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Deutschlands Radikalinskis

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Politische Beobachter glaubten im letzten Jahr Anzeichen einer zunehmenden Radikalisierung der westdeutschen Bevölkerung feststellen zu können und sahen darin das wesentliche Entwicklungsmerkmal des Jahres 1967. Sie führten dafür die Anfangserfolge der National- demokratischen Partei (NPD) auf der Rechten und die Unruhen radikaler Studenten auf der äußersten Linken an.

So aufmerksam diese Erscheinungen beobachtet werden müssen, so falsch wäre es, daraus den Schluß einer allgemeinen Radikalisierung zu ziehen. Die Wahlen des vergangenen Jahres zeigten ebenso wie öffentliche Meinungsumfragen, daß der Anteil derer, die — aus welchen Gründen immer — mit radikalen politischen Gruppen sympathisieren, ein Zehntel der Bevölkerung nicht übersteigt. Anderseits ist nicht zu verkennen, daß die radikalen Flügel sich insofern gegenseitig bedingen, als das eine Extrem seine Notwendigkeit mit dem Kampf gegen das andere Extrem begründet. Die NPD bietet sich dem durch Ausschreitung linksextremer Studenten erschreckten Bürger als Hüterin von Ordnung und Sauberkeit gegen „Gammler” und „Kommunarden” an. Leninistische Marxisten und Anarchisten werben unter den über die Erfolge der Rechtsextremen besorgten Demokraten unter Hinweis auf die Gefahr eines neuen Faschismus. Anderseits sind sich beide Extreme bei allen ideologischen Unterschieden einig in der Abwertung der parlamentarischen Demokratie, in der Ablehnung der die Regierung tragenden demokratischen Kräfte und in der Aktivierung der außerparlamentarischen Opposition. Kommunisten und Nationalisten nahmen im Nahostkonflikt Stellung gegen Israel, bekämpfen die Notstandsverfassung und fordern den Austritt der Bundesrepubl’’- aus der NATO.

Organisatorisch und ideologisch ist die extreme Linde nach wie vor zersplittert. Versuche der illegalen Kommunisten (KPD), die in den meisten linksextremen Gruppen vertreten sind, eine Sammlung der äußeren Linken zustande zu bringen, kamen bisher über wenig erfolgreiche Ansätze nicht hinaus. Dagegen ist der NPD die Sammlung der nationalistisch-autoritären Rechten wohl weitgehend gelungen. Sie vermochte bei den Landtagswahlen des Jahres 1967 allerdings nicht die Erfolge des Jahres 1966 (7,9 Prozent in Hessen, 7,4 Prozent in Bayern) auszubauen. Lediglich im Stadtstaat Bremen übertraf sie, durch örtliche politische Konstellationen begünstigt, das hessische Ergebnis um ein Prozent. In Niedersachsen (7 Prozent) gelang es ihr nidit annähernd, die Erfolge der Deutschen Reichspartei von 1951 (11 Prozent und 2,2 Prozent DRP) zu wiederholen. Enttäuschend waren für die NPD auch die Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz (6,9 Prozent) und Schles- wig-Holstain (5,8 Prozent).

pagne” angefacht. Demokratische Politiker antworteten darauf mit Hinweisen auf das Recht jedes Bürgers, eine Partei zu gründen, die so lange nicht verboten werden kann, wie sie auf dem Boden der Verfassung steht. Die Kommunisten ihrerseits bezeichneten derartige Hinweise als „stinkende Köder zur Spaltung der Arbeiterklasse” und beharrten auf der nach deutschem Recht gar nicht zulässigen „Wiederzulassung” der verbotenen Partei als Maximalforderung. Gleichwohl gestatteten sie ihren Anhängern, für die Landtagswahlen in Baden- Württemberg am 28. April eine offensichtlich als Versuchsballon gedachte „Demokratische Linke” zu gründen. Diese Neugründung erfolgte allerdings auf Kosten der bisher von kommunistischer Seite unterstützten und stark infiltrierten DFU (DFU = Deutsche Friedensunion), die auf ihre Beteiligung an der Wahl verzichten mußte.

Während diese Vorgänge in der Öffentlichkeit nur geringes Interesse fanden, verstanden es kleine radikal-anarchistische Gruppen in der Studentenschaft, die aus verschiedenen Gründen angewachsene Unruhe an einigen Universitäten für ihre politischen Ziele auszunutzen und durch Störaktionen erhebliche Publizität zu gewinnen. Solange sich diese studentischen Unruhen auf hochschulpolitische Fragen beschränkten, war es nicht Sache der Staatsschutzorgane, sich damit zu befassen. Als sich jedoch im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) mehr und mehr Einflüsse durchsetzten, die die demokratische Grundordnung aufzuheben oder in ihrem Sinne zu verändern trachten, war der Punkt erreicht, wo die Behörden des Verfassungsschutzes verpflichtet waren, solche Bestrebungen im SDS zu beobachten und ihren Regierungen entsprechende Analysen vorzulegen. Alle Proteste gegen die diesbezügliche Tätigkeit der Verfassungsschutzämter verkennen den eindeutigen gesetzlichen Auftrag dieser Behörden.

In verschiedenen, gut vorbereiteten Aktionen versuchten die radikalen Gruppen im SDS, Exekutive, Justiz und auch Legislative bei ihrer Amtsführung zu behindern. Die von radikalen Studenten veranstalteten Krawalle und Ausschreitungen haben allerdings an den deutschen Hochschulen auch zu einer begrüßenswerten Politisierung und Stärkung der gemäßigten Kräfte in der Studentenschaft geführt. Die Versuche der radikalen Minderheit, Vorlesungen von ihnen nicht genehmen Professoren gewaltsam zu verhindern, haben bei älteren Bürgern Erinnerungen an ähnliche Methoden nationalsozialistischer Studenten zu Beginn der dreißiger Jahre wachgerufen und dem SDS viele Sympathien genommen. Es ist zu hoffen, daß 1968 auch an den deutschen Hochschulen die emotional überladene Atmosphäre durch sachliche, rationale Auseinandersetzung über die anstehenden Streitfragen entspannt wird.

Das Jahr 1968 muß und wird erweisen, daß diese Demokratie gesund und stabil genug ist, sich aller Gefahren von rechts und links zu erwehren. Die Behörden, denen in Bund und Ländern die Wahrung der Sicherheit des Staates anvertraut ist, werden ihren Beitrag dazu ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend leisten.

Die vorsichtige NPD

Auf dem Parteitag in Hannover legte die NPD ein Programm vor, das behutsam formuliert und bemüht ist, keine Ansatzpunkte für ein Parteiverbot zu bieten. Dieses Programm enthüllt gleichwohl deutlich’genug den politischen Stil der Partei. Jeder Bevölkerungsgruppe wird das versprochen, was sie nach Ansicht der Partei gerne hört, ohne Rücksicht auf Widersprüche zu anderen Programmpunkten oder gar auf die politische Realisierbarkeit In den kommenden politischen Auseinandersetzungen wird es die Aufgabe der demokratischen Parteien sein, den Wählern zu zeigen, daß sich hinter einzelnen, teilweise vernünftig klingenden Vorschlägen dieses Programms nichts als Demagogie verbirgt. Das Auftreten der NPD hat — von der Partei natürlich unbeabsichtigt — auch Positives bewirkt. Seit dem Herbst 1966 finden sich immer mehr Staatsbürger dazu bereit, sich der offenen politischen Auseinandersetzung mit den Nationalisten zu stellen. Vor allem unter der jungen Generation hat das Auftreten der NPD eine erfreuliche Bereitschaft zum Engagement für unsere demokratische Staatsordnung geweckt.

Die repräsentativen Statistiken der letzten Landtagswahlen zeigen übereinstimmend, daß die Gruppe der 21- bis 30jährigen Wähler für die Parolen der NPD wesentlich weniger anfällig ist als die älteren Jahrgänge. Die Wahlen der Jahre 1968 und 1969 werden zeigen, daß die deutsche Demokratie stark genug ist, sich der Gefahren eines wiederauf lebenden autoritären Nationalismus zu erwehren. Die Reaktion der öffentlichen Meinung auf die Stimmengewinne der NPD zeigt schon jetzt, daß rechtsextremen Kräften in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind — Grenzen, die die NPD, wenn nicht alles trügt, schon erreicht hat.

Auf der äußeren Linken gab es im Jahre 1967 eine lebhafte Diskussion um das Verbot der KPD. Die Kommunisten hatten sie durch eine rege „Wiederzulassungskam.

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