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Die Freiheit zum Verzicht

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Der Offizier muß schließlich auch ein Mann der Nüchternheit und der Mäßigung sein. In einer Zeit, die durch Maßlosigkeit gekennzeichnet ist in allem und jedem, die jegliche Distanz zu verlieren scheint, für die Ordnung zu einem fremden Begriff zu werden droht, in der ist Maß halten wahrhaftig eine Tugend, die gerade dem Offizier ziemt. Wenn er darin der Jugend ein Vorbild ist, leistet er ganz Großes. Die Jugend, ja das ganze Volk ist heute bedroht von einer Ausbeutung, von einer Knechtschaft, die nicht weniger schlimm ist als die Ausbeutung der Arbeiterschaft im Frühkapitalismus. Nur gefährlicher, weil sie die Gehirne vernebelt und die Gewissen erstickt. Ich meine die Ausbeutung durch die vielfältigen Mittel einer Vergnügungs- und Freizeitindustrie, die unbedenklich Reize weckt und künstliche Bedürfnisse erzeugt und deren Knechtschaft sich nur der zu entziehen vermag, der den Mut besitzt, die letzte Freiheit, die ihm jemand rauben kann, einzusetzen: die Freiheit zum Verzicht, zu einem Verzicht, der nicht ärmer, sondern reicher macht.

Mäßigkeit und Nüchternheit

Vielleicht zwingen die Umstände dem Offizier auch in einer anderen Beziehung Nüchternheit und Mäßigung auf. Österreich ist ein kleiner Staat mit sehr beschränkten Mitteln. Das bekommt auch die Landesverteidigung zu spüren. Jene Offiziere, die im zweiten Weltkrieg die gewaltige kriegerische Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus kennengelernt haben, werden es nicht leicht haben, die bescheidenen Mittel, die ein kleiner, friedlicher Staat für seine Verteidigung bereitstellen kann, richtig zu werten. Andere vielleicht werden mit einem gewissen Neid auf die hochgerüsteten Nachbarstaaten blik-ken, wo der militärischen Aufrüstung schon wieder schier unerschöpfliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist verständlich, daß solches manche mit Verdrossenheit erfüllt, wenn sie auf die österreichische Unzulänglichkeit blicken. Es wäre aber nicht richtig, annehmen zu wollen, daß diese Mittel jemals so groß sein können, daß damit alle Wünsche und Erwartungen befriedigt werden. Mäßigkeit ist also auch hier nicht fehl am Platz.

Auf der anderen Seite aber müssen wir mit Nachdruck darauf hinweisen, daß auch der kleine Staat die Pflicht hat, seiner Armee, wenn er ihr die Aufgabe stellt, Freiheit und Unabhängigkeit der Heimat zu schützen, jene Mittel in die Hand zu geben, ohne die sie ihre Aufgabe nicht erfüllen kann.

Mäßigkeit und Nüchternheit benötigt der Offizier auch, der besonderen Berufsversuchung begegnen zu können, der er beständig ausgesetzt ist. Kraft seiner dienstlichen Autorität gehorchen ihm die Soldaten auf Wort und Wink ohne Widerrede. Weil dies so ist, schreibt der Offizier allmählich den Gehorsam der Soldaten seiner persönlichen Bedeutung zu, und, ohne es zu merken, wird er überheblich. Von dort ist nur ein Schritt zur Willkür, durch die er am sichersten das Vertrauen der Untergebenen verlieren wird. Der Offizier braucht deshalb ein Mittel, das ihn vor dieser Versuchung schützt. Das beste' Mittel dagegen ist die auf die eigene Person angewandte Nüchternheit und Mäßigung: die Demut. Ohne Demut ist die Kraft nichts als Gewalt. Nur die Demut ermöglicht es, das Risiko zu vermindern, die Mißverständnisse zu verringern, die eigenen Fehler zu erkennen und zu verbessern.

, Kehren wir noch einmal zurück: Was heißt Offizier sein? Offizier sein heißt, gehorchen und befehlen, heißt Menschen führen, heißt zuvorderst in einer Ordnung stehen. In einer Ordnung stehen aber kann nur der, der diese Ordnung bejaht, der Bescheid weiß um die Reihung der Werte in dieser Ordnung. Nach dieser Ordnung richtet sich die Stellung des Offiziers, seine Haitun?, seine Ehre. Unsere

Ordnung ist nicht die Ordnung der Vergangenheit, daher kann auch die Haltung des Offiziers unsers Bundesheeres nicht die Haltung des Offiziers der Vergangenheit sein. Weder die Vergangenheit der alten kaiserlichen Armee, deren große kulturelle Leistungen wir dankbar anerkennen, deren humanistische Traditionen wir würdigen. Wie viele Dichter, Musiker, Künstler entstammen doch dem Offizierskorps der alten Armee. Noch viel weniger aber kann es Stellung und Haltung einer jüngeren Vergangenheit sein, einer Vergangenheit, die soviel Leid über die Welt gebracht hat; und deren Zusammenbruch allerdings auch die Voraussetzung war, daß dieses Österreich und mit ihm sein junges Bundesheer wiedererstehen konnte.

Nicht die Ordnung der Vergangenheit

Die Haltung unserer Offiziere, der Offiziere des österreichischen Bundesheeres der Zweiten Republik, muß von den Vorstellungen und Haltungen der Offiziere vergangener Epochen sich in dem Maße unterscheiden, in dem sich auch das Bundesheer von den Armeen der Vergangenheit unterscheidet. Aufgabe dieses Heeres ist es nicht, einen Vielvölkerstaat zusammenzuhalten, Machtpotential einer Großmacht zu sein. Noch weniger aber wird dieses Heer nur als Werkzeug einer verblendeten Politik Angriffskriege führen. Nicht, weil dieses Land zu arm oder zu klein dafür ist, sondern weil seine Ziele andere sind und damit auch die Aufgaben, die es seinem Heer überträgt.

Die Neutralität, zu der sich Österreich bekennt, muß, soll sie wirksam sein und ernst genommen werden, militärisch gesichert werden. Der militärische Schutz der Neutralität, Widerstand gegen jeden Angreifer, Notwehr mit allen unseren Mitteln, das allein ist die Aufgabe unseres Bundesheeres. Das Heer, der Militärdienst, die Wehrpflicht sind niemals Selbstzweck, noch viel weniger ein Werkzeug, mit dem man Politik machen kann oder das vielleicht selbst Politik machen könnte. Das Heer ist nur das wirksamste und letzte Mittel des Volkes und des Staates, sich einer Aggression zu erwehren und die Sicherheit zu geben, in Freiheit, Demokratie, in Frieden und Menschenwürde leben zu können. Dem Offizier des Heeres, dem eine solche Aufgabe übertragen ist, müssen daher auch die Begriffe Freiheit, Demokratie, Menschenwürde etwas bedeuten. Sein Vaterland muß dieses konkrete Österreich sein. Das meinte ich, als ich sagte, der Offizier steht in einer Ordnung, und er muß diese Ordnung bejahen.

Die falsche Pyramide,

Der Staat selbst aber hat in der Ordnung der Werte, im Rang der Wertordnung eine bestimmte Position, eine hohe zwar, aber nicht die absolute, nicht die höchste. Zu vielem ist der Offizier in der Vergangenheit verpflichtet worden, auf viele Fahnen mußte er schwören, zu vielen Götzen beten. Einmal war es der Imperator, dann der Führer, einmal der Staat und dann das Volk, Blut und Rasse und wieder einmal die rein materielle Macht. Das Wunder, wenn schließlich, um einen Ausweg zu finden, das technische Vermittlungsinstrument, das Ferment der Armee, der Befehl, zum höchsten aller Ideale erhoben wurde Der Befehl, der eine mechanische Reaktion auslöst, der das Denken ausschaltet, das Gewissen tötet. Der Befehl, ganz gleich von wem er kommt, wenn nur der, der ihn gab, die formale Befehlsgewalt besaß. Der Befehl war ausschlaggebend, ganz gleich, was sein Inhalt war. So wurden im Namen des Befehls Kinder und Kranke ermordet, Familien und Völker ausgerottet. Es gab keine Ungeheuerlichkeit, die nicht im Namen des Befehls begangen und gedeckt wurde.

Tmmer stand also ein anderer Begriff an der Spitze der Pyramide der Werte. Immer wieder ist diese Pyramide eingestürzt und immer wieder trafen die Trümmer eines solchen Einsturzes zuerst die Offiziere und dann die Soldaten. Es gibt hier keinen anderen Ausweg, soll die Tafel der Werte dauerhaft bleiben — so muß wie im Dekalog der Name Gottes an der Spitze stehen. Von dieser Spitze aus kann alles andere richtig geordnet werden: Volk und Staat, Recht und Macht, Befehl und Gehorsam, Persönlichkeit und Humanität, Freiheit und Menschenwürde. Das sagt Ihnen jetzt nicht der Militärvikar, von dem Sie vielleicht annehmen, daß es zu seinem Berufe gehörte, von Gott zu reden, das sagen Ihnen zu allen Zeiten und an allen Orten Menschen, die nachdachten über das einzige, worüber es sich nachzudenken lohnt: über Sinn und Zweck des Daseins, des Lebens der Welt.

Es ist daher kein Zufall, daß wir eine ähnliche Grundsatzrichtung im Dienstreglement des österreichischen Heeres finden, welches in Geltung war in der Zeit der Monarchie sowie der Ersten Republik bis zum Jahre 1938. Es hieß damals: „Gottesfurcht ist die Grundlage eines moralischen Lebenswandels und eine Einladung zur treuen Erfüllung der Pflicht.“

Unter dem Altar der Burgkapelle In Wiener Neustadt liegt Kaiser Maximilian begraben, so wie er es bestimmt hatte, Haar und Bart versengt, in ein härenes Gewand gehüllt, Kalk über den hageren Leib geschüttet, als Bettler wollte er begraben sein und jedermanns Fuß sollte auf ihn treten. Welch kaiserlicher Tod! Zum Sterben war er und als

Bettler in diese Stadt geflüchtet, obwohl er sich in Innsbruck ein prachtvolles Grabmahl hatte bauen lassen. Nach Wiener Neustadt, der allzeit Getreuen, ist er gezogen, weil die anderen Städte die Tore vor ihm geschlossen hatten, so wie ein Wirt, der dem säumigen Schuldner die Türe weist. Und doch war das Leben dieses Mannes, das so düster geendet hatte, voll von strahlendem Glänze gewesen. Als letzter Ritter ist er in die Geschichte eingegangen, und an seinem ritterlichen Leben ist das Offiziersideal immer gemessen worden. Mit diesem letzten Ritter ist nicht zuletzt auch das alte Offiziersideal in eine Krise geraten, weil mit Maximilian ein anderer Soldatentypus in die Geschichte einzog, den wir heute nur als Zerrbild, als Widerpart des Idealbildes des Offi-zieres empfinden: den Condottiere, den Landsknecht, den Söldner, dem es ganz gleich ist, für was und für wen er kämpft, der aus Rauflust und für Geld gegen jeden den Degen zieht, den man zur Fahne schwören lassen mußte, damit er nicht davonläuft.

Zwischen dem hl. Ritter Georg und dem Landsknechtführer schwankt in der Folgezeit das Bild des Offiziers in der Geschichte. Romantischer Überschwang liegt uns heute nicht. Wir sind nüchterner und distanzierter geworden. Um so mehr aber müssen wir bemüht sein, uns ein Bild über Haltung und Ehre des Offiziers zu erarbeiten, das nicht den Schwankungen des politischen Ablaufes unterliegt, das seinen richtigen Platz erhält in seiner richtigen Ordnung; in einer Ordnung allerdings, die auf das Ewige ausgerichtet sein muß, dabei aber die besonderen Bedingungen der Gegenwart mit einschließt.

Ich habe kurz versucht, Ihnen meine Auffassung über das Bild des Offiziers zu vermitteln.

Als das alte Österreich im Jahre 1848 eine der schwersten Stunden der Geschichte erlebte, als damals bereits das Reich zu zerbrechen drohte und nur noch die Armee als eiserne Klammer diesen Staat zusammenhielt, da rief Grillparzer, der gewiß alles andere war als ein österreichischer Hurrapatriot, dieser Armee das berühmte Wort zu: „In deinem Lager ist Österreich“. Das alte Reich ist zugrunde gegangen, die kaiserliche Armee ist zerfallen. Österreich wurde ausgelöscht. Aber es ist wiedererstanden. Sein junges Heer hat nicht die Aufgabe, eine eiserne Klammer für ein auseinanderstrebendes Staatswesen zu sein, und doch gilt noch immer dieses Wort und soll auch für alle Zukunft gelten. Zu seinem Heer, zu unserem Heer muß sich das ganze Volk bekennen, nicht nur ein Teil, nicht nur einzelne Trümmer, dann wird nicht nur in der Stunde der Not, sondern jederzeit der Österreicher wissen: in diesem Lager, in diesem Heere ist Österreich. Das zu verwirklichen ist mit eine der Aufgaben der österreichischen Offiziere, das bestimmt ihre Haltung, das ist der Inhalt ihrer Ehre.

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