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Die Krallen des Löwen

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Wenn man in diesen Tagen der Krise im Nahen Osten einen Blick in die Encyclopaedia Britannica wirft, wird man unter den Aegypten gewidmeten Seiten einen recht interessanten Passus aus der Geschichte des Landes finden, der etwa lautet: ,,... Langsam entwickelte sich eine revolutionäre Bewegung, die ihren Ursprung in erster Linie in militärischen Kreisen hatte. Unter den Führern der Bewegung befand sich ein Mann aus dem Bauernstand, der sich Achmed Arabi, der Aegypter, nannte. Er war kein besonders intelligenter Mann, aber solid und offen, und er hatte die Gabe, die Massen durch seine einfache und derbe Rhetorik zu beeinflussen ... Die Regierung war zu schwach, um Aufwiegelung und Unruhen zu bekämpfen, mußte daher immer wieder Konzessionen machen, die natürlich von weiteren Forderungen gefolgt waren. Arabi wurde zuerst befördert, dann zum Unterstaatssekretär für das Heerwesen und schließlich zum Regierungsmitglied gemacht. Die Gefahr einer ernsten Erhebung ließ die britische und die französische Flotte im Mai 1882 Kurs auf Alexandria nehmen. Nachdem der arabische Pöbel unter der Bevölkerung der Stadt ein fürchterliches Blutbad angerichtet hatte, beschoß die britische Flotte die Forts der Stadt ... Schließlich landeten die Briten und schlugen Arabi in der Schlacht von Tel-el-Kebir am 13. September 1882 ...“

Das war das Ende Arabis und der Beginn der britischen Schutzherrschaft über Aegypten. Arabi kam mit einem „blauen Auge“ davon und überlebte seine kurze, aber brutale Machtperiode. Wie aber sieht die Zukunft für Nasser aus?

Großbritannien und auch Frankreich sind entschlossen, als letzten Ausweg auch mit Gewalt dem Vorgehen des Diktators ein Ende zu setzen, obwohl sie sich darüber völlig im klaren sein müssen, daß es militärisch mit einer Besetzung der Suezkanalzone kaum getan ist. is militärische Minimum wird wohl eine Be-.tzung Aegyptens sein müssen, das Maximum kann zu einem Feldzug gegen alle arabischen Staaten und deren Niederwerfung führen.

Angesichts dieser Möglichkeiten hat das Inselreich weitergehende Maßnahmen getroffen als eine Besetzung der Kanalzone erfordern würde. Die Ausgangspunkte für militärische Maßnahmen gegen Aegypten sind die derzeitigen Stützpunkte in Zypern, Libyen und Jordanien sowie der Marine- und Luftwaffenstützpunkt auf Malta.

Auf Zypern befinden sich zur Zeit acht Infanteriebataillone, drei Bataillone und eine selbständige Kompanie Fallschirmjäger, ein Panzerregiment der „Royal Horse Guards“ und eine Sonderbrigade der Marinefüsiliere (Royal Marine Commandos).

In Jordanien liegen die 10. Husaren, ein mit den modernsten „Centurion“-Panzern ausgerüstetes Regiment, sowie eine Kompanie des , .Middlesex “ -Inf anterieregimentes.

In Libyen befinden sich von der 10. Panzerdivision das motorisierte Infanterieregiment

„Kings Royal Rifle Corps“ sowie das 3. Artillerieregiment der „Royal Horse Artillery“, heute natürlich motorisiert.

Sowohl auf Zypern als auch in Libyen und auf Malta befinden sich mit Düsenjägern belegte Luftstützpunkte, deren Rollbahnen jedoch auch für die derzeit auf dem Weg nach dem Mittelmeerraum befindlichen „Canberra“-Düsenbomber geeignet sind.

Zur Verstärkung dieser Macht sowie der Mittelmeerflotte sind derzeit drei Flugzeugträger sowie ein Kreuzer und andere Seefahrzeuge auf der Fahrt nach dem Nahen Osten. Mit ihnen unterwegs sind die 3. Infanteriedivision und die 16. Selbständige Fallschirmjägerbrigace.

Diese Truppenverschiebungen allein zeigen jedoch nicht den Maßstab der von Großbritannien getroffenen Vorbereitungen, handelt es sich bei ihnen doch um die erst kürzlich geschaffene „Strategische Reserve“, die jederzeit als „Feuerwehr“ einsatzbereit sein muß. Wesentlicher ist schon das königliche Dekret, das die Einberufung von Reservisten vorsieht sowie die Zurückbehaltung aller entlassungsberechtigten Offiziere, Unteroffiziere und Berufssoldaten unter den Fahnen. Nicht zurückbehalten werden zur Zeit noch Wehrpflichtige, die ihre Präsenzdienstzeit beenden. Hier wurde zunächst angeordnet, daß icne, die innerhalb“ der nächsten zwei Monate abrüsten sollen, nicht nach Uebersee entsandt werden.

Es ist anzunehmen, daß Landoperationen von den Briten allein durchgeführt würden, während die Franzosen ..Kriegsschiffe, darunter das Schlachtschiff „Jean Bart“ Sowie eventuell Luftstreitkräfte zur Verfügung stellen. Als gemeinsamer Oberbefehlshaber ist nach letzten Berichten wohl der geeignetste Mann in jeder Hinsicht vorgesehen: Admiral Lord Louis Mountbatten, der im Krieg die sogenannte „Combined Operations“, das Zusammenwirken der Land-, Luft- und Seestreitkräfte leitete.

Kriegsschiffe, Handelsschiffe und Flugzeuge sind unterwegs, um in einer gigantischen Operation zehntausende britische Soldaten nach dem Nahen Osten zu bringen. Lieber El Ala-mein, aus Jordanien und von der See kann Aegypten angegriffen werden, während Fall- . schirmjäger die Kanalzone und andere wichtige Punkte in Besitz nehmen. Wäre Aegypten tatsächlich in der Lage, ernstlichen Widerstand zu leisten?

Die ägyptischen Streitkräfte werden britischer-scits mit etwa 100.000 Mann stehendem Heer und 50.000 Mann Miliz beziffert. Das Heer ist in zwei Infanteriedivisionen, sieben Infanteriebrigaden sowie mehrere Panzerbrigaden gegliedert. Bei den etwa 500 Panzern handelt es sich allerdings um etwa 200 alte amerikanische Shermans, 100 schon im letzten Krieg nicht mehr moderne „Valentines“ britischen Ursprungs und nur 40 moderne britische ,,Cen-turions“ sowie einige T 34. Die Bewaffnung der Artillerie besteht in erster Linie aus leichten und mittleren britischen Geschützen (17- und 25-Pfünder). Die Luftwaffe besitzt etwa 150 MIG-Jäger, 50 Ujuschin-28-Bomber sowie 80 Vampire und Meteor-Düsenjäger.

Aufbau, Organisation, Gliederung, Uniformierung und Ausbildung sind in erster Linie auf das britische Vorbild ausgerichtet, da ja die längste Zeit britische Offiziere Instruktoren der ägyptischen Streitkräfte waren. Erst in den Jahren seit dem Krieg haben ehemalige deutsche Offiziere die Briten abgelöst. Schließlich hat sich im Zusammenhang mit der Lieferung sowjetischer sowie tschechischer und polnischer Ausrüstungsgegenstände auch der Einfluß des Ostblocks geltend gemacht.

Die Ziffer von 150.000 Mann mag ganz eindrucksvoll aussehen. Die Bewaffnung ist es schon weniger. Am schlechtesten sieht es jedoch um die Kampfmoral der Truppe aus. Sie hat sich seit dem Sturz Faruks und der Machtergreifung Nassers zweifellos etwas gebessert. Auch die ärgste Korruption wurde ausgeschaltet. Dennoch kann an der Tatsache nichts geändert werden, daß der Aegypter, in erster Linie der das Hauptkontingent stellende Fellache, kein Soldat und kein Kämpfer ist. Im Elend aufgewachsen, untcrernälirt und krank, hat er nicht das Gefühl der Aufopferung, und zwar weder was Arbeit noch was Kampf betrifft. Aber nicht nur das. Sehen seit frühesten Zeiten wird ein nicht gjfinger Teil . der Fellachenkinder kurz nach der Gefcu von den Eltern verstümmelt; damit es dem Wehrdienst entgehe. Dem Beob-achter werden in Aegypten die vielen Menschen auffallen, die nur ein normales Auge haben, wahrend der andere Augapfel verdreht ist. Das ist kein Zufall. Es ist das Werk der Eltern und es ist die natürlichste Art der Kriegsdienstverweigerung.

Es ist die Weigerung von Menschen, die Wie Tiere leben, für die Ideen und Ideale anderer zu sterben, bevor sie im Elend sowieso zugrunde gehen müssen. Und daran konnten und können weder die stocksteifen Offiziere der britischen Garde, noch Rommels Panzermänner, noch die von revolutionärem Kampfgeist erfüllten roten Flieger etwas ändern.

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