Die Lüge und das Ende des Iran-Vertrags

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Sollten Israel und die USA versuchen, die iranischen Atomanlagen militärisch zu zerstören, dann könnte es auch Hunderttausende zivile Opfer geben.

Über Wahrheit und Lüge in der Politik ist in den vergangenen Jahrzehnten selten so viel gesprochen worden wie im Zusammenhang mit Donald Trump. Der Mann wird ja jeden Tag laut Lügenrechner der Washington Post der Unwahrheit überführt und hält mittlerweile bei über 3000 in offiziellem Rahmen behaupteten Unwahrheiten seit seinem Amtsantritt. Wir leben demnach im Zeitalter des ungebremsten Fake und der Ausnutzung neuer Medien zur unkontrollierten Lügenabsonderung.

Das ist so natürlich etwas übertrieben. Vor allem deshalb, weil die Unwahrheit oder die "taktische" Wahrheit gerade zu den essenziellen Mitteln der Politik gehört. Hannah Arendt hat das in ihrem Essay über "Wahrheit und Lüge in der Politik" schön eingebettet: "Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik." Wahrheit und Politik - das gehört nicht zusammen, so viel das der Öffentlichkeit auch vorgegaukelt wird.

Kein Zeitalter der Lüge

Und in diesem Sinn leben wir nicht in einem ganz neuen Zeitalter der Lüge. Wir sind hingegen, was Trump betrifft, Zeugen der naiven und unverschleierten Lüge. Und so darf man sich derzeit beinahe täglich entscheiden, was man lieber sehen würde: die unverhüllte kindlich trotzige Lüge oder die mit allen Wassern gewaschene. Die erste Form wird jedenfalls von Trumps Wählern, so paradox das klingt, als eine Form der Wahrheit im Sinne der Unverfälschtheit gesehen. Der Mann ist "authentisch" in allem, was er tut, ob er nun den G7-Gipfel platzen lässt oder im nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un einen neuen Freund findet, mit dem er Abrüstung zelebriert (siehe Kommentar Seite 11)

Doch zurück zur Lüge und ihrer globalen Dimension: Was hat folgendes Bekenntnis eines deklarierten Trump-Feindes, des iranischen religiösen Führers Ajatollah Khamenei, mit der Wahrheit zu tun: Die Forderungen "nach der Begrenzung unseres defensiven Raketenprogramms sind ein Traum, der nie wahr werden wird".

Sagt Khamenei da die Unwahrheit? Europa scheint das mit Sicherheit anzunehmen, denn man will das Atomabkommen, das 2015 unterzeichnet und von den USA aufgekündigt wurde, mit allen diplomatischen Mitteln vor seiner Auflösung bewahren. Was voraussetzt, dass der Iran keine weiteren Schritte hin zur nuklearen Rüstung setzt. Doch genau in diese Richtung gehen die Drohungen Teherans. Und so scheint Donald Trump Khamenei eher zu glauben als die Europäer, indem er sich nun voll bestätigt fühlt -und mit ihm die israelische Regierung.

Trump hat mit seinem Ausstieg nicht nur einen seltenen Erfolg der westlichen, internationalen Politik zunichte gemacht, sondern auch das Vermächtnis der Außenpolitik seines Vorgängers Barack Obama zerstört -vielleicht war das sogar sein eigentliches Ziel.

Iran-Abkommen ohne Chance?

Im Gegenteil findet sich die Welt ohne Abkommen auf einem altbekannten Boden wieder. Drohungen Irans auf der einen Seite, das Nuklearprogramm wieder aufzunehmen. Und auf der anderen Seite eine strikte Haltung der USA, die nun ihrerseits mit Sanktionen gegen jene drohen, die die Sanktionen gegen den Iran nicht mittragen wollen.

Eine sehr gefährliche Situation, findet der Politikwissenschafter Reinhard Meier-Walser von der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung im Gespräch mit der FUR-CHE: "Ich sehe keinen Königsweg, wie Europa das Abkommen am Leben erhalten will. Ich habe noch von keinem Unternehmen gehört, das gegen den Willen der USA versuchen würde, im Iran zu investieren." Und bei aller Kritik an Trump wegen seines Umgangs mit internationalen Verträgen versteht Meier-Walser auch die massive Kritik am Abkommen: "Der Iran wäre nur zehn bis 15 Jahre an das Abkommen gebunden. Militärische Versuchsanlagen dürfen nicht inspiziert werden. Der Iran untersützt weiter seine Stellvertreter-Gruppen in internationalen Konfliktzonen, wie etwa Hisbollah oder Hamas. In diesem Sinn war das Abkommen kein Erfolg."

Hans Rühle, ehemaliger Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, geht in einem Kommentar in der Welt noch weiter, wenn er meint, dass die Revolutionsgarden im Iran "seit 2010 ungestört ein Arsenal von Nuklearwaffen aufbauen". Vor diesem Hintergrund sei das Atomabgekommen, geschlossen von Trumps Vorgänger Barack Obama und nun verteidigt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), eine Farce. Das Nuklearwaffenprogramm der Revolutionsgarden sei eine reale Gefahr.

Aber was sind nun die Alternativen? "Wenn der Vertrag endgültig scheitert, dann wird der Iran vermutlich die Inspektionen sofort beenden und seine Programme zur Urananreicherung wieder anlaufen lassen", so Politikwissenschafter Meier-Walser. Mit unabsehbaren Folgen für die Region. "Der Atomwaffensperrvertrag wäre vermutlich gescheitert, weil alle in der Region versuchen würden, an Nuklearwaffen zu kommen, allen voran Saudi-Arabien."

Und was passiert, wenn der Ernstfall eintritt, wenn Israel oder die USA oder beide Verbündete gemeinsam die Atomanlagen des Iran durch Luftschläge gezielt angreifen? "Im Falle des begrenzten Zieles einer Retardierung des Atomwaffen-Programms um einige Jahre würde eine partielle Zerstörung der nuklearen Infrastruktur genügen", so eine Studie des Politikwissenschafters Rudolf Peter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber eine längerfristige Ausschaltung der Atom-Option Teherans würde nur mit aktiver Unterstützung durch die USA möglich sein -und eine umfassende Zerstörung der Atomanlagen voraussetzen. Mit welchem Schadensszenario?

Hunderttausende gefährdet

Khosrow B. Semnani, ein USamerikanischer Physiker mit iranischen Wurzeln geht in einer diesbezüglichen Studie davon aus, dass allein durch die unmittelbare Zerstörung der Angriffe ("physical and thermal impact of the blasts") auf die Nuklearanlagen in Isfahan, Natanz, Arak und Busher zwischen 3500 und 5000 Menschen zu Tode kämen oder schwer verletzt würden. Und mehr als das: Wenn man die Opfer auf andere Ziele miteinbezieht, käme man vermutlich auf mehr als 10.000 Tote und Verletzte. Allein in Isfahan wären 240.000 Menschen giftigen Schadstoffen ausgesetzt, ebenso viele in Busher, einem weiteren Nuklearstandort im Iran.

Zudem würden die Machthaber in Teheran dann möglicherweise das Atomprogramm in "verdeckter und gegenüber Luftangriffen besser gesicherter Form fortführen", so eine Studie der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik". Das wiederum bedeute, dass Militärschläge "keine einmalige Angelegenheit, sondern fortdauernde Notwendigkeit" blieben. Aber selbst dann "gäbe es keine Garantie dafür, dass ein erneuertes, gegen militärische Angriffe besser gesichertes Nuklearprogramm auf diesem Weg mehr als nur verzögert werden kann".

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