mit so geringer Mehrheit und einem derart schwachen Partner die Gesellschaft zu reformieren oder gar zu revolutionieren vermag. Die Gründung der „National-Liberalen Aktion“ der FDP-Splittergruppe ist allerdings ein Verzweif-lungsschritt, der in keine Zukunft führt. Er kündet nur an, daß in der Bundesrepublik die Polarisierung kaum mehr aufzuhalten ist, deren Ergebnis der Zweiparteienstaat sein wird. Die FDP hat als korrigierendes Element nach beiden Seiten hin zu bestehen aufgehört. Sie löst sich in Flügel auf, in denen jeder in einer der beiden Großparteien aufgeht.

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