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Die Kirchen in der Sowjetunion

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Seit dem 17. Jahrhundert,kurz nachdemein großer Teil der Ukraine unter russischer Herrschaft kam, sollte die pravoslawe Kirche in der Ukraine ein wichtiges Instrument der Russifizierung werden. Das gelang jedoch nur zum Teil. Denn der niedere Klerus, die Dorfgeistlichen und Diakone waren ja Ukrainer. Bekanntlich begann in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Renaissance der ukrainischen Kultur, zuerst in der Bukowina, dann in Ostgalizien, die natürlich auch zu einer ukrainischen Nationalbewegung führte. Aus dem damaligen Oesterreich griff diese ukrainische Nationalbewegung auch auf die unter russischer Herrschaft stehende Großukraine über. Der ukrainische Adel, die gebildeten Schichten, ja die Mehrzahl der Bewohner der Städte hätten sich damals längst schon russifiziert. Der Gegensatz russische Stadt — ukrainisches Dorf zeigte sich dann auch in der Revolution von 1917. Auf jeden Fall fand der revolutionäre ukrainische Nationalismus bis 1917 seine wichtigste Zuflucht in den Priesterseminarien, unter den dort studierenden Söhnen der ukrainischen Dorfpopen. Nach der Sowjetisierung der Ukraine gab es in der ersten Zeit eine stürmische sprachliche Ukrainisierung. Die damalige ukrainische Sowjetregierung versuchte, auch in den Städten die- Predigt in der ukrainischen Sprache durchzusetzen. Den Höhepunkt bildete die Entstehung einer „ukrainischen autokephalen pravoslawen Kirche", die sofort mit der Moskauer Kirchenorganisation in Zwiespalt geriet.

Vgl. „Die Furche“ Nr. 37 1954, Seite 4 f.

Als jedoch nach 1928 eine Reihe Geistlicher dieser ukrainischen Kirche in den Jahren 1929 bis 1932 in Prozesse gegen den ukrainischen Separatismus verwickelt wurde, erzwang die Sowjetregierung die Rückkehr der ukrainischen Bistümer unter die Moskauer Jurisdiktion.

Damit war aber auch das Schicksal der unierten Kirche in Galizien prä- judiziert. Die unierte oder griechisch-katholische Kirche hatte ein eigenartiges Schicksal. Sie entstand bekanntlich in der Ukraine. Die Großukraine, die im 17. Jahrhundert zu Rußland kam, machte einen scharfen Kampf zwischen der orthodoxen und der unter Rom stehenden griechisch-katholischen Kirche durch. Schließlich gab es eine Zeit des friedlichen Nebeneinanderlebens. Als aber die Ukraine immer mehr von Rußland beherrscht wurde, begann die Petersburger Regierung die unierte Kirche zu unterdrücken, bis sie Mitte des 19. Jahrhunderts ganz verboten wurde. Das Verbot war und blieb bis heute ganz radikal. Es wurde viel strenger gehandhabt als das Verbot der armenisch-katholischen Kirche auf russischem Territorium. Auch Ausländer durften keine unierten Gemeinden bilden. In Galizien war jedoch die Lage eine ganz andere. Galizien war auch unter polnischer Herrschaft vor der Teilung Polens staatsrechtlich von der polnisch beherrschten Großukraine getrennt. Denn die Großukraine war vor 1654 ein Teil Litauens, das in staatlicher Realunion mit Polen lebte, Galizien dagegen eine polnische Kronprovinz. Hier siegte die unierte Kirche vollkommen. Und hier wurde sie nicht nur zur ukrainischen Nationalkirche, sondern zum Kern der ukrainischen Nationalbewegung überhaupt. Dadurch, daß diese Kirche den griechischen Ritus hatte, die Geistlichkeit verheiratet war, daß „Kirohenslawisch" für den Gottesdienst benützt wurde, unterschied sie sich äußerlich von dem römisch-katholischen Gottesdienst der Polen. Ihre Unterstellung unter Rom, die westliche Kulturorientierung unterschied sie wieder von der Pravoslawie der Russen. Eben darum hatte die Sowjetregierung ihren Untergang beschlossen. Als Galizien, Nordbukowina und die Karpatoukraine von den Sowjets annektiert wurden, erzwang die Sowjetregierung, ebenso wie einst Kaiser Nikolaus L, gewaltsam die „Rückkehr" der unierten zur russischen Kirche, obwohl die Gebiete nie, auch in der Zeit vor der kirchlichen Union, dem Moskauer Patriarchen unterstanden haben. Wie die Liquidierung der autokephalen ukrainischen Kirche, so hat auch die Vernichtung der unierten griechisch-katholischen nur den Zweck, die Unterwerfung der ukrainischen Nation unter russische Herrschaft zu sichern. Das Patriarchat in Moskau dient auch hier sowjetischer Staatspolitik.

Dagegen ist die georgische pravoslawe Kirche durch die Revolution auto- kephal geworden. Die Georgier im Kaukasus sind derselben Konfession wie die Russen, doch hatten sie organisatorisch immer eine Sonderstellung. In der zaristischen Zeit unterstand zwar die georgische Kirche der „Heiligen Synode" in St. Petersburg, bildete aber in sich eine autonome organisatorische Einheit. Der Metropolit von Tiflis hatte den Titel: „Exarch von ganz Georgien". Auf diese Weise war bis 1917 die georgische Kirche unter der heiligen Synode in Petersburg und dem kaiserlichen Oberprokureur der Synode in gewissem Sinne autonom. Die Autonomie war mehr sprachlicher Natur. Die große russische Kathedrale, die breit und massig neben dem Statthalterpalais in Tiflis steht, unterstand direkt der russischen Kirche, und die liturgische Sprache war dort kirchenslawisch, in der alten historischen Zions-Kathedrale wurde dagegen der Gottesdienst auf altgeorgisch abgehalten. Ebenso gab es in Georgien zweierlei Priestersrtninare, georgische und russische. Stalin studierte bekanntlich im russischen Priesterseminar von Tiflis. Die Absolventen dieser russischen Priesterseminare, soweit sie Georgier waren, wurden dann aber mit Vorliebe in der georgischen Kirche als Instrumente der russischen Politik verwendet. Jetzt ist die georgische pravoslawe Kirche autokephal. Ihr Oberhaupt ist der hochheilige Katholikos-Patriarch ganz Grusiens, Melchisedek. Natürlich anerkennt er aber inoffiziell die geistliche Autorität des Moskauer Patriarchats.

Der dritte „historische" Patriarch ist das Oberhaupt der armenisch-gregorianischen Kirche, der unlängst verstorbene Georg II., „hochheiliger Oberster Patriarch- Katholikos aller Armenier". Die armenische Kirche ist in der Sowjetunion die einzige, die nie verfolgt wurde. Das hat auch seine Gründe. Der Patriarch der armenischen Kirche, der seit mehr als einem Jahrtausend im armenischen „Vatikan" in Etschmiadsin bei Eriwan residiert, galt seit bald anderthalb Jahrtausenden — so wie auch sein Titel sagt — allen Armeniern nicht nur als kirchliches, sondern auch als nationales Oberhaupt. Seine moralische Macht erstreckt sich auf alle Armenier in der ganzen Welt. Und gerade die Armenier haben eine große Diaspora. Das Sowjetregime sicherte sich von Anfang an die Bundesgenossenschaft des armenischen Patriarchen, was um so leichter war, weil in der armenischen Sowjetrepublik das erste Mal seit Jahrtausenden ein armenischer Staat wiedererstand. Die Befriedigung dieser jahrtausendealten nationalen Sehn-sucht ließ die Frage des Regimes in diesem Staat in den Hintergrund treten.

Die in Rußland immer nur schwach vertretene unierte armenische Kirche, die armenisch-katholische, ist restlos verschwunden. Schon in der zaristischen Zeit war offiziell eine Missionstätigkeit dieser Kirche in Rußland untersagt. Es gab also beinahe keine Gläubigen dieser Kirche unter den russischen Staatsangehörigen. Aber im Kaukasus lebte eine ziemlich große Kolonie Armenier türkischer Staatsangehörigkeit, und unter ihnen gab es auch armenisch-katholische, so daß es im Kaukasus einige Gemeinden dieser Kirche gab. Knapp vor dem zweiten Weltkrieg wurden die vielen, oft seit Generationen. im Kaukasus lebenden Ausländer, also Griechen, Armenier, Türken und Perser, beinahe alle ausgewiesen, und somit lösten sich die Gemeinden auf.

Außer der pravoslawen Kirche gibt es in Rußland noch die verschiedenen „A 11- gläubigen" Kirchen und Religionsgemeinschaften, die aber zum Großteil versickert sind. Neue Sektenbildungen werden nicht geduldet.« Jeder Versuch endet mit der Verschickung in ein Zwangsarbeitslager.

Die römisch-katholischeKirche im alten Rußland war aus dreifachen Gründen eine „zurückgesetzte" Kirche: wegen der tiefen Abneigung der herrschenden russischen Staatskirche, wegen des Hasses, den alle russischen Nationalisten gegen alles „Papistische" hatten, und schließlich, weil sie die Religion der politisch verdächtigen Polen war. Aus letzterem Grunde mußten sich alle russischen Untertanen römisch-katholischen Glaubens gewisse Einschränkungen ihrer staatsbürgerlichen Rechte gefallen lassen. Katholiken war es verboten, in gewissen Gegenden, vor allem im westlichen Teil des Reiches, Grund und Boden zu erwerben. Verboten war ihnen der Dienst in der Marine und Gendarmerie. Verboten jeder Staatsdienst in den westlichen Gouvernements, vor allem in Gegenden mit einer überwiegend katholischen Bevölkerung. Offiziere des Landheeres durften Katholiken werden, doch waren Offiziere römisch-katholischer Konfession oder russische Offiziere, die mit katholischen Frauen verheiratet waren, zum Studium an der Generalstabsakademie und zum Dienst im Generalstab und in höheren Truppenstäben nicht zugelassen.

Man sieht, daß ein unterdrücktes Dasein in Rußland für die römisch-katholische Kirche nichts Neues ist. Wenn auch alle anderen Kirchen- und Religionsgemeinschaften in der Sowjetunion in ihrem kirchlichen und religiösen Leben eingeschränkt sind, so ist 'die römisch-katholische Kirche noch in einer besonders mißlichen Lage. Sic ist politisch verdächtig. Vor allem ist alles vorgekehrt worden, um keinerlei Verkehr der Hierarchie mit Rom zuzulassen. Auf dem Territorium der Sowjetunion gibt es drei römisch- katholische Erzbistümer: Riga, W i 1 n a u n d K a u n a s. Bis 1939 waren alle drei Erzbistümer außerhalb der russischen Grenzen: Riga in Lettland, Wilna in Polen und Kaunas in Litauen. Von diesen drei Erzbistümern ist nur noch Riga besetzt. Der Erzbischof von Riga trägt für den innerrussischen Gebrauch den Titel Metropolit. Staatlich anerkannt als Organisation ist die „Katholische Kirche in der lettischen Sowjetrepublik" und die „Katholische Kirche in der litauischen Sowjetrepublik". An der Spitze des Bistums Litauen steht als Apostolischer Administrator Bischof Peteris S t r o d s. Das Erzbistum

Wilna wird vom Episcopus Ordinarius des Bistums Panevezys, Kapitularvikar Kazimierus Paltrokas, verwaltet. Das Erzbistum Kaunas verwaltet Kanonikus Juozas Stankevičius, der gleichzeitig den Bistümern Kaisiadorys und Vilkaviskis vorsteht. An der Spitze des Bistums Teisiai steht als Regens Kanonikus Petros Maželis. Die römisch- katholische Hierarchie ist also in der Sowjetunion weitgehend dezimiert. Die katholische Diaspora im übrigen Rußland ist sehr klein geworden. In Moskau gibt es nur noch eine einzige katholische Kirche, die ehemalige fran-

aösische, die jetzt dem Erzbistum Riga untersteht. Da es keine ausländischen Kolonien mehr in Rußland gibt, bestanden die meisten katholischen Gemeinden aus dem Rest der polnischen Kolonie, die aus verschiedenen Gründen Sowjetbürger blieben. Durch den polnischrussischen Vertrag nach dem zweiten Weltkrieg sind auch diese nach Polen umgesiedelt worden.

Die Sowjetrepubliken Lettland und Estland und ein Teil der finno-karelischen Republik sind lutherisch. In den beiden baltischen Republiken haben sich jene kirchlichen Verfassungen erhalten, die sie in der Zeit der Unabhängigkeit nach schwedischem Vorbild eingeführt hatten. An der Spitze der lutherischen Kirche Lettlands steht als Präsident des Oberkirchenvorstandes Erzbischof Gustav T ü r s, an der Spitze der lutherischen Kirche Estlands als Präsident des Konsistoriums Erzbischof Jaan K i i- v i t. Die lutherischen Gemeinden in der übrigen Sowjetunion unterstehen einem der beidcg Erzbischöfe.

In der finno-karelischen Republik ist die lutherische Bevölkerung beinahe ganz verschwunden. Die finnische Bevölkerung ist nämlich nach dem Krieg 1939 40 beinahe ganz nach Finnland übersiedelt.

Die reformierte Kirche galt in Rußland immer als „ausländische" Kirche, da Geistliche und Gläubige meist ausländische Staats-

angehörige waren. Jede der reformierten Gemeinden in Rußland war also vollständig selbständig und ist es auch heute noch. Welche reformierten Gemeinden in Rußland selbst noch bestehen, ist unbekannt. Doch 1946 kam zur Sowjetunion die Karpatoukraine. Die ungarische Minderheit dieses Landes ist streng reformiert. In dem Karpatengebiet gibt es 90 autonome reformierte Kirchengemeinden, die in einen „kirchlichen Verband des Karpatengebietes" zusammengefaßt sind. An der Spitze steht ein „Dekan" der reformierten Kirche, gegenwärtig Adalbert Gentschi.

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