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Die Mitbestimmung des Arbeiters

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Die Ausführungen, die Papst Pius XII. in seiner jüngsten Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für soziale Studien und für soziale Aktion zur Frage des Mitbestimmungsrechtes der Arbeiterschaft machte, erregten weltweites Aufsehen, erfuhren aber gleichzeitig auch eine derart widerspruchsvolle Kommentierung, daß ein klärendes Wort notwendig wird.

Es kann keine Rede davon sein, daß nach der Meinung des Papstes die Arbeiterschaft von der Mitbestimmung, auch in wirtschaftlichen Dingen, ausgeschaltet werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. In der Ansprache vom Mai 1950 heißt es wörtlich: „Seinen Lebensunterhalt zu verdienen ist der unabdingbare Anspruch der Menschenwürde eines jeden, der — gleich in welcher Form, als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer — seinen produktiven Beitrag zum Ertrag der Volkswirtschaft leistet... Daraus folgt, daß man — auf beiden Seiten — alles Interesse daran hat, die Ausgaben der nationalen Produktion im Verhältnis zu ihrem Ertrag günstig zu gestalten. Wenn aber das Interesse gemeinsam ist, warum sollte es nicht auch einen gemeinsamen Ausdruck finden können? Warum sollte es nicht gerechtfertigt sein, den Arbeitern einen gerechten Anteil an der Verantwortung'für die Gestaltung und Entfaltung der nationalen Wirtschaft einzuräumen? Zumal heute, da die Knappheit der Kapitalien und die Schwierigkeiten des internationalen Austauschs so wenig Bewegungsfreiheit lassen. Wenn sich dies so verhält, warum dann nicht — solange es noch Zeit ist — die Dinge im vollen Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung gemeinsam in Ordnung bringen und so die einen vom unberechtigten Mißtrauen, die andern vor Illusionen bewahren, die sich erst recht zu einer sozialen Gefahr entwickeln müßten? Für diese Gemeinsamkeit der Interessen und der Verantwortung in der nationalen Wirtschaft hat unser unvergeßlicher Vorgänger, Pius XL, in seiner Enzyklika Quadragesimo anno den konkreten und zeitgemäßen Ausdruck geprägt, wenn er die berufsständische Ordnung der einzelnen Produktionszweige empfahl. Nichts schien ihm geeigneter, um den Wirtschaftsliberalismus zu überwinden, als die Errichtung eines die gesellschaftliche Wirtschaft regelnden Statuts öffentlichen Rechts, das eben gerade auf der Gemeinsamkeit der Verantwortung aller an der Produktion Mitwirkender fußt. Dieser Punkt der Enzyklika hat die Geister in Aufregung versetzt. Die einen sahen darin eine Konzession an moderne politische Strömungen, die andern einen Rückfall ins Mittelalter. Es wäre aber unvergleichlich viel weiser gewesen, die alten unhaltbaren Vorurteile abzulegen und sich statt dessen verantwortungsvoll und mutig an die Verwirklichung der Sache selbst und.ihrer vielfältigen praktischen Anwendungen zu machen. Heute wirkt leider dieser Teil der Enzyklika wie ein Beispiel verpaßter Gelegenheiten, die man vorbeigehen ließ, statt sie zur rechten Zeit zu ergreifen.“

Es handelt sich also nicht darum, die Arbeiterschaft von der Mitverantwortung und Mitbestimmung für die Wirtschaft auszuschalten, und es wird auch der Grund angegeben, warum diese Mitbestimmung zu bejahen und tatkräftig zu fördern ist: Auch die Arbeiterschaft hat ein lebendiges reales Interesse am Gedeihen der Wirtschaft, und es kann für diese selbst nur von Vorteil sein, wenn die Gemeinsamkeit der Interessen auch in einer realen Gemeinsamkeit der Verantwortung zum Ausdruck kommt. Gerade dieser Gesichtspunkt wird in der jüngsten Ansprache ausdrücklich bestätigt. Aber diese gemeinsame Verantwortung wird zunächst auf der Ebene des Berufes und nicht der des Betriebes gesucht. Es wird sogar warnend darauf hingewiesen, daß die Unterlassung der Ermöglichung einer solchen Mitverantwortung und Mitbestimmung „eine verpaßte Gelegenheit“ gewesen sei, die nun zur Folge habe, daß man die Mitsprache im Betrieb versuche, und zwar so, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln oder wenigstens dessen realer Sinn durch Sozialisierung, Nationalisierung, Änderung der rechtlichen Struktur der Betriebe, immer weitergehende gesetzliche Einschränkungen usw. ausgehöhlt oder aufgehoben werde. Gerade dagegen aber wehrt sich die katholische Soziallehre mit aller Kraft. Sie verlangt, daß das Privateigentum die herrschende Besitzform bleibe, ja daß sie sich — vielleicht in etwas neuern und den heutigen Gegebenheiten angepaßten Formen (Quadragesimo anno!) — weiter ausdehne, und zwar aus dem doppelten Grund, weil das Privateigentum eine gesellschaftlich unentbehrliche Garantie der persönlichen Freiheit und Initiative und zugleich eine klare Festlegung der persönlichen Verantwortlichkeit im wirtschaftlichen Betrieb darstellt. Dies wird besonders in der leider zu wenig beachteten Ansprache vom 1. September 1944 unterstrichen, in der Papst Pius XII. unter anderem ausführt:

„Das christliche Gewissen kann nicht eine Gesellschaftsordnung als gerecht hingehen lassen, die das Naturrecht auf Eigenbesitz, an den Verbrauchsgütern sowohl als auch an den Produktionsmitteln, entweder grundsätzlich leugnet oder doch praktisch aufhebt oder gegenstandslos macht. Aber ebensowenig kann es jene Systeme annehmen, die das Recht auf Privatleben zwar anerkennen, ihm aber einen völlig falschen Sinn unterlegen und daher im Gegensatz stehen zur wahren und gesunden Gesellschaftsordnung. Darum hat die Kirche zum Beispiel den Kapitalismus, wenn er auf solchen irrigen Auffassungen gründet und sich ein unbeschränktes, auf keine Weise dem Allgemeinwohl untergeordnetes Recht auf das Eigentum anmaßt, als dem Naturrecht zuwiderlaufend verurteilt. Wir sehen heute tatsächlich oft, wie eine ständig wachsende Masse von Arbeitern sich ungeheuren Zusammenballungen von Wirtschaftsgütern gegenüberfindet, die — häufig unter dem Deckmantel anonymer Formen — sich ihren sozialen Pflichten zu entziehen wissen und den Arbeiter sozusagen in die Unmöglichkeit versetzen, sich einen wirklichen Eigenbesitz zu verschaffen.“

Das neue Papstwort über das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht hat also zur doppelten Voraussetzung, daß die Mitbestimmung der Arbeiterschaft auf dem berufsständischen Boden ernsthaft realisiert und daß ferner, wie es schon Quadragesimo anno mit allem Nachdruck fordert, die Arbeiterschaft in viel breiterem Ausmaß an der Kapitalbildung und damit am Privatbesitz, zum guten Teil auch am Mitbesitz der Produktionsmittel, beteiligt werden soll.

Wenn in der Ansprache des Papstes gefordert wird, daß das immer weitergehende Sicheinmischen von Instanzen, die für den Betrieb eine reale Verantwortung und die dazugehörigen Risiken weder übernehmen wollen noch können, abgebremst werden soll, entspricht dies einer dringenden Notwendigkeit. Diese falsche Verstaatlichung, Ver-beamtung, Anonymisierung und Kollektivisierung, die nicht von persönlicher Haftung und Verantwortung für den einzelnen Entscheid getragen wird, kann niemals eine wahre Lösung der sozialen Frage bedeuten.

Die Aussprache um das Mitbestimmungsrecht wird weitergehen. Schon die Tatsache, mit welchem Nachdruck der Papst über die Frage gesprochen hat, deutet darauf hin, wie groß und schwerwiegend die Frage ist. Wenn die Ausführungen des Hl. Vaters nicht wiederum überhört oder zu bloßen Parteizwecken ausgebeutet und mißdeutet werden, sind sie geeignet, den Blick zu weiten, die Anstrengungen zu vertiefen, vor Abwegen und Versteifungen zu bewahren und damit den Weg für wahre Lösungen freizumachen.

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