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Die Kunst, richtig zu „schmieren“

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Was oft mit einer „kleinen Aufmerksamkeit“ anföngt, endet nicht selten vor dem Untersuchungsrichter. Korruption ist ein alltägliches Phänomen geworden.

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Was oft mit einer „kleinen Aufmerksamkeit“ anföngt, endet nicht selten vor dem Untersuchungsrichter. Korruption ist ein alltägliches Phänomen geworden.

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Die Gemeinde Winzendorf im südlichen Niederösterreich hat die Zeichen der Zeit erkannt: Im Rahmen einer Sommerbühne werden im ehemaligen Steinbruch des Ortes den Touristen lehrreiche Stücke geboten, in denen — so eine Presseaussendung — „Winnetou und Old Shatterhand bis Anfang September jeweils 90 Minuten lang … das Böse in Person korrupter Bleichgesichter“ bekämpfen.

Die ÖBB setzen sogar Sonderzüge ein, damit auch Menschen aus einem weiteren Einzugsbereich die Lektionen lernen können, wie es Korruptionisten ergeht — wenn es sich bei letzteren auch nicht immer um Bleichgesichter handeln muß. Lektionen jedenfalls, denen sich auch Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi aus Italien rechtzeitig hätte unterziehen sollen. Vielleicht hätte er sich dann kürzlich nicht bis auf die Knochen blamiert, als er versuchte, eine Reihe von der aktiven und passiven Bestechung Verdächtigen an der Justiz vorbei wieder in die Freiheit zu entlassen.

Mittels eines Dekrets wollte er den Richtern das Instrument der Untersuchungshaft im Falle von Wirtschaftskriminalität und Korruption aus der Hand schlagen. Prompt wurden über hundert korrupte Politiker und Manager freigelassen. Jedes Sommertheater hätte über den Gag gejubelt, als die Entlassenen in der Folge — nachdem das Dekret nach einem Aufschrei der empörten Öffentlichkeit zurückgezogen wurde - mühsam wieder eingefangen werden mußten.

Wir sollten uns jedoch nicht zu sehr über Italien amüsieren: Korruption ist ein weltumspannendes Phänomen - angefangen von der „kleinen Aufmerksamkeit“ und der harmlosen Einladung zu einem günstigen Ferienaufenthalt bis zur Beeinflussung bei der Auftragsvergabe, vom sattsam bekannten Filz bis zu massiven Deals im Bereich des Waffen- und Drogenhandels. In manchen Ländern dieser Erde ist die Korruption geradezu in den Status eines kulturellen Elements erhoben worden, das einen aufgeblähten Beamtenapparat versorgt und vor allem dem Clan der herrschenden Familien märchenhafte Reichtümer beschert: Kein staatlicher Auftrag, kein größeres Projekt, ohne daß nicht ordentlich mitgeschnitten wird.

Kein Wunder, daß sich zunehmend die internationalen Organisationen mit dem Problem befassen. Ende April dieses Jahres haben sich die 25 Mitgliedsstaaten der Organi sation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) nach mehrjährigen Verhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die in weiten Teilen der Erde herrschenden Korruptionspraktiken geeinigt. Trotz der relativen Unverbindlichkeit des Ergebnisses stellt dieses doch einen gewissen Durch- bruch dar, nachdem vorangegangene Versuche sowohl am Widerstand der Entwicklungsländer wie auch an der Uneinigkeit der Industrieländer gescheitert waren.

Druck auf den Abschluß einer Vereinbarung wurde vor allem von Seiten der USA gemacht, die als einzige Industrienation über eine relativ strenge Antikorruptions-Gesetzgebung verfügen. Amerikanische Unternehmen sind straffällig, wenn sie an in- oder ausländische Partner Schmiergelder zahlen. Weniger wegen der Moral müsse allerdings eine internationale Regelung her, sondern weil US-Unternehmen durch diese rechtliche Bedrohung im internationalen Geschäft einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Japaner und Europäer — um nur unter den Industrieländern zu bleiben - sehen das viel pragmatischer: Da ist es vielfach sogar erlaubt - darunter auch in der ehrbaren Schweiz —, Bestechungsgelder im internationalen Handel als unausweichliches Übel unter dem Titel „außerordentlicher Aufwand“ von der Steuer abzusetzen.

USA BENACHTEILIGT?

Die OECD-Länder haben sich nun verpflichtet, „konkrete und bedeutsame“ Schritte zur Bekämpfung der Korruption zu unternehmen, wobei es den einzelnen Staaten aber freigestellt bleibt, worin diese bestehen werden. Eine umfangreiche Liste möglicher Maßnahmen wurde jedenfalls vorgelegt: Diese reichen vom Erlaß klarer Antikorruptionsgesetze nach amerikanischem Muster über die Aufhebung steuerlicher Begünstigungen von Schmiergeldzahlungen bis zur Etablierung ehrenhafter Spielregeln auf freiwilliger Basis - ausreichende Möglichkeiten jedenfalls, auf diesem Gebiet tätig zu werden.

Auch die ökonomische Wissen schaft konnte letztlich nicht umhin, sich Gedanken über das Wesen und die Funktion der Korruption zu machen, wobei ein leicht zynischer Unterton nicht vermieden wurde. Sicherlich, so das Ergebnis einiger neuerer Studien, ist Korruption ein Hindernis für einen effizienten und kostenoptimalen Ablauf ökonomischer Aktivitäten und beeinträchtigt damit Wachstum und Entwicklung. Denn das Unternehmen, das die höchsten Tribute zu zahlen bereit ist, um einen Auftrag zu erhalten, ist nicht notwendigerweise dasjenige, das diesen dann auch am effizientesten ausführt — eher im Gegenteil. Und auch für die Psyche der Wirtschaftstreibenden ist es sicherlich nicht günstig zu wissen, daß ihr Erfolg nicht von ihrer - Leistung abhängt, sondern von irgendwelchen undurchsichtigen „ Machinationen“ im Hintergrund.

Aber viele offenkundig bis auf die Knochen korrupte Regierungen, wie etwa die japanische oder die malaysische, gebieten dennoch über effiziente Ökonomien. Es scheint also oft nicht von vornherein so zu sein, daß eine hohe Durchdringung mit Bestechung und Bestechlichkeit die Ent wicklung einer Volkswirtschaft beeinträchtigt. Wovon hängt das jedoch ab?

Die Untersuchungen zeigen, daß in den Fällen, in denen die Korruption effizient gestaltet wird, das Ausmaß des Schadens geringer sein wird. Schlecht ist es jedenfalls, wenn in chaotischer Weise gleich mehrere Gruppen die Hand aufhalten, etwa die zentrale und die lokale Verwaltung, die Polizei, die Mafia und wer sonst noch, die alle für sich so viel wie nur möglich herausholen wollen. Das treibt die Gesamtsumme der zu entrichtenden Gelder natürlich in die Höhe und schreckt viele Eotentielle Interessenten von vorn- erein ab.

DISZIPLINIERTES SYSTEM

Ein organisiertes und diszipliniertes System von Korruption ist da wesentlich günstiger. In einem solchen System ist anzunehmen, daß die abzuführenden Beträge in einer Weise festgesetzt werden, die auch längerfristig ein optimales Ergebnis garantiert, nämlich so, daß mehrere Bewerber im Rennen bleiben, daß ihnen nicht sofort die Luft abge- schnürt wird, ihnen Raum zur Entwicklung und damit die Möglichkeit permanenter Tributzahlung gibt. Letztlich sind das ähnliche Prinzipien, nach denen auch die Steuerpolitik einer ehrsamen Regierung konzipiert sein muß.

Ist Korruption daher harmlos — wenn schon nicht moralisch, so doch, was ihre Auswirkungen auf die ökonomische Entwicklung betrifft? Letzten Endes sicherlich nicht: Denn erstens wird dadurch das gesamte wirtschaftliche Geschehen mit zusätzlichen Elementen von Unsicherheit umgeben, und es werden relevante Informationen verschleiert oder unterdrückt. Zweitens jedoch werden nicht Projekte durchgeführt und Aktivitäten gesetzt, die der Bevölkerung und der ökonomischen Entwicklung dienen, sondern diejenigen, bei denen am leichtesten und unbemerkt etwas abgezweigt werden kann — daher die Vorliebe vieler Entwicklungsländer für gigantomanische Bauprojekte und Waffengeschäfte.

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