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Die Ärmsten zahlen die Schulden

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„Afrika braucht einen Neubeginn!" Kenneth Kaunda, Sambias Präsidentschaftskandidat, appellierte kürzlich in Wien an die reichen Länder Europas, den schwarzen Kontinent nicht einfach zu vergessen.

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„Afrika braucht einen Neubeginn!" Kenneth Kaunda, Sambias Präsidentschaftskandidat, appellierte kürzlich in Wien an die reichen Länder Europas, den schwarzen Kontinent nicht einfach zu vergessen.

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Einmal träumte ihm, Afrika wäre ein Karren und aus der Kurve in einen Abgrund geschlittert. Ein dürrer Baum habe ihn kurz vor dem Aufprall gerettet. Von dort rief der Fahrer um Hilfe nach oben. „Laß den Baum los, ich rette dich schon", habe ihm eine Stimme von oben geraten. Das Land hieß Schuldenkrise, die Stimme Währungsfonds, und der Träumer, Kenneth Kaunda, kürzlich zu Besuch in Wien, fragte sich, ob da oben überhaupt noch jemand ist. „Es war nicht gerade ein Kassenschlager", meinte Bundeskanzler Franz Vranitzky anläßlich des Vortrages von Kaunda zu „Afrikas Schuldenkrise" kürzlich im Bruno-Kreisky-Forum in Wien.

Der Kanzler hatte beim Kopenhagener Sozialgipfel 1995 unter großem Applaus die Tilgung von einer Milliarde Schilling Auslandskrediten für Entwicklungshilfeländer in Aussicht gestellt. Damit wurde große Hoffnungen geweckt, besonders in Afrika, jenem Kontinent, dem die Abschiebung aus den Köpfen der reichen Industrienationen droht.

Kenneth Kaunda, der im Oktober 1996 erneut für das Präsidentenamt in Sambia kandidfert, appelliert eft den Gerechtigkeitssinn der einfachen Menschen. „Man kann Geld verbor-' gen", verwies Kaunda auf das Alte Testament, „aber nicht die Lebensgrundlage anderer in Pfand nehmen."

„Wenn die geringen Devisenerlö-se verwendet werden müssen", argumentiert Kaunda, „um Schulden zu zahlen, dann bleibt kein Geld für das Land. Es kommt zu einem politischen und sozialen Desaster". Unter seiner Führung hatte das ehemalige Nordrhodesien 1964 die Unabhängigkeit erlangt. Die „Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen" war Teil der Politik Kaundas und der von ihm gegründeten Vereinigten Nationalen Unabhängigkeitspartei, UNIP.

Die Unterstützung der Befreiungsbewegungen im benachbarten Süd-rhodesien (heute Simbabwe) und Südafrika hatte schwere ökonomische Folgen: Wirtschaftssanktionen und versperrte Transportwege brachten das Binnenland Sambia an den Rand des Abgrunds.

Erst mit der Unabhängigkeit Simbabwes 1980 konnte an wirtschaftlichen Aufbau gedacht werden: der Verfall des Kupferpreises, dem wichtigsten Exportgut des Landes, führte aber zum Niedergang. Seit dem ersten Kredit, den Sambia 1976 beim Internationalen Währungsfonds aufnahm, dreht sich die Schuldenspirale. „Heute zahlen die Ärmsten noch daran zurück", meint Kaunda. „Als in den siebziger Jahren die Erdöldollars die Weltmärkte überschwemmten, wurde uns geraten, günstige Kredite aufzunehmen". 1991 betrug die Schuldendienstrate rund bw Prozent der Erlöse aus dem Kupferexport.

Ende 1986 befolgte Präsident Kaunda die Auflage der internationalen Finanzgeber, die Agrarsubventionen zu streichen. Als in der Folge die Preise für Maismehl drastisch stiegen, kam es zu blutigen Unruhen. Kaunda kündigte das Strukturanpassungsprogramm auf und legte den Schuldendienst auf zehn Prozent der Exporterlöse fest. „Die Begenfälle damals", meint Kenneth Kaunda bei einer Pressekonferenz, „trugen sicher dazu bei, daß es damals 6,7 Prozent Wirtschaftswachstum gab." Selbst Kritiker lobten das Programm „Wachstum aus eigener Kraft", doch die nötige internationale Hilfe blieb aus.

Die neue Begierung von Frederick Chiluba, die durch freie Wahlen Kaunda 1991 ablöste, befürwortet das „Anpassungsprogramm" des Internationalen Währungsfonds. Sie setzt auf Privatisierung und Diversifizierung zum Zweck der Devisenerwirtschaf-tung. Damit bleibt Kupfer das wichtigste Exportgut Sambias. Heute ist das Land, gemessen an seiner Wirtschaftskraft, mit nahezu 7.000 Millionen Dollar eines der verschuldetsten Länder Afrikas.

,,Afrika braucht einen Neubeginn", hofft Kaunda auf Hilfe jenseits der internationalen Finanzmärkte, deren Auflagen nicht mehr verkraftet werden können. Entwicklung ohne Entschuldung scheint unmöglich. So müßte etwa Kenia über 200 Prozent seiner Exporte zur Schuldbegleichung aufwenden, Mozambique über 1.000 Prozent und Somalia bereits mehr als 2.000 Prozent.

„Die Tilgung von Schulden aus Entwicklungshilfe-Krediten allein genügt nicht", meinte auch Helmut Ornauer, Generalsekretär der Koordinierungsstelle der österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission. Angesichts der hoffnungslosen Überschuldung der Länder mit niedrigstem Einkommen werden Hilfsgelder zunehmend für Schuldenrückzahlungen an den Norden verwendet. Aus den afrikanischen Staaten südlich der Sahara etwa fließen 57 Prozent aller bilateralen Kredite und Zuschüsse - 24 Milliarden Dollar - als Schuldtilgung wieder in den Norden zurück.

Die Entwicklungshilfe der Industrieländer verringert nur unwesentlich die sozialen Nachteile, die aus der Verschuldung der Länder mit Niedrigsteinkommen entstehen. Projektgelder werden zur Linderung der Not herangezogen, die durch die Strukturanpassungsprogramme entstehen. Für Osterreich bedeutet die „Initiative 96 Entschuldung" eine Chance, die bisher „schlaffe" Entwicklungspolitik in neue Bahnen zu lenken. Schließlich handelt es sich, schreibt der Entwicklungsreferent des Renner-Instituts, Herbert Berger, im 1 Bulletin „Entwicklung und Politik", nur bei einem Sechstel der Gelder, die für Projekt- und Programmarbeit vorgesehen sind, tatsächlich um das, was gemeinhin als Entwicklungshilfe verstanden wird. „Klassische Entwicklungshilfe ist es sicher nicht", meint Berger, „wenn mit 814 Millio--nen an Krediten österreichische Exporte abgesichert werden oder wenn 917 Millionen an internationale Finanzorganisationen gehen."

Trotz Sparpakets ist Osterreich immer noch eines der reichsten Länder der Europäischen Gemeinschaft. Entschuldungsmaßnahmen sind nicht allein aus ethischen, sondern auch aus rechnerischen Überlegungen angebracht. Ist es doch mehr als fraglich, ob sich die überschuldeten Länder je die Rückzahlung leisten können. Wenn die Wirtschaftskräfte nicht mehr reichen, die fälligen Zins- und Tilgungsleistungen zu erbringen, gehen die Schuldenzahlungen auf Kosten der Ärmsten. Denn gespart wird vor allem bei Bildung und Gesundheit. Der Zwang, Devisen zu erwirtschaften, führt zur übermäßigen Ausbeutung natürlicher Bessourcen.

Eine gebündelte Entschuldungsaktion für die ärmsten hochverschuldeten Länder trägt nicht so sehr zur Bereinigung des Gewissens der „reichen" Industrienationen, denn zur Sicherung des Friedens und künftiger Handelspartner bei.

Die öffentlichen ■ Forderungen Österreichs an die Entwicklungsländer in Afrika, Asien und Lateinamerika betragen rund 140 Milliarden Schilling. 2,2 Milliarden davon entfallen auf Entwicklungshilfe-Kredite, der Rest entstammt geförderten Exportdarlehen. Die geförderten Exportkredite sollen, zumindest für die acht Schwerpunktländer der österreichischen Entwicklungshilfe, erlassen werden.

Einen Teil der aufgehobenen Schulden will die Initiative 96, unter deren Ehrenvorsitz auch Kardinal Franz König zeichnet, in lokaler Währung für Sozialprojekte verwendet wissen. Bei der Neuvergabe von geförderten Exportkrediten sollen künftig sozial- und umweltverträgliche Kriterien Pflicht werden.

Die Autorin ist

freie Mitarbeiterin der Furche.

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