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Die Kommenden

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Für den Erzbischof von Wien zählt zu den denkwürdigen Ereignissen des vergangenen Jahres die Tatsache, da£ zum erstenmal in der Geschieht« Österreichs ein freigewähltes, demokratisches Parlament einen Vertrag zwischen Staat und Kirche, einer Konkordatsvertrag, gebilligt und radiziert hat. Dies ist nicht nur die Frucht des inneren Friedens und einer staatspolitischen Zusammenarbeit, deren Wert wir in diesen Tagen gerade im Hinblick auf die Ereignisse in anderen Ländern dankbar anerkennen wollen, es ist dies auch Ausdruck dafür, daß die Beziehungen zwischen Staal und Kirche eine neue Form gefunden haben. Eine von allen Bindungen unabhängige und freie Kirche kann unter solchen Voraussetzungen besser als früher ihre Aufgabe erfüllen, mit ihren religiösen und geistigen Kräften das Heilswerk Christi fortzusetzen und damit nicht zuletzt der Gemeinschaft und dem Volke zu dienen.

Mit dem vergangenen Jahr versinkt eine Periode, eine neue steigt empor. Das kommende Jahrzehnt wird nicht nur auf weltweiter Ebene Entscheidungen von größter Tragweite bringen, es wird auch in unserem Vaterland darüber entscheiden, ob wir den bescheidenen Wohlstand, den wir uns durch unseren Fleiß errungen haben, sinnvoll verwerten, ob wiT der Fülle der materiellen Güter, der wir uns erfreuen, den ihnen gebührenden Rang zuweisen, der niemals der höchste sein kann, oder ob wir versinken in der weichen Welle eines Wohlstandes, uns einer trügerischen Sicherheit hingeben, die unsere Herzen gefühllos und unsere Augen blind macht. Ob wir vergessen oder nicht wahrhaben wollen, daß dieses Gemeinwesen nur dann unser Vaterland ist, wenn es uns mehr bedeutet als einen Güterverteilungsapparat, eine Rentenversicherungsanstalt, daß Politik mehr ist als der taktische Ausgleich mächtiger Interessentengruppen, wobei all das zu kurz kommt, was über den Tag hinausweist: die Kultur, die Bildung, die Wissenschaft, die religiösen und geistigen Werte des Lebens.

Vielleicht meinen manche, es sei nicht Sache des Bischofs, sich darum zu bekümmern, dies sei Politik, und damit sollte die Kirche nichts zu tun haben. Nicht leichtfertig und mutwillig spricht die Kirche davon, bloß um den Chor der Kritiker unseres demokratischen Gemeinwesens zu vermehren, sondern aus ihrer Mission heraus, Gewissen des Volkes sein zu wollen, muß sie Gefahren aufzeigen, die uns bedrohen, wenn wir über den materiellen die geistigen Grundlagen unserer Existenz vergessen.

Das kommende Jahrzehnt wird auch m unserem Vaterlande von einer neuen Generation gestaltet und geprägt werden. Von einer Jugend, von der man sagt, daß sie skeptisch, unernst, wenig verantwortungsbewußt und uninteressiert abseits stehend sei. Ist sie das? Und wenn sie es wäre, hätte sie Schuld daran? Wenn sie skeptisch ist, ist sie es nicht deswegen, weil sie den Zwiespalt zwischen den Worten und den Taten der älteren Generation spürt? Wenn sie unernst wäre, käme es nicht daher, daß sie mit dem scharfen Blick der Jugend den Unernst und die Leichtfertigkeit durchschaut, die hinter manchen großen Worten stehen? Wenn sie verantwortungslos wäre, hat man ihr Verantwortungsbewußtsein gezeigt, nicht davon nur gesprochen? Wenn sie abseits steht, kann sie nicht darauf verweisen, daß große Teile unseres Volkes sich von den Dingen des öffentlichen Lebens, von der Politik absentieren zu können glauben?

Aber unsere Jugend ist nicht so. Sie ist nicht schlechter, ja ich glaube, sie ist in vielem besser als manche Jugend vor ihr. Sie ist nüchterner und sachlicher, sie ist verhaltener, sie ist wahrhaftiger. Aber sie ist gerade bei ihrem Skeptizismus für echte Werte, auch für religiöse Werte, empfänglicher als manche Jugend vor ihr. Gerade weil sie die materiellen Annehmlichkeiten des Lebens, um die ihre Väter hart ge-

rungen haben, als selbstverständlich nimmt, betet sie den Wohlstand nicht an. Nicht weil es ihr hier materiell gut geht, wird sie ihr Vaterland lieben, sondern dann, wenn ihr dieses Vaterland Ziele und Aufgaben stellt, die über die Verteilung des Wohlstandskuchens hinausreichen. Es geht ihr nicht in erster Linie um ein bequemes Leben, um eine Staatsrente, sie ist bereit, Opfer und Entsagungen auf sich zu nehmen, wenn sie ein Ziel sieht, das Opfer und Entsagungen lohnt. Aber dieses Ziel und diese Aufgaben müssen ihr wir, die ältere Generation, zeigen.

Vier Merkmale sind es, die meiner Meinung nach die kommende Generation, die Generation, die die sechziger Jahre gestalten wird, kennzeichnen. Diese Generation lehnt vor allem jene Ideologie ab, die unsere Heimat in Unfreiheit und die Welt in Krieg und Vernichtung gestürzt hat. Sie ist immun .gegen die Lockungen falscher Messiashoffnungen des Kommunismus. Sie glaubt, fern von allen patriotischen Phrasen, an die Zukunft eines selbständigen und unabhängigen Österreichs. Und sie ist schließlich bereit, am Aufbau eines neuen Europas, ja einer neuen Welt über alle Schranken der Nationen und der Rassen hinweg mitzuarbeiten.

Der Staat ist gesund, der seiner Jugend große Aufgaben stellt, harte Opfer zu verlangen wagt, hohe Ziele aufzuzeigen versteht. Laßt uns alle in Eintracht Zusammenarbeiten, damit durch unser Beispiel das kommende Jahrzehnt die kommende Generation für große Aufgaben und schwere Entscheidungen gerüstet und bereit findet.

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