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Die Gemuter besanftingen

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Der Papst kommt diesmal als ein alter, kranker Mann nach Polen, meint der katholische Philosoph Jozef Tischner. Seine Heimat präsentiert sich jedenfalls zerrissen; auch die Kirche mischt in der politischen Diskussion mit.

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Der Papst kommt diesmal als ein alter, kranker Mann nach Polen, meint der katholische Philosoph Jozef Tischner. Seine Heimat präsentiert sich jedenfalls zerrissen; auch die Kirche mischt in der politischen Diskussion mit.

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Vom 31. Mai bis 10. Juni besucht Johannes Paul II. bereits zum sechsten Mal seine Heimat. Offizieller Anlaß dieser Visite sind der Eucharistische Kongreß in Breslau, der 1000. Todestag des Heiligen Adalberts in Gnesen sowie die 600 Jahrfeier der Theologischen Fakultät an der Jagiellonenuniversität in Krakau.

Alle Papstbesuche hatten Einfluß auf die weiteren Geschicke Polens und mobilisierten Millionen von Menschen, die ihren Papst persönlich erleben wollten. So war es schon bei der ersten Visite - noch während des kommunistischen Regimes, dann später in der Umbruchphase und zuletzt zu Reginn des Aufbaus der Demokratie in seiner Heimat.

Der Papst kommt diesmal in ein unabhängiges, aber zugleich mit der Erblast der Vergangenheit beladenes Polen: Es gibt keine deutliche Grenze zwischen dem kommunistischen System und der Dritten Republik Polen. Da es keine gemeinsame Verantwortung für die Vergangenheit Polens gibt, gibt es auch keine gemeinsame Verantwortung für die Gegenwart. Dieses Phänomen stellt für viele Polen den Sinn der Freiheit in Frage: Das Gesetz „Alles ist erlaubt” regiert.

Seit 1989 ist das politische Leben in Polen durch Paradoxa gekennzeichnet: all das, was Ende der achtziger Jahre zum großen Sieg der demokratischen Opposition wurde - Rechtsstaat, Demokratie, freier Markt, Toleranz - wurden seither benutzt, um die Position des ehemaligen Machtsystems wiederherzustellen.

Viele Polen befürchten, daß ihr Land langsam in eine Krise der Demokratie hineinschlittert - das gilt für Institutionen des Staates und der Gesetzgebung ebenso wie für die Wirtschaft. Sieben Jahre „Freiheit” haben in Polen zum System einer „gelenkten” Demokratie geführt, das heißt, es gibt keinen gesellschaftlichen Pluralismus, sondern Strömungen, die von verschiedenen Seiten gesteuert werden.

Konsolidierung von Staat und Wirtschaft kamen bis heute nicht zustande: Niemand weiß, was der morgige Tag bringt. Vieles erscheint schwammig, unbestimmt und beruht ausschließlich auf Versprechungen und Parolen. Es fehlt auch an innerstaatlicher Sicherheit.

Die Gewaltenteilung ist eine Illusion, und Spitzenpositionen wichtiger Bereiqhe werden von Menschen zweifelhafter Kompetenz oder fragwürdigen Charakters eingenommen. Auch die Bechtssprechung befindet sich in einer Krise: Für einen durchschnittlichen Polen sind die Gerichte wegen der hohen Kosten nicht erreichbar. Auch Sejm und Senat, die beiden Kammern des Parlaments, bilden keine sich gegenseitig ergänzende Struktur. Sie kümmern sich mehr um Interessen einzelner Parteien und um sich selbst: Der Staat werde „parteiisch”, ist zu hören.

Viele in Polen beschuldigen diejenigen, die das Land regieren, eines moralischen Nihilismus. Das gipfelt im Vorwurf, daß in Polen eine Gesellschaft des „Nehmens” herrsche. In der Auseinandersetzung tritt aber auch zutage, daß sich viele nach Werten sehnen, die zwischen Röse und Gut unterscheiden. So scheinen im allgemeinen Chaos die einzelnen Menschen einen Platz zu suchen unter dem Motto: „Das hier ist mein Nest, und ich will, daß es so bleibt.”

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