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„Die letzte ideologische Wahl”

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Die Furche führte das folgende Gespräch mit dem polnischen Schriftsteller („Die schöne Frau Seidenman”) am Tag vor den polnischen Parlamentswahlen. Die Bemerkungen Szczypior-skis über die politische Lage in seinem Heimatland haben auch nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses nichts von ihrer Aussagekraft eingebüßt.

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Die Furche führte das folgende Gespräch mit dem polnischen Schriftsteller („Die schöne Frau Seidenman”) am Tag vor den polnischen Parlamentswahlen. Die Bemerkungen Szczypior-skis über die politische Lage in seinem Heimatland haben auch nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses nichts von ihrer Aussagekraft eingebüßt.

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DIKFURCHK Inwieweit beeinflußt der Ausgang der Wahl die Zukunft Polens? Ist es nicht fast egal, wer gewinnt - der Kurs der Reform, der Westintegration scheint ja unumkehrbar. Andrzkj Szczypiorski: Diese Wahl ist tatsächlich nicht so bedeutsam, denn alles was wichtig ist, ist schon entschieden und realisiert worden. Wir haben einen souveränen Staat, wir leben in einer unabhängigen Gesellschaft, wir haben eine Demokratie, und wir haben die Strukturen des freien Marktes gebaut, und diese Strukturen sind nicht ganz schwach, das wissen wir schon. Der Einfluß der Politik auf die Wirtschaft wird jede Woche begrenzter. Aber natürlich ist das im großen Maßstab gedacht, im Kleinen sieht es ein bißchen anders aus. Diese Wahl ist meiner Meinung nach die letzte ein bißchen ideologische Wahl in der polnischen Geschichte. Die nächste Wahl in vier Jahren wird eine rein politische Wahl. Diesmal spielt die Entkommunisierung eine Rolle, die Abtreibung, die Rolle der römischkatholischen Kirche. Das sind alles ideologische Probleme, keine politischen. Für die alltägliche Politik sind Arbeitslosenquote, Sozialversicherung, Investitionen, Zollbarrieren wichtige Fragen. Wir sind aber noch ein bißchen ideologisch geprägt, und deswegen wählen wir diesmal auch ein bißchen ideologisch. Aber im Grunde, wie gesagt, wird gar nichts geschehen, weil alles was wichtig ist, schon erledigt worden ist.

DIEFIIRCHE: Was würden Sie Ihren Freunden in der Freiheitsunion (Partei der Liberalen und Intellektuellen; Anm.) nach der Wahl empfehlen? szczypiorski: Meiner Meinung nach sind für die Freiheitsunion, obwohl das ein bißchen theoretisch klingt, die Linken näher als das Bündnis Solidarnosc. Die jetzigen Spitzenpolitiker der Linken werden als Postkommunisten bezeichnet - etwa Präsident Kwasniewski. Aber Kwasniewski war nie ein Kommunist, er war nur ein Mitglied dieser Partei, aber aus reinem Opportunismus. Im Bereich der Wirtschaft sind die Linken heute viel liberaler und fortschrittlicher als die Rechten, und der Westen weiß das ganz genau: die Amerikaner unterstützen die Linken, und auch Kohl und die Franzosen.

DIEFURCHE: Glauben Sie, wird die Rolle der katholischen Kirche weiter abnehmen3

Szczypiorski: Die Rolle der Kirche wird immer, kleiner. Sie hat das auch schon verstanden, sie schweigt im Politischen; natürlich nicht alle Geistlichen, etwa auf dem Land - aber offiziell hat die Hierarchie ihre politische Neutralität proklamiert, und das war ganz vernünftig.

DIEFURCHE: Aber die Achse zur politischen Rechten gibt es natürlich trotzdem Szczypiorski: Ja, natürlich. Und viele Leute denken: Solidarnosc ist mir näher als die Linken, aber ich will nicht den Einfluß der Kirche vermehren, und deswegen wähle ich die Linken.

DIEFURCHE: Inwieweit ist der Mythos der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc mit der Zeit verblaßt? Szczypiorski: Der Mythos ist nur der Mythos - die Erinnerung an den Kampf um die Unabhängigkeit. Jetzt gibt es eine ganz andere Solidarnosc, nur der Name ist alt, die alten Anführer sind jetzt in der Freiheitsunion.

DIEFURCHE: Halten Sie einen Ministerpräsidenten, der aus den Reihen der Freiheitsunion kommt, für denkbar? Szczypiorski: Warum nicht? Natürlich. Ich denke, Leszek Balcerowicz, der Chef der Liberalen, könnte Ministerpräsident werden, wir werden sehen ...

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