Die Anziehungskraft der NÜCHTERNHEIT

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"Angela Merkel muss gar keine große Koalition eingehen, um eine solche zu führen. Sie selbst ist die personifizierte große Koalition."

"Merkel übernimmt das, was ihr am Programm von Koalitionspartnern vernünftig erscheint und erhebt es in den Rang mehr oder weniger alternativloser Politik."

Es hat etwas Beruhigendes, wenn die Schwächen einer Politikerin derart offenkundig sind: Angela Merkel ist wahrlich keine Meisterin des Wortes, sie kann ihre politischen Optionen nicht zu packenden Bildern bündeln und ihre demonstrative protestantische Nüchternheit fordert Respekt, entwickelt aber wenig Faszination.

Merkels offenkundige Stärken sind freilich ebenso beruhigend: ihre Nervenstärke selbst in größten Krisen, ihre Einschüchterungsresistenz gegenüber Macho-Männern von Trump bis Putin, ihre Unverführbarkeit durch Glamour, Geld und Schmeicheleien und auch ihre Virtuosität im täglichen politischen Machtspiel. Dieser Machtvirtuosität fielen schon Kohorten inner-und außerparteilicher Männerrivalen zum Opfer. Merkel wurde so zur mächtigsten Politikerin Europas und mächtigsten Frau der Welt. Ihr das zum Vorwurf zu machen, ist ungefähr genauso töricht, wie einem Sportler vorzuwerfen, siegen zu wollen.

Entdramatisierung des Politischen

Merkels eigentliches Erfolgsrezept aber ist es, Deutschland ziemlich genau aus seiner politischen Mitte heraus zu regieren. Diese ist natürlich nicht identisch mit der Mitte der CDU oder gar der CSU. Deswegen liegt Merkel mit der CSU im Dauerclinch und wird sie in ihrer eigenen Partei respektiert, aber nicht geliebt. Deshalb auch wurden unter ihrer Kanzlerschaft die politischen Ränder stark, zogen AfD und "Die Linke" in den Deutschen Bundestag ein. Denn Angela Merkel muss gar keine große Koalition eingehen, um eine zu führen: Sie ist die personifizierte große Koalition. Da hat Christian Lindner, Parteichef der FDP, schon etwas Richtiges gespürt.

Noch jede Partei, die mit Angela Merkel einen Pakt einging, nahm daran Schaden. Denn Merkel übernimmt das, was ihr -und der Mehrheit der Deutschen - an der Programmatik dieser Parteien als vernünftig erscheint, und erhebt es in den Rang mehr oder weniger alternativloser Politik. Das führt dazu, dass ihre eigene Partei leidet, denn das ist keine Politik aus konservativem Geist. Auch die jeweiligen Koalitionsparteien leiden, denn Merkel kapert deren mehrheitsfähige Themen. Angela Merkel selbst aber agiert als etwas glanzlose, doch irgendwie natürliche Kanzlerin der deutschen Mitte: Triumphal ist daran nichts, an ihr vorbei kommt aber auch niemand.

Es verwundert nicht, wenn niemand mehr so recht mit Angela Merkel koalieren will. Denn niemand hat ein Konzept, dem Merkel'schen Macht-Mechanismus zu entkommen. Nur die Grünen wollten wirklich in diesem Herbst mit Angela Merkel eine Koalition eingehen, sie haben ihre Merkel-Erfahrung noch vor sich und sind sowieso Fleisch vom Fleische des protestantischen Bürgertums. Aktuell ist gerade ein SPD-Bundespräsident dabei, für Angela Merkel die nächste große Koalition zu schmieden.

Merkel operiert in einem breiten Feld des Politischen ziemlich situativ nach dem Prinzip der mehrheitsgetragenen, scheinbar alternativlosen Vernünftigkeit. In Deutschland mit seiner eher schwachen liberal-bürgerlichen Tradition ist das durchaus verdienstvoll. Politik wurde hier seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit geradezu religiösen Heilserwartungen aufgeladen. In Deutschland entwickelten Kommunismus, völkisches Denken, die "Konservative Revolution", die "68er", lange sogar die Sozialdemokratie nicht nur politische Konzepte, sondern ganze Existenzentwürfe aus Lebensführung, politischer Ordnung und persönlicher Handlungsorientierung. Das politische Feld musste erst mühsam regionalisiert, entmythologisiert und entdramatisiert werden. Diese Entwicklung setzte mit Adenauer und Strauß ein und sich in Helmut Kohl fort, in der SPD wurde sie mit dem "Godesberger Programm" 1959 prägend. Mit Angela Merkel kommt die Entdramatisierung des Politischen an ihren definitiven Höhe-und Endpunkt.

Merkel'sches Wertegerüst

Aber dann und wann zeigt sich anderes bei Angela Merkel, treibt sie Politik nicht aus der Mitte des deutschen gesellschaftlichen Mehrheitswillens. Dann und wann, nicht oft, aber an signifikanter Stelle, trifft Angel Merkel demonstrative Signal-Entscheidungen. Flüchtlingskrise, Griechenlandrettung, Energiewende mit Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Kritik an Papst Benedikt wegen der Wiederaufnahme Williamsons, Empfang des Dalai Lama trotz Warnungen aus Peking, Russlandsanktionen wegen der Krim trotz breiter russlandfreundlicher Strömungen auf der deutschen Linken wie Rechten, die Erklärung der Sicherheit Israels zur "deutschen Staatsräson": All das war nicht selbstverständlich, mehrheitsgetragen -und manche Konservative in Politik und Journalismus opponieren bis heute vehement, aber auch ein wenig hilflos dagegen.

Diese Entscheidungen zeigen, wofür Merkel steht. Es sind keine Visionen, auch fehlt ausgeprägtes soziales Gespür für die unteren 20 Prozent der Gesellschaft -da hatte SPD-Kanzlerkandidat Schulz durchaus etwas getroffen. Aber es zeigen sich klar die Leitplanken des Merkel'schen Wertekosmos. Er ist stark von der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert geprägt, offenkundig auch von den Erfahrungen in der DDR, und reagiert daher sensibel auf Abschottungen und Mauern, auch schon auf die Anfänge von Antisemitismus und auf Rechtsverletzungen aller Art. Und er ist zu schnellen und entschiedenen Revisionen bereit, wo die einstige Begründungslogik sich überholt hat.

Angela Merkel positioniert sich damit dort, wo einst die Christdemokratie sich erfand: in der Mitte eines nüchternen christlichen Realismus, der sich nicht einschüchtern lässt; weder von der Angst vor dem, was kommt, noch von dem Bisherigen, das offenkundig verschwindet, noch von der Unübersehbarkeit einer Gegenwart, die ständig überrascht. Und der sich auch nicht in Utopien flüchtet, die vor all dem retten sollen.

Franziskus statt Viktor Orbán

Die Christdemokratie hatte einst die katholische Kirche mit dem modernen demokratischen Verfassungsstaat versöhnt: Das ist heute nicht mehr nötig. Die Christdemokratie hatte zudem die soziale Frage des Kapitalismus durch das Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" entschärft. Das ist, vor allem im globalen Maßstab, nötiger denn je. Der Kampf gegen die illiberalen Gegner der freiheitlichen Demokratie von links wie rechts und die humane Gestaltung der Globalisierung: Das wären aktuelle Aufgaben der Christdemokratie. Es geht um die Entscheidung, "Christentum" kulturalistisch und damit tendenziell exklusivistisch, oder programmatisch und damit inklusivistisch zu verstehen: Viktor Orbán oder Papst Franziskus, das ist die Frage.

Angela Merkel, die sich, gut protestantisch, ihres Christseins nie rühmt, es diskret, fast verschämt behandelt, scheint das begriffen und sich zumindest grundsätzlich entschieden zu haben. Mit Papst Franziskus versteht sich Merkel demonstrativ gut und offenkundig er sich auch mit ihr. Beide agieren als global player.

Jene, die Merkels politisches Ende heraufdämmern sehen, unterschätzen ihre machtpolitische Virtuosität, die langfristige Durchschlagskraft ihres Konzepts des konsequenten Regierens aus der gesellschaftlichen Mitte und auch die Autorität dessen, wofür sie im Entscheidungsfall steht. Zudem: Weit und breit zeigt sich in Deutschland niemand, der es mir ihr aufnehmen könnte. Das ist schon fast wieder schade.

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