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Die Demokratie mit Gewalt gegen Faschismus verteidigen!

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Wovor hat Polen Angst? Was bringt es in Europa ein? Welche Sicherheitskooperationen kann es sich vorstellen? Der Publizist Adam Michnik steht Rede und Antwort.

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Wovor hat Polen Angst? Was bringt es in Europa ein? Welche Sicherheitskooperationen kann es sich vorstellen? Der Publizist Adam Michnik steht Rede und Antwort.

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Polen muß mit anderen Ländern Mitteleuropas eigene Verteidigungssysteme aufbauen, um nicht auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Diese Quintessenz ergibt sich für den Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, Adam Michnik, nach dem von US-Präsident Bill Clinton verkündeten NATO-Ange- bot an „Zwischeneuropa“, an einer „Partnerschaft für den Frieden“ teilzunehmen.

Michnik betont in einem Gespräch mit der FURCHE, daß Polen heute mit seinen sieben Nachbarn (Rußland/Königsberg, Weißrußland, Litauen, Ukraine, Slowakei, Tschechien und Deutschland) eine „Zone des Friedens und der Freundschaft“ errichten müsse. „Was ein Militärbündnis mit diesen Staaten anbelangt, bin ich davon überzeugt, daß das eine Aufgabe für meinen Sohn sein wird. Und der ist erst sechs Jahre alt.“

Hanna Suchocka, abgewählte polnische Ministerpräsidentin und jetzt Sejm-Abgeordnete, hat dieser Tage in Wien anders als Michnik einer Neuauflage der sogenannten Vise- gräd-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) das Wort geredet. Während Michnik mitteleuropäisch orientierten Sicherheitssystemen den Vorzug zu geben scheint, kann Suchocka sich eine Sicherheitskooperation auf Visegräd-Basis vorstellen — wobei der Westen diese Initiative tatkräftig unterstützt. Suchocka muß aber zugeben, daß in der augenblicklichen politischen und wirtschaftlichen Lage Europas „wir .kaum mit einem raschen Durchbruch in den Beziehungen der Vise- gräd-Gruppe sowohl gegenüber dem Westen als auch dem Osten rechnen“ dürfen. Suchocka wie Michnik heben sich gemeinsam auch gegenüber dem tschechischen Premier Vaclav Klaus ab, der bezüglich der Westintegration einen Eigenkurs -

ohne Warschau, Budapest und Preßburg — steuert.

Die Frage bleibt, ob die NATO eine Möglichkeit sieht, künftig Sicherheitsgarantien gegenüber einem „Zwischeneuropa“ abzugeben, das — wie Suchocka konstatierte - durch eine unkontrollierte Entwicklung der Lage, wieder auflebende Nationalismen und wirtschaftliches Chaos lange noch gefährdet bleibt.

KRITISCH GEGENÜBER WALESA

Adam Michnik in diesem Zusammenhang zur Bedrohung durch nationalfaschistische Politiker vom Schlage eines Wladimir Wolfowitsch Schirinowski in Rußland: „Wir haben in Europa mit so einer Politik - man soll den Löwen nicht provozieren - schon zu tun gehabt; das war die Geschichte der Weimarer Republik. Die Zukunft wird zeigen, ob wir eine Lehre aus den Ereignissen im Jahre 1933 gezogen haben. Ich bin dafür, daß wir die Demokratie auch mit Gewalt gegen den Faschismus verteidigen.“

Auf das geringe Vertrauen des Westens in die neue polnische politische Führung unter den Reformkommunisten - nach freien Wahlen! — angesprochen, meint Michnik: „Bis jetzt waren die Polen der Meinung, daß sie vor allem die Wahrheit brauchen. Jetzt hat sich gezeigt, daß sich viele außer nach Freiheit auch nach Sicherheit sehnen. Deswegen wünschen sich immer mehr Menschen hier einen Staat, der für alle sorgt. Die Parteien, die die letzten Wahlen gewonnen haben, setzen die Politik der früheren, schon demokratischen Regierungen fort. So kann man auch sagen, daß die Probleme, mit denen die früheren Regierungen zu tun gehabt haben, auch für die jetzige zu lösen sein werden.“

Angesprochen auf den nicht selten diktatorischen Führungsstil des polnischen Präsidenten Lech Walesa betont Adam Michnik: „Walesa ist mein Präsident. Und ich liebe ihn genauso, wie ein Republikaner in den USA Bill Clinton liebt. Ich respektiere ihn, weil er ein in demo

kratischen Wahlen gewählter Präsident ist.“ Die Art und Weise, wie Walesa gelegentlich „regiert“, erinnert Michnik „mehr an einen Hof als an eine Demokratie“. „Ich möchte Polen als einen Staat sehen., wo das Recht regiert, wo der Präsident ein Präsident ist und nicht ein Monarch, wo die Regierung eine Regierung ist und nicht Repräsentanz eines Zwei-Parteien-Blocks, und daß sich die Regierung um den Staat kümmert und nicht nur ihren Einflußbereich vergrößern will.“

Er sei gegenüber Walesa kritisch eingestellt, betont Michnik. „Aber ich muß sagen, daß er in kritischen Momenten immer die Interessen Polens verteidigt hat. Das Recht hat er nie gebrochen.“ Und selbst wenn Walesa manchmal seine Popularität aufs Spiel gesetzt habe, so Michnik, habe er sich bei der Lösung wirtschaftlicher Fragen immer prinzipiell verhalten. „Aber das alles gehört zum Erlernen der Demokratie. Wo hätten wir das lernen können? Im Untergrund oder zur Zeit der kommunistischen Diktatur?“

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