Die Feinde des "krisensicheren" Geschäfts

Werbung
Werbung
Werbung

Schieber der Flucht

Szenen von der österreichischen Grenze 2015. Die Schlepper nutzten die Signale und schickten Hunderttausende auf den Weg.

"Tatzgern vergleicht den Kampf gegen die Schlepper mit der Behandlung von Krebs. Man werde die Menschheit nie gänzlich vor Krebs schützen können."

Jürgen Nissen hat genug von den kleinen Fischen, er will an die großen herankommen. An diejenigen, die Menschen wie eine Ware hier an die deutsch-dänische Grenze verfrachten lassen: in Transportern, in Autos, in Wohnmobilen, einmal sogar in einem Krankenwagen. Meist sind die Fahrzeuge randvoll gefüllt. Ziel: Dänemark. Der deutsche Bundespolizist Nissen kann wenig dagegen tun.

Er kann sich zwar mit seinen Kollegen auf die Lauer legen, Fahrzeuge anhalten, die Fahrer rausziehen, noch bevor sie die Grenze Richtung Norden überwinden. Er kann sie verhören, Telefone überwachen, Puzzleteile zusammensetzen. Doch dann stößt Nissen oft an andere Grenzen. Denn die, die die Schlepper dirigieren, sind oft unerreichbar weit weg: die Drahtzieher im Schleppergeschäft.

Profiteure des Leids

Not und Leid von Millionen Menschen in Armutsregionen und Kriegsgebieten schüren eine globale Nachfrage: Menschenschmuggel ist ein Milliardengeschäft. "Es gab nie einen größeren Markt für die Schlepperei als in den vergangenen zwei Jahren", sagt Robert Crepinko, Chef des Anti-Schlepper-Büros der Polizeibehörde Europol. Zwar habe das Geschäft in Europa nach 2015 insgesamt an Volumen eingebüßt durch Zäune, Wachhunde und Grenzpolizisten. Dennoch seien gerade deshalb die Dienste der Schlepper gefragter denn je. Auf dem Weg nach Europa bedienen sich neun von zehn Flüchtlingen krimineller Hilfe, berichtet Europol.

Besonders die lebensgefährlichen "Containerschleppungen" nehmen, wie Sicherheitsbehörden berichten, wieder zu -Transporte in umgebauten Tankbehältern, in Kühllastern und Zugwaggons. Knapp 17.500 Verdächtige haben die Ermittler in Europa 2016 identifiziert, 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Polizisten und Staatsanwälte kämpfen einen mühsamen, oft aussichtslos scheinenden Kampf gegen die Schlepper. Die Schlepper arbeiten in losen Netzwerken, splitten sich auf und formieren sich neu. Die Zellen bestehen aus Organisatoren, Logistikern, Passfälschern, Fahrern. Wegen der hohen Nachfrage kommen sich die Kriminellen kaum ins Gehege, sondern schanzen sich noch Aufträge zu. Wird eine Gruppe gefasst, bilden sich zwei neue.

Jürgen Nissen kämpft diesen Kampf schon sein halbes Leben lang. Der 54-Jährige leitet das Team der Schlepperermittler in Flensburg. Nissen ist ein groß gewachsener Mann. Kurze Haare, norddeutscher Dialekt, freundliches Gesicht. Er ist Hintermännern im Schleppergeschäft auf der Spur.

Aber da fangen seine Probleme an. Deutschland ist für viele Schlepper Zielland und Endpunkt der Reise, die Ermittler müssen sich meist mit der letzten Etappe des Wegs zufrieden geben, weil es an der Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern mangelt.

Gerald Tatzgern vergleicht den Kampf gegen die Schlepper mit der Krebsheilung. Zwar würden auch dort Erfolge verzeichnet. "Aber trotzdem wird man die Menschheit nie vor Krebs schützen können, das ist undenkbar." Tatzgern leitet seit einem Jahr das internationale Schlepperbüro in Wien, eine Art Verbindungsbüro für europäische Schlepperbekämpfer. Immer wieder lädt er Ermittler aus ganz Europa ein. Und er hat alle Hände voll zu tun. "Millionen Menschen sind unterwegs, alles drängt in Richtung Europa", sagt er. "Es ist ein krisensicherer Job."

Wo die Hintermänner sitzen

Was außerhalb Europas geschieht, kann Tatzgern nur ahnen. Die Big Shots im Schleppergeschäft sitzen im außereuropäischen Ausland, in der Türkei, Syrien, in Ägypten, Libyen, weiteren afrikanischen Staaten. Diese Strukturen sind für die Ermittler nur schwer nachzuverfolgen.

Die Türkei etwa ist der zentrale Startpunkt für die Balkanroute, Libyen für den Weg übers Mittelmeer. Die dicken Fische von Jürgen Nissen aber -die sitzen in Syrien. Er weiß nicht, wie sie heißen. Er weiß aber, dass es zwei Männer sind, die in einem kleinen Ort leben, an der Grenze zur Türkei. Dass sie einer größeren Familie angehören. Und dass sie zu den großen Drahtziehern im Schleppergeschäft gehören.

Die beiden Männer haben Kontakte in ganz Europa, Büros in Syrien und der Türkei, Verbindungsleute in Bulgarien, sie haben ein Netzwerk entlang der Route, erzählt er. Seit Mai 2015 ist Nissen den Männern in Syrien auf der Spur. Er raubt ihnen langsam die Geschäftspartner in Europa. Sieben Leute sitzen bereits in Haft. Doch die Drahtzieher können sich vorerst zurücklehnen. Selbst wenn Nissen ihre richtigen Namen herausfindet, könnte er mit einem internationalen Haftbefehl wenig ausrichten. "Ein Großtäter, der es sich gemütlich macht in seinem Land, hat allerbeste Karten", berichtet auch die Berliner Oberstaatsanwältin Petra Leister, zuständig für die Strafverfolgung der Schlepper in der deutschen Hauptstadt. Sie berichtet von Hürden auch innerhalb Europas -etwa Probleme mit Europäischen Haftbefehlen. Manche Länder etwa wie Polen lieferten nicht aus, wenn die Tat zum Teil im eigenen Land stattgefunden habe.

Die eigentlichen Opfer sähen sich oftmals nicht als Opfer, sagt Leister. Den Ermittlern blieben oft nur die kleinen Fische, meint auch sie. "Meist kommt man erstmal auf die Dummen, das letzte Glied der Kette." So wie Ibriam H. Der 24-jährige sitzt Mitte März auf der Anklagebank des Landgerichts Passau. Er starrt ins Leere, stützt sein Gesicht auf die Hände. Zwei Jahre und drei Monate Gefängnis. Das Urteil hat die Richterin ihm soeben verkündet.

Auf der Anklagebank

Im August 2015 schleppt Ibriam H. 32 Afghanen nach Deutschland, darunter viele Kinder. Sie sind zusammengepfercht auf der Ladefläche seines Kleintransporters: auf 7,86 Quadratmetern. Damit bleibt für jeden so viel Platz wie ein A2-Bogen Papier. Keine Fenster, kein Licht, keine Pause, kein Kontakt zum Fahrer. Für sechs, sieben Stunden. Der Staatsanwalt spricht von einem "Viehtransport".

Ibriam H. erzählt, er habe damals zu wenig verdient, er habe Geld gebraucht. Seine Frau sei schwanger mit dem dritten Kind gewesen. Er habe zwei Männer in Budapest kennengelernt. "Einer hat mir erzählt von dieser Arbeit", erzählt er. 3000 Euro hätten sie ihm nach seiner Rückkehr versprochen.

Ibriam H. kehrt nicht zurück. Auf der A3 Richtung Regensburg fliegt er bei einer Polizeikontrolle auf. "Mir tut es leid, was ich getan habe", sagt er. Der Richterin reicht das nicht. "Es kann sein, dass Sie nur ein kleines Rädchen sind", sagt sie. "Aber ohne das Rädchen funktioniert das ganze Getriebe nicht." Ibriam H. muss ins Gefängnis. Das Getriebe läuft weiter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung