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Der Palästinenser-Hilfsplan und eine nahe Einigung zwischen Hamas und Fatah zu Wochenbeginn sind kleine Lichtblicke am palästinensischen Horizont, der sich mehr und mehr verfinstert.

Am Leben oder tot zu sein, das ist für viele hier dasselbe." Es ist ein sehr gefährliches Gefühl, das der Arzt Sami Oweda in der psychiatrischen Klinik in Gaza oft bei seinen jungen Patienten diagnostiziert. Bis die sich zu ihm hintrauen und ihre Leiden eingestehen, haben sich Angst und Depression meist so verfestigt, dass nur ein Lindern der Symptome möglich ist, sagt Oweda - und: Jede Granate gibt ihrem Trauma neue Nahrung. Immer dann, wenn Israel in der Früh oder mitten in der Nacht mit einer die Schallmauer durchbrechende Lärmbombe die Menschen in kollektive Panik stürze, reißen bei Kindern und Erwachsenen alte Wunden auf - "und du beginnst bei null", sagt der Arzt.

In permanentem Stress

Seine vier Kinder beruhigt er, indem er ihnen die Wahrheit sagt: "Die Flieger kommen wieder. Die Fenster können brechen. Die Kontrollen bleiben." Die Gewalt im Gazastreifen und im Westjordanland hält die Palästinenser in permanentem Stress. Einer von vier Jugendlichen nannte bei einer von der Klinik durchgeführten Studie als größten Wunsch den Märtyrertod und als Selbstmordattentäter zu enden. 97,5 Prozent der Befragten leiden unter post-traumatischen Stress-Symptomen. Sie waren Zeugen, wie Eltern geschlagen und gedemütigt wurden oder sahen Menschen sterben. Für Psychiater Oweda zählen in seiner Arbeit schon die kleinen Erfolge: Patienten ohne Kopfschmerzen, die vorher ohne Tabletten nicht mehr wegzukriegen waren; Kinder, die sich wieder zur Schule trauen, die essen und lächeln; Nächte ohne Alptraum ...

"Uns fehlt Hoffnung!"

"Wir sind nicht gesund. Uns fehlt Hoffnung", sagt Oweda. Seit dem Wahlsieg der radikal-islamischen Hamas, die eine Anerkennung Israels bisher verweigert, und dem darauf folgenden Finanzboykott des Westens, wird der Überlebenskampf der palästinensischen Bevölkerung zusehends schärfer. "Auch wenn die Staatsoberhäupter das Gegenteil behaupten: Diese Strafe trifft die Bevölkerung", lautet der Tenor im Westjordanland. Weil Israel zudem palästinensische Zolleinnahmen in Höhe von 40 bis 50 Millionen Dollar pro Monat eingefroren hat, können die Behörden keine Gehälter mehr an Lehrer, Polizisten und Ärzte ausbezahlen. Davon betroffen sind 140.000 Beamte und ihre meist kinderreichen Familien. "Die Leute platzen vor Wut. Sie haben keine Arbeit, nichts zu essen und keine Perspektive, dass sich daran etwas ändert", sagt Majed Nasser aus Ramallah.

Laut Weltbank müssen 72 Prozent der rund vier Millionen Menschen im Westjordanland und im Gazastreifen mit weniger als zwei Dollar pro Tag über die Runden kommen. Zwei Millionen, warnt die uno, können sich nicht mehr ausreichend ernähren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent. Die wachsende Not schürt den Zorn auf die Besatzer, die internationale Gemeinschaft aber auch auf die eigenen Parteien und deren Funktionäre. Nicht zuletzt deswegen fühlten sich Anfang der Woche sowohl Hamas als auch die Fatah-Bewegung des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas zu einer raschen Einigung genötigt. Seit Wochen liefern sich die beiden Fraktionen einen blutigen Machtkampf um Posten und Einfluss: Konkret geht es darum, wer den Sicherheitsapparat kontrolliert und damit in den Autonomiegebieten das Sagen hat.

EU-Beihilfen statt Gehälter

Und noch eine zweiter Durchbruch gelang zu Wochenbeginn: Das Nahost-Quartett (eu, usa, Russland und die uno) konnte sich zur Schaffung eines "zeitlich und in seinem Umfang begrenzten Hilfsfonds" durchringen: Hilfsgelder sollen an der von der Hamas geführten Regierung vorbei direkt dem palästinensischen Volk zukommen. In einem ersten Schritt will die eu mit 100 Millionen Euro helfen, den völligen Zusammenbruch des Gesundheitswesens abzuwenden. Ärzte sollen dabei zur Kompensation ihrer Gehälter ab Juli eine Art "Beihilfe" bekommen. Einen wenn auch "unzureichenden Schritt nach vorne" nennt Präsident Abbas die Initiative. Mehr Kritik können sich palästinensische Politiker derzeit nicht leisten - denn angesichts der akuten Not, muss jede Art der Unterstützung willkommen sein - auch wenn sie die Autonomiebehörde ausschaltet und die Palästinenser zu unmündigen Hilfsempfängern degradiert.

Die Autorin ist Außenpolitik-Redakteurin des "Kurier", derzeit Westjordanland.

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