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Die Entmündigung des Bürgers

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Der Verfasser, FURCHE-Lesern als Gastautor bereits bekannt, nimmt den leichtfertigen Umgang mit der Wahrheit in Politik und Medien ins Visier.

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Der Verfasser, FURCHE-Lesern als Gastautor bereits bekannt, nimmt den leichtfertigen Umgang mit der Wahrheit in Politik und Medien ins Visier.

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Wohl jeder kennt das auf den lateinischen Fabeldichter Phädrus zurückgehende Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht”. Demnach führt bereits die einmalige Lüge zum Verlust der Glaubwürdigkeit. Geschädigt sind dann beide, nämlich der I Aigner und der Belogene, weil ihrer Beziehung das Vertrauen fehlt.

Das ist besonders dann fatal, wenn ein gegenseitiges Angewiesensein zwischen den Personen eines solchen Geschehens besteht. Der einzelne kann heute seine Entscheidungen nur äußerst selten auf eigene, originäre Erfahrungen aufbauen. Nahezu bei allen Entscheidungen sind wir auf Vorinformationen angewiesen. Selten kennen wir die Menschen, die die Quelle dieser Informationen sind, meist wissen wir nicht einmal, wer diese Informationen verbreitet.

Die Lüge ist heute fester Bestandteil im Instrumentarium der Meinungsmacher. Die gelindeste Form davon stellt die einseitige Berichterstattung dar. Die Argumente der anderen Seite werden einfach totgeschwiegen. Nach einiger Zeit der einseitigen Berichterstattung werden die Begriffsinhalte - ähnlich wie es Or-well in „ 1984” beschreibt - verändert. „Minderwertige Zeitungen, die fast nichts als Sport, Verbrechen und astrologische Ratschläge enthalten, reißerische 5-Cent-Romane, mechanisch hergestellte Musik, die Scheinwelt in Filmen und massenhafte Erzeugung der niedrigsten Art von Pornographie” (G. Orwell, 1984) verdummen das Volk und verhindern die Auseinandersetzung mit den wahren Problemen. Unter dem Anschein der Liberalität und der politischen Freiheitwird der Bürger in Wahrheit vielfach entmündigt.

Der Markt diktiert

Der Markt wird als einziger und objektiver Regulator der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse bezeichnet, Wahrheit und Gerechtigkeit haben keinen entscheidenden Stellenwert. Den An- und Verkauf auch der menschlichen Arbeitskraft reguliert der Arbeitsmarkt, der durchaus international gesehen werden muß. Wieso können dann lokale Politiker Arbeitsplätze versprechen? Wer nur über seine Arbeitskraft verfügt, muß sich häufig - sofern er nicht in einer neuen „flexiblen Arbeitsform” überhaupt ohne soziale Absicherung herangezogen wird -auch in gut situierten Branchen mit dem Mindestlohn zufrieden geben. Der Sozialdarwinismus regiert, und der Kampf ist eben hart. Die Großen fressen die Kleinen, jeder ist austauschbar. Alle Arbeitnehmer müssen um ihren Arbeitsplatz zittern - doch halt: Da gibt es noch den geschützten Bereich der Beamten.

Seit Jahren bemühen sich verschiedene Begierungsmitglieder mit Hilfe der Medien, den Neid zwischen verschiedenen Gruppen der Arbeitnehmer zu schüren. Was kann man da alles über unglaubliche Privilegien und Mißstände hören. Daß davon das meiste nicht stimmt und das wenige, was richtig ist, auf Vollzugsprobleme - häufig von der politischen Ebene ausgehend - oder auf unausgewogene normative Vorgaben zurückgeht, das ist doch viel zu schwierig zu untersuchen.

Daß es sich bei diesem Phänomen der politischen Unwahrheit nicht um eine österreichische Eigenheit handelt, zeigt etwa die Vorgangsweise im Zusammenhang mit der geplanten Einführung des Euro. Da werden von Fachleuten Kriterien erarbeitet, deren Einhaltung beschlossen und als unbedingt notwendig erklärt wird. Durch Einmaleffekte, wie Verkäufe und Ausgliederungen aus dem Budget, und unter großen Opfern der Bevölkerung werden die festgelegten Kriterien in Österreich teilweise erreicht. Die Presse jubelt, die Experten betonen, daß weiter „gespart” und richtig „informiert” werden muß. Umfangreich wird über die Zeitplanung, das Outfit der neuen Banknoten und Wech-selpro-blemchen berichtet Die wirtschaftlichen Innen- und Außenwirkungen einer Währung für einen Wirtschaftsraum mit unterschiedlicher Steuer- und sonstiger Gesetzgebung bleiben genauso geheim wie die Nachteile, die sich aus der Teilnahme nicht eurofiter Staaten ergeben werden.

Die Tricks von anderen Staaten in diesem Zusammenhang sind aber noch abenteuerlicher und gehen von der reinen Bilanzkosmetik bis zu auf Dauer ruinösen Steuernachlässen, die für bisherige Steuerhinterziehung gegeben werden. Das alles nur, um zum magischen Zeitpunkt 1999 eurofit zu sein und dabeisein zu dürfen.

Kräftiges Pönale

Das Furchtbare ist, daß diese Eurofitness nicht bloß als Eintrittskarte zu verstehen ist, die man vorweist und, wenn man drinnen ist, wieder vergessen kann. Nein, diese Kriterien gelten weiter. Für Staaten, die sie nicht erfüllen, ist ein kräftiges Pönale vorgesehen. Fragt man bei den Euro-hotli-nes genauer nach, so hört man: „Wir glauben aber, daß diese Vereinbarung nicht so ernst genommen werden wird.” Ist das Ausdruck des internationalen Standards der x Wahrhaftigkeit?

Um nicht mißverstanden zu werden: Trotz aller Unwahrheiten in diesem Zusammenhang wird eine Teilnahme für Osterreich wohl dann jedenfalls geboten sein, wenn Deutschland und Italien den Euro einführen. Diese allenfalls gegebene Notwendigkeit rechtfertigt aber trotzdem nicht die Vorgangsweise.

Vor dem Hintergrund dieser historischen Unwahrheiten ist der persönliche Umgang einzelner Politiker mit der Wahrheit noch als menschlich verständlich zu bezeichnen. Entspricht es nicht dem internationalen Standard, im Wahlkampf mit einer netten Familie aufzufahren - die meisten Österreicher wünschen sich das doch. Daß es daneben im beruflichen Umfeld leicht verfügbar seit Jahren eine andere gibt, wer wird das heute einem erfolgreichen Mann verübeln? Der Erfolg für sich selbst und die Partei ist kurzfristig entscheidend!

Ist es da verwunderlich, wenn Politiker, deren Gestaltungsmöglichkeiten aus den verschiedensten guten Gründen beschränkt sind, den Leuten nicht erfüllbare Versprechungen wie „sichere Pensionen” oder „sichere Arbeitsplätze” machen. Vor diesem Hintergrund wäre es auch durchaus menschlich verständlich, daß jemandem, der das noch viel mehr durchschaut, aus Zorn oder aus welchen Motiven immer, in einem engeren Kreis heftige und nach außen unübliche Worte entkommen. Aber, er hat es nicht gesagt - haben halt die anderen sich verhört.'

Es hat einen großen Bundeskanzler gegeben, der sich - ohne von Medienberatern gestylt und mit den ”Ergebnissen der Meinungsumfragen ausstaffiert zu sein - in einer ungleich schwierigeren Situation, als wir sie heute haben, dazu bekannt hat, daß er den notleidenden Bürgern dieses Landes nichts geben kann, kein Glas zum Einschneiden, kein Brot zum Essen, keine Kerze am Christbaum ... Leopold Figl war aber persönlich glaubwürdig und konnte auf dieser Grundlage den Menschen dieses Landes viel geben. Auf der Grundlage des Vertrauens konnte im Zusammenwirken, und nicht im bewußten Säen 'von Zwietracht zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung ein großes Aufbauwerk vollbracht werden.

Eine Koalition der Anständigkeit auf Grundlage der Wahrheit müßte doch auch in guten Tagen möglich

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