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Die Antigesellschaft

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Da sich die Opposition auf keinen einzigen Kandidaten einigen konnte, wie das 1965 der Fall war, beschloß die kommunistische Partei Frankreichs, ihr „altes Streitroß' Jacques Duclos aufzustellen. Das langjährige Mitglied des Zentralkomitees hatte sich überraschend gut geschlagen und sicherte den Kommunisten jene Stimmen, die ihnen im Juni 1968 verlorengegangen waren. Seitdem der sozialistische Begierungschef Ramadier 1947 die kommunistischen Minister verabschiedet hatte, konnte die KPF niemals wieder an der staatlichen Macht teilnehmen. Sie wurde ein Fremdkörper in der politischen Geographie. Nur Mi11err an d hatte es 1964/65 gewagt, die losen Verbindungen zwischen Sozialisten und Kommunisten zu vertiefen, eine vorübergehende Einheitsfront der beiden Arbeiterparteien herzustellen. Mitterrand vertritt heute die Meinung, daß die Linke nur dann eine polif he Chance habe, wenn ein gemeinsames Programm die beiden wichtigsten Exponenten der Opposition binde. Die KPF möchte natürlich die drückende Einsamkeit verlassen und den Ubergang zum Sozialismus vorbereiten. Wo steht also eine Partei, die nach wie vor für sich beansprucht, die Mehrheit der Arbeiterklasse zu vertreten und zahlreiche Intellektuelle und Künstler anzieht?

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Da sich die Opposition auf keinen einzigen Kandidaten einigen konnte, wie das 1965 der Fall war, beschloß die kommunistische Partei Frankreichs, ihr „altes Streitroß' Jacques Duclos aufzustellen. Das langjährige Mitglied des Zentralkomitees hatte sich überraschend gut geschlagen und sicherte den Kommunisten jene Stimmen, die ihnen im Juni 1968 verlorengegangen waren. Seitdem der sozialistische Begierungschef Ramadier 1947 die kommunistischen Minister verabschiedet hatte, konnte die KPF niemals wieder an der staatlichen Macht teilnehmen. Sie wurde ein Fremdkörper in der politischen Geographie. Nur Mi11err an d hatte es 1964/65 gewagt, die losen Verbindungen zwischen Sozialisten und Kommunisten zu vertiefen, eine vorübergehende Einheitsfront der beiden Arbeiterparteien herzustellen. Mitterrand vertritt heute die Meinung, daß die Linke nur dann eine polif he Chance habe, wenn ein gemeinsames Programm die beiden wichtigsten Exponenten der Opposition binde. Die KPF möchte natürlich die drückende Einsamkeit verlassen und den Ubergang zum Sozialismus vorbereiten. Wo steht also eine Partei, die nach wie vor für sich beansprucht, die Mehrheit der Arbeiterklasse zu vertreten und zahlreiche Intellektuelle und Künstler anzieht?

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Einer der besten Kenner der Innenpolitik und Chefredakteur der mei-nungsbildenden Zeitunig „Le Monde“, Jacques Fauvet, veröffentlichte eine zweibändige Geschichte der kommunistischen Partei Frankreichs. Seine umfangreiche Studie behandelt die Einwirkung der kommunistischen Partei auf das politische und parlamentarische Tagesgeschehen. Die internen Vorgänge werden eher am Rande berührt.

Im gleichen (bürgerlichen) Verlag erschienen die Memoiren Jacques Duclos\ die einen konformistischen Einblick in die Entwicklung der KP Frankreichs gewähren.

Am bedeutuntgsvollisten erscheint uns jedoch die Studie der Soziologin Annie Kriegel, Professorin an der Universität Reims, eine der vorzüglichsten Expertinnen des französischen und internationalen Kommunismus. Madame Kriegel war früher selbst Mitglied des Direktionskomitees der kornmunistischen Jugend, man sagt ihr aber trotzkistische Neigungen nach. Ihre Arbeiten gestatten es zum erstenmal, die verwickelten Strukturen der KPF kennenzulernen, die sich als echte Antigesellschaft präsentiert.

Als die KPF entstand, wurden 109.000 Mitgliedskarten ausgegeben. Im Jahre 1966 erhielten 425.800 Personen diese Karte. Die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder hat sich seither wenig geändert. Die Anzahl der Wähler konnte ebenfalls seit der Befreiung stabil gehalten werden. Eine Ausnahme bilden die Juniwahlen 1968, als die gaullistische Sammelpartei UDR große Einbrüche in den Arbeitervororten der Großstädte erzielen konnte. Die kommunistische Partei wurde von den Wählern bestraft, obwohl sie — was historisch erwiesen ist — für den Ausbruch der Maikrise 1968 in keiner Weise verantwortlich gemacht werden kann. Die Kommunisten verteidigen eine etablierte Ordnung und waren von der Bewegung an ihrem äußersten linken Flügel selbst zutiefst betroffen. In der Tat scheint die Partei die „Linken“ mehr zu fürchten als das bürgerliche Zentrum oder die gaullistische Rechte. Die trotzkisti-schen Präsidentschaftskandidaten Kriwne und Roccard wurden fanatischer bekämpft als ein Pompidou oder Poher.

Partei der „Arbeitenden Klasse“

Die Stabilität der Mitglieder und Wähler ist regional bedingt. Die Kommunisten sind am dichtesten im Großraum Paris vertreten, dann entlang der belgischen Grenze in Nordfrankreich. Starke Bastionen befinden sich in MitteMrankreich. südlich der Loire und an der Mittelmeerküste. Die KPF will nicht eine Arbeiterpartei sein, sondern .die Partei der arbeitenden Klasse“ Dies ist eine beachtliche Nuance und spielt in der Terminologie ihrer

Führer eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nach letzten Berichten stoßen wir unter den Anhängern der Partei auf 60,1 Prozent Arbeiter, 18,57 Prozent Angestellte, 6,56 Prozent Landwirte, 9 Prozent Intellektuelle, darunter fast 5 Prozent Lehrer und Professoren, und 5,77 Prozent Handwerker und Geschäftsleute. Untersucht man ihr Alter, muß man den Mangel an Jugend vermerken, Mögen in den Wahlversammlungen Duclos' jugendliche Sprechchöre den Senator begeistert begrüßt haben, kann dieses Bild nicht darüber hinwegtäuschen, daß 40,2 Prozent zwischen 41 und 60 Jahre zählen und 17,3 Prozent über 60. Die Partei verfügt über eine autonome Jugend-

organisation (Jeunesse oommuniste), die patemalistisch behandelt wird. Es mag paradox klingen, aber die Partei pflegt einen konservativen Geist, und den Jugendlichen wird eine schnelle politische Karriere erschwert. Die Jugend habe „Ehrfurcht vor der Erfahrung“ zu zeigen. Nur in seltenen Fällen wird ihr bei wichtigen Entscheidungen ein Mitspracherecht eingeräumt. Die Schwierigkeiten zwischen dam Zentralkomitee und den kommunistischen Studentenorganisationen reihen sich in das Phänomen des Kampfes zweier Generationen ein. Schließlich haben auch die christlichen Studentenorganisationen die Beschlüsse der Bischöfe energisch kontestiert.

Mulier taceat ...

Die KPF betrachtet überaus mißtrauisch die Tätigkeit der Frauen in der Partei. Obwohl die Frauenbewegung (Union des femmes francaises) in der Öffentlichkeit gepriesen wird und die Frauen 25,5 Prozent der Mitglieder ausmachen, sind die Führer der Partei skeptisch, sobald es darum geht, die Vertreter des zarten Geschlechtes in die Führungsgremien zu wählen oder zu kooptieren. Die einzige Frau des Zentralkomitees und Witwe des großen Generalsekretärs Thorez, Jeanette Vermeersch, geriet in Konflikt zum amtierenden Generalsekretär Waldeck-Rochet. Sie wurde zum Rücktritt gezwungen. Bis vor wenigen Jahren war es üblich, daß man als Mitglieder „produktive Frauen“ bevorzugte, das heißt also wirkliche Arbeiterinnen. Dies hat sich in den letzten drei Jahren entschieden.geändert. Eine Frau von zweien ist nicht mehr berufs-

tätig, sondern führt ausschließlich den Haushalt.

Das Ei: Die Zelle

Die Organisation der Partei basiert in erster Linie auf der Zelle in den Betrieben. Allerdings ist ein beachtlicher Rückgang an Betriebszellen zu verzeichnen. Bestanden noch 1926 48,4 Prozent der Basisorganisationen in den Industriewerken, sind es 1967 lediglich 26,8 Prozent. Die Zellen sind besonders in der Metallindustrie entwickelt. Die Unternehmer müssen zugeben, daß die kommunistischen Arbeiter und Funktionäre der Betriebsorganisationen fachlich gut bis hervorragend einzustufen sind. Die Partei hat es darüber hinaus geschickt verstanden, uniter den italienischen und spanischen Fremdarbeitern starke Gruppen für sich zu gewinnen. Lange bevor die katholische Kirche mit einem Apostolat unter diesen Emigranten begonnen hat, kämpften die Kommunlisten — es muß dies offen zugegeben werden — für die sozialpolitische Gleichberechtigung der Eingewanderten. Die KPF nahm dabei sorgsam Bedacht auf die sprachlichen und nationalen Eigenheiten der ausländischen Arbeitskameraden. Eigenartigerweise ist es der KPF geluingien, unter den Kleinbauern Anhänger zu werben. Die den Kommunisten nahestehende Bauernorganisation MODEF zählt 1969 zirka 100.000 Mitglieder, gegliedert in 5776 Zellen. Sehr undurchsichtig ist die Finanzierung der KPF. Die von der Partei aufgestellten und gewählten Personen im Parlament, den Landtagen und Gemeinderäten müssen einen Großteil ihrer Bezüge an die Parteikasse abliefern. Ein Mandatar der KP darf

im Prinzip nicht mehr verdienen als ein Facharbeiter. Weitere gründete die Partei wie in zahlreichen europäischen Staaten eigene Wirtschafts unternehmen, die sich auf den Ex-und Import in Richtung der sozialistischen Staaten konzentrieren. So wurde bekannt, daß die Gesellschaft Intra-Agra von den kommunistischen Staaten dazu verwendet wird, um ihre landwirtschaftlichen Einkäufe auf dem französischen Markt durchzuführen. Die Wirtschaftsunter-nehmen bedienen sich meistens der Nordbank, deren Kapital zur Gänze in den Händen des sowjetrussischen Staates liegt. Die Bank gilt als seriös und wird selbst von französischen Großbetrieben herangezogen, um die Zahlungen nach den sozialistischen Ländern zu regeln.

Wie alle westeuropäischen Parteien verzeichnet die KPF große Schwierigkeiten mit der eigenen Presse. Noch im Jahre 1947 wurde die tägliche Auflage aller kommunistischen Zeitungen Frankreichs mit 2,770.000 beziffert. Im Jahre 1965 konnten die kommunistischen Blätter mit 400.000 täglichen Exemplaren rechnen. Dieser Schrumpfprozeß setzt sich fort. Das Zentralorgan der kommunistischen Partei „L'Humanite“ gibt seine Auflage mit 192.000 an. Durch die Einführung einer Sonntagsaus-gabe „L'Humanite Dimanche“, in der wenig von Politik, aber viel von Sport und Mode die Rede ist. konnte das Zentralorgan ein beachtliches finanzielles Defizit abbauen. Die den Kommunisten nahestehende CGT ist das wichtigste Instrument, um die Macht der Partei innerhalb der Arbeiterklasse zu festigen. Da aber die französische Gewerkschaftsbewegung seit der Charte von Amiens zu Beginn des Jahrhunderts eine Autonomie zu politischen Parteien wahrte, wünscht auch die CGT eine gewisse Unabhängigkeit. Zahlreiche Parteimitglieder vermeiden es, sich gewerkschaftlich zu organisieren. 24 Prozent davon ziehen es vor, die politische nicht mit der gewerkschaftlichen Tätigkeit zu vermischen. Der neue Generalsekretär der CGT, Georges Seguy, ist auf alle Fälle ein makelloses Produkt kommunistischer Erziehung. Er kann als der respektvolle Sohn eines Vaters angesehen werden, der Kommunismuis mit Religion verwechselte.

Staat im Staat

Warum deklariert man sich als Kommunist? Aus Existenzgründen verschreiben sich Arbeiter der „Antigesellschaft“, da ihnen diese Form der Zivilisation liegt. Man will harmonisch in seinem Milieu leben und sucht, da „Gott gestorben ist“, das irdische Paradies. Die Mitgliedschaft aus rein politischen Motiven ist seltener, als man annimmt. Das politisch interessierte Mitglied wünscht einen bestimmten Stil der Politik zu verwirklichen und sieht eigene Aspirationen in der KPF realisiert. Schließlich sei die ideologische Mitgliedschaft erwähnt: Intellektuelle und Künstler bekennen sich bewußt zu der Doktrin einer Partei, die eine Änderung der Gesellschaft anstrebt.

Die kommunistische Partei Frankreichs mit ihren 30.000 Zellenverantwortlichen, 25.000 Sektionsleitern und 3300 politischen Chefs bildet einen Staat im Staat. Der Ausdruck „Antigesellschaft“ ist daher durchaus zulässig. Es liegen keine Anzeichen vor, daß die Kommunisten an der eigenen Orthodoxie zweifeln oder einen Wandlungsprozeß einleiten. Seit dem Kongreß von Tours 1920 bis zu den Präsidentschartswahlen 1969 war die KPF in der Innenpolitik ein bedeutendes, aber bisher negatives Element. Sie bleibt weiterhin ein entscheidender Faktor. Die nichtkommuniistische Linke wird sich für oder gegen die KPF aussprechen müssen, um den eigenen Standpunkt in den nächsten Jahren zu fixieren.

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