Die Koalitions-Schmerzen der Populisten

Werbung
Werbung
Werbung

PräsIdenten-BIlder

Václav Havel

Der liberale Revolutionär. Havel, Dramatiker, Mitinitiator der Charta 77, öffnete das Land nach der samtenen Revolution und wurde dessen erster Präsident. 2003 trat er zurück. Havel starb 2011.

Václav Klaus

Bis 2013 Präsident, davor Regierungschef und Finanzminister, der den Weg Tschechiens in die Marktwirtschaft mit radikalen Maßnahmen ebnete. Europaskeptiker. Heute auch als Klimaskeptiker bekannt.

Milos Zeman

Seit 2013 der dritte Staatspräsident der Tschechischen Republik, davor Parteivorsitzender der tschechischen Sozialdemokraten. Seine Amtszeit ist geprägt von umstrittenen und zum Teil vulgären Äußerungen gegen Sudetendeutsche, Muslime, Homosexuelle und Flüchtlinge.

"Verglichen mit all seinen möglichen radikalen Koalitionspartnern erscheint der Wahlsieger Babis geradezu wie ein Moderater."

"Der rechte Populist Okamura, mit dem Wahlsieger Babis eine Koalition plant, gründet seine Wahlerfolge auf Demagogie gegen Minderheiten und die EU."

"Die Kommunisten, mögliche Koalitionäre der neuen Regierung, fordern eine Volksabstimmung über einen Verbleib der Tschechischen Republik in der EU."

Politische Schmerzen

Der tschechische Präsident Milos Zeman bei einem gemeinsamen Auftritt mit Wahlsieger Babis. Babis war zu CSSR-Zeiten Mitarbeiter der Staatssicherheit. Zeman wurde hingegen vom Regime verfolgt.

Ausgerechnet der in Tokio geborene Tomio Okamura, ein japanischer, ein tschechischer Elternteil, ist der erfolgreichste Rechtspopulist Tschechiens. Ein Migrantenkind also. Seine Partei SPD (Freiheit und direkte Demokratie) brachte er Ende Oktober dank seiner Anti-Zuwanderungsrhetorik mit 22 Sitzen ins tschechische Parlament.

Der 45-jährige Okamura gilt in Koalitionsverhandlungen als Königsmacher, er könnte eine mögliche Regierungskoalition zu Fall bringen -er ist sozusagen der tschechische Christian Lindner. Obwohl der Milliardär Andrej Babis mit seiner Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger) mit Abstand die meisten Stimmen geholt hat, braucht er mindestens einen anderen Partner, um eine Regierung zu bilden. Die etablierten Parteien, also die Sozialdemokraten und die konservative Demokratische Bürgerpartei ODS, haben eine Koalition mit Babis ausgeschlossen. Als Grund dafür nennen sie die finanziellen Skandale, in die er verwickelt sei. Babis steht unter Betrugsverdacht, er soll EU-Gelder in Höhe von 1,6 Millionen Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet, sie in sein luxuriöses Anwesen gesteckt haben.

Aber wie steht es um den rechten Okamura? Filip Rozánek, tschechischer Wirtschaftsjournalist der Zeitung Hospodá rsk´e noviny meint, dass Okamura die Politik als ein Mittel zur Verbesserung seiner finanziellen Lage sehe, mehr nicht. Vor vier Jahren bereits schaffte Okamura den Sprung ins Parlament. Damals mit seiner Partei Usvit (Morgendämmerung), mit der er gegen die Minderheit der Roma hetzte. Kurz darauf rieben sich die 14 Abgeordneten der Usvit auf, wegen interner Machtkämpfe. Okamura aber schaffte es noch, dank seiner politischen Aktivitäten mit seiner PR-Firma einen Auftrag über 40.000 Euro zu ergattern. Der Parteigründer sollte seiner eigenen Partei mit seiner eigenen PR-Firma beratend zur Seite stehen und sich selbst ein Honorar ausstellen.

"Alle korrupt"

"Dass Okamura die Politik benutzt, um an öffentliche Gelder ranzukommen, stört die Tschechen offensichtlich nicht. Nach Umfragen glaubt die Mehrheit, dass das alle Politiker so machen würden. "Deshalb verlieren auch Babis und seine ANO wegen des Skandals um EU-Gelder nicht so stark an Zustimmung", meint Journalist Rozánek. Babis hat Anfang des Jahres sein Unternehmen Agrofert, unter anderem tätig im Chemie-und Energiesektor, einer Holding überschrieben, die von seiner Frau geführt wird. Ein neues Gesetz zwang ihn dazu, denn Babis wollte weiter seine politischen Ambitionen verfolgen. Mithilfe der "Lex Babis" soll eigentlich verhindert werden, dass Geschäftsleute ihre Interessen mit dem politischen Betrieb verknüpfen. Ob das gelingt, wenn das Geld in der Familie bleibt? Laut Forbes-Magazin ist Babis nach wie vor der zweitreichste Tscheche mit einem Vermögen von 3,4 Milliarden US-Dollar, nach dem Unternehmer Petr Kellner.

Rechtspopulist Okamura verfügt ebenfalls über ein beachtliches Vermögen. Ein Milliardär ist er zwar nicht, mehrere Millionen Tschechische Kronen konnte er jedoch ansammeln. Ihm wird allerdings nicht nur vorgeworfen, dass er bloß Parteien gründe, um seine eigenen Geschäfte anzukurbeln. Während des Wahlkampfes hat er sich oft Halbwahrheiten oder schlicht Lügen bedient, wie das Fact-Checking-Portal demagog.cz festgestellt hat. Von 256 Behauptungen bei öffentlichen Auftritten wurden 68 als "unwahr" eingestuft und weitere 49 als "irreführend". So behauptete er zum Beispiel, dass einzig seine Partei Tschechien vor einer Million muslimischer Migranten, die auf das Land zusteuern, bewahren könne. Auch agitierte er gegen die EU und behauptete, Brüssel wolle Tschechien zu einer Kolonie machen und es ökonomisch zugrunde richten.

Zeit der Verschwörungstheorien

Erik Tabery, Chefredakteur der renommierten Wochenzeitung Respekt, sagt, derartige Verschwörungstheorien kämen bei den Tschechen gut an, unter anderem wegen des politischen Erbes von Präsident Václav Klaus. Der von 2003 bis 2013 regierende Präsident ordnete an, EU-Flaggen aus dem Präsidentenpalast zu entfernen, er sah in Brüssel eine Macht, die den Tschechen eine Politik aufzwingen will, die nicht ihre ist, sprach sich gegen die Einführung des Euro aus und war ein lautstarker Skeptiker in Sachen Klimawandel. Populistische Tendenzen sind also nichts Neues in Tschechien.

"Klaus verkörperte die Denkweise weiter Teile der tschechischen Gesellschaft, die Verschwörungstheorien anhängen", so Tabery. "Das ist tief in unserer Geschichte verwurzelt. Die Tschechen denken, sie seien von Großmächten abhängig und haben das Gefühl, ausgespielt zu werden." Der Publizist nennt ein Beispiel, das in den Köpfen der Tschechen lebendig ist: das Münchner Abkommen 1938, bei dem europäische Großmächte über das Schicksal des kleinen Landes entschieden. Bis heute sei all das prägend.

Neun Parteien auf 200 Sitze

Das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien sei jedoch noch nie so groß gewesen, wie jetzt, sagt Tabery. Das erklärt, warum neun Parteien es geschafft haben, in das nur 200 Sitze fassende Parlament einzuziehen: "Die Tschechen vertrauen einander nicht. Sie stimmen nicht für eine Partei, sondern, um dem politischen Gegner das Leben schwer zu machen."

Andrej Babis reichen die Stimmen von Okamura alleine nicht aus, um zu regieren. Als möglicher weiterer Koalitionspartner gilt die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, die mit 15 Sitzen die fünftstärkste Kraft im Parlament ist. Sie fordert einen Volksentscheid über den Verbleib Tschechiens in der EU. Für ein Referendum über den "Czexit" spricht sich auch Okamura aus. Für Babis, der um ein gutes Verhältnis zu Deutschland und Frankreich bangt, ist das eigentlich nicht akzeptabel. Mit den Kommunisten hat er andere Ziele gemein, zum Beispiel eine stärker kollektivierte Landwirtschaft -und seine Vergangenheit.

Babis nämlich war während des Staatssozialismus als interner Mitarbeiter IM Bures für die tschechoslowakische Staatssicherheit Státní bezpecnost (StB) tätig. Das, wie seine dubiosen Geschäftspraktiken auch, lassen ihn bei der Wählerschaft nicht in Ungunst fallen. Und selbst die Kommunisten und die rechtsradikale SPD finden Gemeinsamkeiten: Beide Parteien wollen eine deutlichere Nähe Tschechiens zu Russland, eine Aufhebung der seit der Annexion der Krim geltenden Sanktionen. Damit sind sie übrigens auf einer Linie mit Tschechiens Präsidenten Milos Zeman.

Gegen Flüchtlingsaufnahme

Vor diesem Hintergrund erscheint der Milliardär Babis beinahe als nüchterner Akteur. Er wird in Tschechien oft als "Pragmatiker" bezeichnet. So spricht er sich zum Beispiel gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus -nicht aus Überzeugung, sondern weil dies der negativen Stimmung in Tschechien entspricht.

Gleichzeitig aber will er mit den euroskeptischen Polen oder Ungarn nicht enger zusammenarbeiten. Wirtschaftlich nämlich hängt Tschechien in geringerem Maße von Osteuropa ab als von Deutschland und Frankreich. Dort übrigens hat Babis über seine Unternehmungen persönliche Interessen -was bei einer Ausrichtung der tschechischen Politik, nachdem sich eine Regierung zusammengefunden haben wird, nicht unwesentlich sein kann.

Das tschechische Parlament ist zwar schon zusammengetreten, aber eine neue Regierung hat sich noch nicht gebildet. Ob es im nächsten Jahr zu Neuwahlen kommt, ist also vollkommen offen, auch wenn sich eine Zusammenarbeit von ANO, der rechtsextremen SPD und den Kommunisten bereits abzuzeichnen scheint. Am vergangenen Mittwoch nämlich stimmten die drei für einen gemeinsamen Parlamentspräsidenten, Radka Vondrácka. Es ist derzeit alles möglich in Tschechien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung