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Die Frage nach dem Schattenkabinett

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Die Halbzeit ist vorüber. Der Wahlkampf zur Nationalratswahl am 1. März — von den Parteien als Entscheidungswahl angekündigt — tritt in seine letzten Runden. Zwar weiß in diesem Boxkampf noch niemand, wie die Ringrichter (sprich Wähler) entscheiden werden: aber der Countdown zum Punktesieg oder zum K.-O.-Niederschlag hat begonnen. Die Zuspitzung macht klar: entweder akzeptieren die Wähler (entgegen allen Meinungsforschungen) das Experiment der Alleinregierung vor dem Hintergrund der Erfolge der monokolo-ren ÖVP-Regierung oder säe heben dieses System auf und setzen an seine Stelle wiederum die Koalition. Mit anderer Färbung oder anderen Juniorpartnern.

Die erste Wahlkampfrunde im Jänner war eigentlich an keinen der beiden Ringpartner gegangen. Die FPÖ hatte mit einer wohldosierten Erklärung die Initiative an sich gerissen und die Volkspartei echt herausgefordert. Was aus der „Ecke“ der Volkspartei kam, war freilich eher dürftig. Bis heute hat — wie könnte er anders? — nur Bundes-parteiobmann Klaui die klein Koalition ausgeschlossen. tHe übrigen Männer mit Ambitionen auf den Kanzlersessel waren zurückhaltender. Und die Landesorganisationen im Westen spekulieren zum Teil ganz offen mit dieser schwarz-blauen Möglichkeit.

Es steht uns nicht an, der Volkspartei Ratschläge zu erteilen: aber eine wirkliche Chance, das Abwandern unzufriedener „Bürgerlicher“ nach rechts zu verhindern, ist nur dadurch gegeben, daß man sich eindeutig deklariert: nämlich ohne FPÖ in die Regierung. Erst dann bleibt den Unzufriedenen nichts anderes übrig, als doch wieder zur ÖVP zu kommen. Überdies kann eine kleine Koalition nur allzu leicht zu einem tiefen Einbruch in die Schichten der ÖVP führen. Denn der rechte Flügel in der Volkspartei hat nur unter Schmerzen seine Heimat in des Nachfolgepartei der Christlichsozialen gefunden (wie die Bundespräsidentenwahlen seit 1945 beweisen). Und wie auch etwa die Salzburger ÖVP zumindest seit den letzten Landtagswahlen weiß. Freilich hat die Erklärung von Dr. Klaus, weder in einer großen noch in einer kleinen Koalition Kanzler zu sein, der Entscheidungsargumentation der Volkspartei genützt: „Wer Klaus will, muß Volkspartei wählen.“

Damit hat sich auch die Frage nach der künftigen Führung auf Klaus oder Kreisky zugespitzt. Der Kanzlerkandidat der SPÖ (den selbst Pittermann als selbstverständlichen Ersten Mann akzeptiert) wirbt für eine „neue“ SPÖ. Sein Konzept war seit langem geplant (anscheinend gründlicher, als das der Volkspartei) und basierte auf der Überlegung, die SPÖ als staatstragende, verbürgerlichte Partei skandinavischen Zuschnitte mit jugendlichem Appeal gerade auch „rechten“ Wählern anzubieten. Kreisky hat diese Linie nicht durchhalten können. Er selbst wurde gegen Klaus überhört, wie man in Begiieruragskreäsen meint, und die Negativplakate „Alles versprochen — nichts gehalten“ haben die „neue“ SPÖ nicht allzu glaubwürdig gemacht

Immerhin hat die schon länger zurückliegende Eisenstädter Erklärung zur Frontenklärung beigetragen. Die

Volkspartei tut sich schwer, die Rote Katze wiederzubeleben. Kreisky freilich hat gegen die ÖVP-Parole von der „klaren Mehrheit“ als Wahlziel allzu viele Ziele anzubieten. Einmal formierte er die SPÖ für die sozialistische Alleinregierung (und tat der ÖVP damit einen Gefallen), dann sprach er wieder von der Koalition (unter beiden Vorzeichen) mit der ÖVP, und schließlich forderte er für diesen Fall gleich mehrere Ministerien, wodurch ihm auch in den eigenen Reihen der Vorwurf der Postenhamsterei gemacht werden mußte.

Die „rechte Gerade“ der ÖVP-Pro-paganda freilich trifft Kreisky an seinem schwächsten Punkt am härtesten: er kann die Männer nicht herzeigen, die er als Regierungsmannschaft präsentieren will. Die innerparteiliche Konstellation zwingt ihn, als Alleinrepräsentant für ein unbekanntes Team durchs Land zu ziehen. So scheint die Frage nach den „unbekannten Köpfen“ nicht allein die Sachmännerargumentation der ÖVP zu beflügeln, sondern auch die an Persönlichkeiten orientierten Wähler skeptisch zu machen. Wird da* Thema des „Schattenkabinetts“ wahlentscheidend?

Wenngleich sich niemand bluffen lassen darf: auch die ÖVP hat nicht alle Ressorts mit „Fixstartern“ besetzt. Sie präsentiert ja bestenfalls etwa sechs Männer, die ganz sicher wieder Regierungsfunktionen erhalten würden.

Freilich: noch gibt es keine Unterlagen über die Präferenzen der Wählerschaft. In einem internen SPÖ-Pressegespräch meinte der Meinungsforscher Blecha, daß die Sozialisten zwei Prozent Vorsprung hätten. Allerdings räumt auch Blecha ein, daß die Höhe der Wahlbeteiligung noch alles offenlasse und ein immer größerer Wählerstock erst Entscheidungen in letzter Minute trifft.

So wird auch die „Stimmung“ zum entscheidenden Kriterium der letzten Tage. Noch steht das Faschingshafte der ersten Feindberührungen im Vordergrund. Die härtesten Schläge werden erst in den letzten zehn Tagen ausgetauscht werden. Klarheit besteht bislang freilich über eines: daß die Entscheidung vor allem in Wien fallen wird. Vier von fünf Wahlkreisen haben nur einen knappen Stimmenvorsprung der einen oder anderen Großpartei. Damit werden in Wien aber auch die kleinen Parteien zu einem Faktor. Immerhin hat Franz Olah 1966 80.000 Stimmen in Wien erreicht. Und diesmal kandidieren die Kommunisten in allen Wiener Wahlkreisen (was selbst angesichts der Selbstauflösung der KPÖ kleine Verschiebungen auslösen könnte). Die Großstadt freilich hat noch nicht so recht den Schwung der Partei-apparate gespürt. Die Versammlungen sind jämmerlich schlecht besucht und die Kandidaten suchen erst tastend nach neuen Kontaktmöglichkeiten mit dem Wähler. Der Gong zur nächsten Wahlkampfrunde ist erklungen. Geht es auch nicht um Österreich, so geht es doch um die Weichenstellung für die nächsten vier Jahre. Und um die Frage, was die neue Konstellation an praktischen Folgerungen für Österreich bereit hält.

Es bleibt dabei: eine klare Entscheidung -s- so oder so — bleibt die sympathischeste Hoffnung für den I. März.

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