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Die Angst vor der Macht

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Proportional zur Abnahme der direkten Kommunikation von Politikern mit dem „einfachen Fußvolk“ — soweit dieses nicht durch Parteiapparate erfaßt wird — stieg und steigt die Bedeutung von Meinungsforschungsergebnissen. Ein Großteil politischer Aussagen wird heute von Demoskopen diktiert. Auch die Einstellung zur zukünftigen Regierungsform bietet ein widersprüchliches und unklares Bild, das die Demoskopen vom österreichischen Wähler zeichnen.

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Proportional zur Abnahme der direkten Kommunikation von Politikern mit dem „einfachen Fußvolk“ — soweit dieses nicht durch Parteiapparate erfaßt wird — stieg und steigt die Bedeutung von Meinungsforschungsergebnissen. Ein Großteil politischer Aussagen wird heute von Demoskopen diktiert. Auch die Einstellung zur zukünftigen Regierungsform bietet ein widersprüchliches und unklares Bild, das die Demoskopen vom österreichischen Wähler zeichnen.

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Es gibt Meinungsforscher die behaupten, daß sich der Österreicher von latenten politischen Gefahren bedroht fühle. Diese Existenzangst zeigt teils Realcharakter, häufiger jedoch ist sie deutlich neurotisch fixiert. Obwohl die Angst um die eigene Person und ihre Intimsphäre

dominiert, treten in weiterer Folge politische und wirtschaftliche Ängste auf. Die Äußerungsformen führen über Angst vor Arbeitslosigkeit, allgemeinen wirtschaftlichen Krisen, Rezessionen und Inflationen, zu Gefühlen politischer Bedrohung. Soweit die Gründe für solche Angstzu-

stände in der Weltpolitik liegen, stellt man resignierend fest, daß man als kleiner Staat, wie Österreich einer ist, dagegen nichts tun könne.

In der Innenpolitik hingegen, wo man die Möglichkeit hat, „ein Wort mitzureden“, wird die Angst zu einem realpolitischen Faktor. Der Österreicher hat, wie Demoskopen feststellen, vor jeder sichtbaren Macht Angst, weil er befürchtet, daß sie von Gruppen oder Personen mißbraucht wird. Dies hängt sehr eng mit dem generell schlechten Image der Politiker zusammen, denen man zwar Fähigkeiten, aber in weit geringerem Maße ethische Eignung zuspricht. Daraus resultiert, daß eine alleinherrschende Partei nur ihre Interessen in den Vordergrund rük-

ken, ja sie bis ins Maßlose und Extreme steigern könnte, was notwendigerweise zu Reaktionen der Gegenseite führen muß. Nicht zuletzt deshalb tendiert der österreichische Wähler — so sagen die Ergebnisse — zu einer großen Koalition.

„Zusammenstreiten?“

Zwar weiß der Durchschnittswähler, daß die große Koalition nur dann positiv gesehen werden kann, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß beide Großparteien durch einen starken, völlig sachlichen Leistungswillen miteinander verbunden sind. Damit kommt deutlich das Vorstellungsbild, das sich der „typische Wähler“ von den Parteien macht, zum Ausdruck.

Denn: die ÖVP ist die Partei der mittleren bis Oberschicht, fixiert vor allem auf Wirtschaft und Handel. Die SPÖ hingegen verficht als traditionelle Vertreterin mittlerer bis unterer Schichten die Sozialinteressen der Arbeiterschaft. Sind die beiden großen von konträrer Basis kommenden Parteien gezwungen, ihre Interessenskonflikte in einer großen Koalition auszutragen, dann kommt es letztlich zu einer maßvollen Politik, die Garant wäre, daß keine Bevölkerungsschicht privilegiert und keine benachteiligt wird. Natürlich zeigen sich in den Ergebnissen der Meinungsforschungen recht klar auch die Nachteile, die der Wähler einer großen Koalition zuordnet. Vor allem Schwerfälligkeit, Verzögerung des Arbeitstempos durch Entscheidungsunfähigkeit, kurzfristige Planungen, wirtschaftliche Ad-hoc-Maßnahmen, ein Wiederaufleben des Proporzes und die Hypertrophie der Verwaltung werden als notwendiges Übel dieser Regierungsform genannt. Die derzeitige Alleinregierung hingegen wird vor allem von „Wechselwählern“ und etwas mehr als der Hälfte der ÖVP-Wähler (der Rest verhält sich ambivalent) befürwortet, wobei man ihr Zielstrebigkeit und Entscheidungsfreude auch in unpopulären Fragen, ihr Arbeitstempo und

langfristige Wirtschaftsmaßnahmen als Positivum zuerkennt. Allerdings weisen die Demoskopen darauf hin, daß etwa im Bildungs- und Heereswesen eine Zustimmung zur ÖVP-Politik kaum vorhanden ist. Denn der Großteil aller Wähler, selbst der ÖVP-Wähler, würde, bei Neuauflage einer großen Koalition, im Unterschied zur traditionsgemäßen Verteilung vergangener Legislaturperioden, das Unterrichts- und Verteidigungsministerium der SPÖ übergeben wollen.

Bürgerblockangst

Aus der Befürwortung einer großen Koalition, die sogar sozialistische Wähler einer SPÖ-Alleinregierung mehrheitlich vorziehen, ergibt sich eine generelle Absage an eine kleine Koalition. Sieht man, wie Meinungsforscher versichern, eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ von vornherein, auf Grund der ideologischen Gegensätze, als eher unwahrscheinlich an, so kann man sich eine ÖVP-FPÖ-Koalition von der Basis her zwar ganz gut vorstellen, man wehrt sich jedoch dagegen, daß eine so kleine Fraktion als Minderheit den Kurs der Regierung diktieren kann. Eine kleine Koalition wird als Radikalisierung der Innenpolitik angesehen, zumal bei SPÖ-Wählern eine latente „Bürgerblock“-Angst besteht. Ein nicht geringer Teil der FPÖ-Wähler — so ergeben Meinungsforschungsstudien — lehnte eine Koalition, mit wem auch immer, ab, denn sie fürchten, ihre Sonderstellung als kritische Oppositionspartei zu verlieren.

Die FPÖ, als „rotes Trauma, schwarzer Traum“, hat durch ihre Erklärung vom 16. Jänner 1970 mit der SPÖ nicht koalieren zu wollen, den Wahlkampf angeheizt. An den Parteisekretariaten liegt es, Koalitionsangebote durch die Ergebnisse von Meinungsforschungen zu filtern. Entschieden wird allerdings erst am 1. März. Dem Wähler nimmt der Meinungsforscher die Arbeit noch immer nicht ab.

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