Die Legende von Angela - und Kurt

Werbung
Werbung
Werbung

Ich war keine Heldin - ich habe mich angepasst!“ 23 Jahre nach dem Ende der DDR sind unsere deutschen Nachbarn in eine Vergangenheitsdebatte gestolpert. Es geht um die Kanzlerin - und ihre jungen Jahre im SED-Staat. Der Anlass: ein neues Buch - "Das erste Leben der Angela M.“. Und die Bundestagswahlen im Herbst.

Der "rote Fleck“

Pfarrerstochter war sie, also eher immun gegen KP-Begeisterung. Und doch auch systemtreu: als Mitglied der "Jungen Pioniere“, der "Freien Deutschen Jugend“ - und als "Sekretärin für Agitation und Propaganda“. Ein biografisches Detail, das sie selbst einmal enthüllt und später ("Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeiner Weise agitiert zu haben“) wieder vernebelt hat.

Jetzt diskutieren die Deutschen, die Angela Merkel im September mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine dritte Amtszeit wählen werden, den "roten Fleck“ in deren Leben - und die schwierigen Übergänge von Anpassen und Mitmachen: Wo endet in Diktaturen die kaum vermeidbare Systemnähe um des Studiums und Jobs willen? Und wo wird Mitläufertum zur Mittäterschaft?

"70 Prozent Opportunismus“ sei hinter ihrer Haltung gestanden, verriet die Kanzlerin einmal. Und erklärt ihr Schweigen seither eher kryptisch: "Vielleicht habe ich manches nicht erzählt, weil mich nie jemand gefragt hat.“ Die deutschen Medien stehen hinter Merkel. Für sie ist die aktuelle Debatte "Teil der allgemeinen historischen Unwissenheit“ und "Beweis eines fundamentalen Unverständnisses für das Leben in Diktaturen“. Und: Endlich werde über jene diskutiert, die das Pech gehabt hätten, im Osten aufzuwachsen.

Alltag in der Diktatur

Prophetisch hatte ein Merkel-Biograph schon vor Jahren gemeint, "ehrgeizige Schwarzweiß-Journalisten“ würden eines Tages - vielleicht vor einer wichtigen Wahl - "von interessierten Kreisen mit Material versorgt werden. Vielleicht ist dann eine Generation herangewachsen, die überhaupt keine Ahnung mehr vom Alltag in der Diktatur hat …“

Ist es erlaubt, sich als Österreicher an eine ähnliche, freilich ungleich dramatischere Erfahrung zu erinnern? Als vor 25 Jahren ein Prominenter vor einer wichtigen Wahl den Furor globaler Vorwürfe erlebte: zunächst als "NS-Kriegsverbrecher“ (was ohne jeden Beweis blieb). Dann als "Verschweiger“ und "Opportunist“.

Was unterscheidet das Damals vom Heute: die Verschiedenheit von NS- und KP-Diktatur? Der unterschiedliche Stellenwert von großen und kleinen Ländern? Die dahinter stehenden Interessen? Die Teflonschicht - vielleicht auch das mediale Geschick - des jeweils Betroffenen? Nachdenken über Zivilcourage ist immer gut, letztlich aber nur sinnvoll, wenn ein Mindestmaß an Geschichtsverständnis und Fairness existiert. Anders als Kurt W. hat die CDU-Kanzlerin zudem das Glück, dass ihr aus der Linken weit mehr Zustimmung ("Irgendwann muss mit diesem Schwachsinn Schluss sein“) als Kritik zuströmt. Kein Wunder: dort waren einst die letzten Freunde des DDR-Regimes zuhause.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung